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All diese und noch mehr Erinnerungen erzählten sie sich, biszum Ende des Abends der bittere Stachel ihrer Trauer verschwunden war und nur noch der Schmerz des Verlustes zurückblieb.

Das heißt – für die meisten von ihnen.

Später, in den stillen Stunden der Nacht, saß Tolpan draußen am Höhleneingang und starrte in die Sterne. In seinen kleinen Händen hielt er Flints Helm, während Tränen über sein Gesicht liefen.

5

Neraka

Die Gefährten stellten fest, daß es einfach war, Neraka zu betreten.

Tödlich einfach.

»Was im Namen der Götter ist denn da los?« fragte Caramon, als er und Tanis, immer noch in ihren gestohlenen Drachenrüstungen, von ihrem verborgenen Aussichtspunkt im Gebirge westlich von Neraka aus auf die Ebene spähten.

Schwarze Linien schlängelten sich über die Ödnis auf das einzige Gebäude im Umkreis von vielen Meilen zu – den Tempel der Königin der Finsternis. Es sah aus, als ob Hunderte von Vi59pern sich aus dem Gebirge wanden, aber es waren keine Vipern. Es waren mehrere tausend Drachensoldaten. Die zwei Männer sahen hier und dort in der Sonne Speere und Schilde aufblitzen. Blaue, rote und schwarze Flaggen mit den Wappen der Drachenfürsten flatterten an hohen Masten. Hoch über ihnen füllten Drachen den Himmel in entsetzlichen Regenbogenfarben – rot, blau, grün und schwarz. Zwei gigantische Fliegende Zitadellen schwebten über dem ummauerten Tempelareal; die Schatten, die sie warfen, ließen eine ewig währende Nacht entstehen.

»Weißt du«, sagte Caramon langsam, »es war gut, daß uns der alte Mann angegriffen hat. Wir wären massakriert worden, wenn wir auf unseren bronzenen Drachen in diesen Mob geritten wären.«

»Ja«, stimmte Tanis abwesend zu. Er hatte über den »alten Mann« nachgedacht, einige Dinge zusammengefügt, sich erinnert, was er selbst gesehen und was Tolpan ihm erzählt hatte. Je länger er über Fizban nachdachte, um so näher kam er der Wahrheit. Seine Haut »grauste«, wie Flint gesagt hätte.

Bei der Erinnerung an Flint fuhr ein kurzer Schmerz durch sein Herz, und er schob die Gedanken an den Zwerg – und den alten Mann – beiseite. Er hatte jetzt genug Sorgen, und es gab keine alten Magier, die ihm halfen.

»Ich weiß nicht, was da los ist«, erwiderte Tanis ruhig, »aber es arbeitet für uns, nicht gegen uns. Erinnerst du dich, was Elistan einst gesagt hat? In den Scheiben von Mishakal steht geschrieben, daß sich das Böse gegen sich selbst richtet. Die Dunkle Königin sammelt ihre Kräfte, einerlei aus welchen Gründen. Wahrscheinlich bereitet sie sich darauf vor, Krynn den letzten tödlichen Schlag zu versetzen. Aber in dieser Verwirrung können wir mühelos hineinschlüpfen. Niemand wird zwei Wachen bemerken, die eine Gruppe von Gefangenen bringen.«

»Das hoffst du«, fügte Caramon düster hinzu.

»Ich bete darum«, sagte Tanis leise.Der Hauptmann der Torwache von Neraka war ein schwergeprüfter Mann. Die Dunkle Königin hatte nun zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn einen Kriegsrat einberufen, und alle Drachenfürsten aus ganz Ansalon trafen ein. Seit vier Tagen hielten sie ihren Einzug in Neraka, und seitdem war das Leben des Hauptmannes ein einziger Alptraum.

Die Fürsten sollten die Stadt gemäß ihrem Rang betreten.

Also traf Lord Ariakus als erster mit seinem persönlichen Gefolge ein – mit seinen Soldaten, seinen Leibwächtern, seinen Drachen; dann folgte Kitiara, die Finstere Herrin, mit ihrem persönlichen Gefolge – mit ihren Soldaten, ihren Leibwächtern, ihren Drachen; dann Lucien von Takar mit seinem persönlichen Gefolge, bis hin zum Drachenfürsten Toede von der östlichen Front.

Dieses System war nicht nur entworfen worden, um die Ranghöchsten zu ehren. Es stand die Absicht dahinter, große Mengen von Soldaten und Drachen sowie ihre Vorräte in einen Komplex hinein- und wieder aus ihm hinauszubewegen, der niemals für die Beherbergung großer Konzentrationen von Streitkräften vorgesehen war. Es war ein gutes System und hätte funktionieren können. Unglücklicherweise gab es von Anfang an Schwierigkeiten, da Lord Ariakus sich um zwei Tage verspätete.

War das Absicht gewesen, um diese Verwirrung zu schaffen, von der er genau wußte, daß sie eintreten würde? Der Hauptmann wußte es nicht und wagte auch nicht zu fragen, aber er hatte seine eigenen Theorien. Das bedeutete natürlich, daß die Fürsten, die vor Ariakus eintrafen, gezwungen waren, in der Ebene außerhalb des Tempelareals ihr Lager aufzuschlagen, bis der Lord seinen Einzug gehalten hatte. Ärger war unvermeidlich. Die Drakonier, Goblins und menschlichen Söldner wollten die Vergnügungen der Lagerstadt genießen, die hastig auf dem Tempelareal errichtet worden war. Sie waren lange Strecken marschiert und verständlicherweise wütend, daß ihnen dieses Vergnügen versagt wurde.

Viele schlichen nachts über die Mauern, von den Tavernenangezogen wie Fliegen vom Honig. Raufereien brachen aus, denn die Soldaten eines Fürsten waren nur ihrem Herrscher treu ergeben und keinem anderen. Die Verliese unter dem Tempel waren überfüllt. Der Hauptmann befahl schließlich seinen Männern, die Betrunkenen jeden Morgen in Schubkarren aus der Stadt zu befördern und sie in der Ödnis abzuladen, wo sie von ihren zornigen Kommandanten aufgesammelt wurden.

Streitereien entfachten sich auch bei den Drachen, da jeder Leitdrache versuchte, die Herrschaft über die anderen zu übernehmen. Ein großer Grüner, Cyan Blutgeißel, hatte sogar einen Roten im Kampf um einen Hirsch getötet. Pech für Cyan, denn der Rote war ein Lieblingstier der Dunklen Königin gewesen.

Der Grüne war jetzt in einer Höhle unterhalb von Neraka eingesperrt, wo sein Heulen und heftiges Schwanzwedeln Anlaß zu der Befürchtung gab, ein Erdbeben wäre im Anmarsch.

Als der Hauptmann am Morgen des dritten Tages die Nachricht erhielt, daß Ariakus eingetroffen sei, fiel er vor Dankbarkeit fast auf die Knie. Eilig rief er seine Männer zusammen und erteilte Anweisungen für den großen Einzug. Alles verlief glatt, bis einige hundert Drakonier von Toede Ariakus' Soldaten das Tempelareal betreten sahen. Betrunken und nicht mehr unter der Kontrolle ihrer unfähigen Vorgesetzten, versuchten sie auch, einzumarschieren. Über diese Störung aufgebracht, gaben Ariakus' Offiziere ihren Männern den Befehl, zurückzuschlagen. Chaos setzte ein.

Wütend schickte die Dunkle Königin ihre eigenen Soldaten, die mit Peitschen, Stahlketten und Keulen die Ordnung wiederherstellen sollten. Schwarzgewandete Zauberkundige sowie dunkle Kleriker liefen umher. Nach ausgiebigem Auspeitschen, Köpfezusammenschlagen und Zaubersprüchen herrschte schließlich wieder Ordnung. Lord Ariakus und seine Soldaten konnten das Tempelareal angemessen betreten.

Es könnte nachmittags gewesen sein – inzwischen hatte der Hauptmann völlig sein Zeitgefühl verloren (diese verdammten Zitadellen verdeckten das Sonnenlicht) -, als eine der Wachen erschien – man verlangte nach ihm an den Haupttoren.»Was ist denn los?« knurrte der Hauptmann ungeduldig und fixierte die Wache durchdringend mit seinem gesunden Auge (das andere hatte er in einer Schlacht mit den Elfen in Silvanesti verloren). »Wieder ein Kampf? Schlag ihre Köpfe zusammen und schlepp sie ins Gefängnis. Ich bin es leid...«

»K...kein Kampf, Herr«, stotterte die Wache, ein junger Goblin, der vor seinem menschlichen Hauptmann Angst hatte.

»Die Wache am T...tor schickt m...mich. Z...zwei Offiziere mit G...gefangenen wollen eine Z...Zutrittserlaubnis.«

Der Hauptmann fluchte zornig. Was kam als nächstes? Er wollte schon den Goblin zurückschicken mit der Anweisung, sie ohne weiteres einzulassen. Das Verlies war bereits mit Sklaven und Gefangenen überfüllt. Auf ein paar mehr kam es auch nicht mehr an. Fürstin Kitiaras Soldaten versammelten sich schon, zum Einmarsch bereit. Er mußte zur Stelle sein, um die offizielle Begrüßung vorzunehmen.