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Diesmal trat der Priester mit dem Krug an das linke Ende der Reihe.

Eirik fluchte. »Das ist nicht richtig. Er hätte rechts anfangen müssen. Es gibt eine Reihenfolge … So geht das nicht.« Einer der Jaguarmänner warf einen finsteren Blick in ihre Richtung.

»Sei still«, zischte Volodi. »Es ist doch egal, wo wir stehen.«

»Nein! Ich stehe auf dem falschen Platz. So geht das nicht. Alles muss seine Ordnung haben.«

»Heute hat gar nichts seine Ordnung. Stell dich nicht so an.«

»Du kannst auf meinen Platz«, bot Mikayla an.

Inzwischen hatte der erste Auserwählte seinen Stein gezogen. Er war weiß. Der Mann stöhnte vor Erleichterung.

Mikayla und Eirik tauschten ihre Plätze. Volodi fand das albern. Wenn der Tag gekommen war, zu seinen Ahnen zu gehen, dann traf es einen, ganz gleich, wo man stand. Er hatte das etliche Male im Schildwall erlebt. Man konnte mit dem Schicksal nicht feilschen!

Jetzt tauschten auch an anderer Stelle zwei Männer ihre Plätze. Der Hohepriester mit dem Federmantel, der wie auch beim letzten Mal im aufgerissenen Schlangenschlund stehen geblieben war, bellte einen Befehl.

Volodi spürte, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte. Hinter jeden der Auserwählten war ein Jaguarmann getreten.

Der Priester mit dem Krug erreichte Mikayla. Unbefangen, als sei gar nichts dabei, griff der Junge hinein, nahm ohne zu zögern einen Stein und hielt ihn dem Priester hin. Es war ein weißer Kiesel.

Volodi fragte sich, ob Mikayla überhaupt begriffen hatte, was hier vor sich ging. Nun war die Reihe an ihm. Er streckte die Hand in den Krug. Seine Fingerspitzen ertasteten sieben Steine. Gute Aussichten, noch einmal lebend davonzukommen. Er nahm einen Stein, der am Rand lag, ballte die Faust darum und zog sie aus dem Krug. Er sah Quetzalli vor seinem inneren Auge, wie sie zusammengerollt auf ihrem Lager gelegen hatte, als er gegangen war. Er wollte sie wiedersehen!

Zögerlich öffnete er die Hand. Ein weißer Stein. Auch er stöhnte vor Erleichterung auf.

Eirik neben ihm brauchte noch länger, um seine Entscheidung zu treffen. Endlich zog er die Hand aus dem Krug.

Er hatte den goldenen Stein gezogen. Eirik räusperte sich, blinzelte, als könne er nicht glauben, was geschehen war. Dann schüttelte er einfach nur den Kopf. »Alles ist aus der Ordnung geraten«, sagte er leise. »Ich wünsche dir Glück, Volodi. Manchmal überlebt man Jahre. Du solltest Kinder haben. Ich kann mir vorstellen, dass du ein guter Vater wärst.« Mit diesen Worten trat er aus der Reihe und verneigte sich vor den anderen Auserwählten. »Es war mir eine Freude, euch kennengelernt zu haben. Genießt die Freuden des Gartens, damit ihr eines Tages leichten Herzens gehen könnt und unsere Ahnen stolz macht.«

Mit diesen Worten trat er aufrecht in den Schlangenschlund und stieg, gefolgt von den Priestern, die Treppen hinab. Die Zapote zogen sich zurück. Ein Teil der Jaguarmänner ging ebenfalls durch den Schlangenschlund, die Übrigen verschwanden in den Schatten der Gärten.

»Was war das?«, fragte Mikayla verwundert.

»Das war ein tapferer Mann«, entgegnete Volodi niedergeschlagen. Das Gefühl der Erleichterung war bedrückender Traurigkeit gewichen. Er legte seinem Wagenlenker einen Arm um die Schultern. »Du musst noch viel über diesen Ort lernen.« Und dann erzählte er Mikayla von den Regeln, von Quetzalli und Ichtaca. Davon, dass sie alle im Vorhof des Todes lebten.

Als Volodi sein Haus sah, stand Quetzalli am Fenster ihres Zimmers. Sie winkte ihm zu und verschwand. Es war gut, nach Hause zu kommen. Dass man diesen Ort ein Zuhause nennen konnte …

An der Tür saß Ichtaca und schnitt Fleisch. Er grinste breit. »Ich habe für dich gebetet, Auserwäh… äh, Herr. Die Gefiederte Schlange hat mich erhört.« Er deutete mit dem Steinmesser auf das Fleisch. »Heute wird es eine besondere drusnische Spezialität geben: angebrannter Bärenschinken in klebriger Sauce. Euer Begleiter kann gerne mitessen.«

Volodi lachte. »Meine Mutter hätte mich nicht besser empfangen können.«

Plötzlich räusperte sich Ichtaca und warf einen Blick an ihm vorbei ins Innere des Hauses.

Volodi drehte sich langsam um, und da stand sie auf der untersten Treppenstufe: Quetzalli. Sie kam auf ihn zu und schloss ihn fest in ihre Arme. Dass ihnen ein Fremder zusah, war ihr ganz egal. Als sie ihren Kopf von seiner Brust löste, schimmerten Tränen in ihren Augen. »Wohl Odi«, sagte sie mit einer Erleichterung, in der immer noch Todesangst nachklang.

»Komm zur Mittagsstunde zum Essen, Mikayla. Jetzt möchte ich allein sein.«

Der Wagenlenker grinste schief. »Versteh ich.«

Ein seltsames Lied vor sich her summend, ging er davon. Volodi war fassungslos, wie unbeschwert sein Kampfgefährte war. Ganz, als könne ihm nichts auf dieser Welt etwas anhaben. Einen Moment lang beneidete er ihn um diese Leichtigkeit.

Dann sah er Quetzalli an und wusste, dass er mit niemandem auf der Welt tauschen wollte.

Das unerwartete Tun

»Du hättest ihr nicht dabei helfen dürfen«, sagte Nandalee. Die Elfe war wütend auf ihre Freundin aus der Weißen Halle, empfand aber zugleich auch so etwas wie Mitleid.

»Ich wusste nicht, was sie tun wollte«, wandte Bidayn schwach ein.

Nandalee deutete durch das Fenster hinaus auf den Rauch. »Fast einen Tag schon brennt es dort.«

»Es gibt keine Verbindung zu uns«, sagte Bidayn und hob nun trotzig ihr Kinn.

»Bist du es, die da spricht, oder Lyvianne? Denkst du eigentlich noch selbst, oder hast du das ganz ihr überlassen? In diesem Feuer sind Menschen umgekommen. Unschuldige.«

»Gibt es hier Unschuldige?«, warf Nodon ein.

»Die Menschenkinder sollten nicht auf dieser Welt sein«, nahm Bidayn Nodons Frage auf. »Du weißt so gut wie ich, Nandalee, dass der alte Pakt zwischen Devanthar und Alben ihnen verbietet, Nangog zu besiedeln. Diese Welt hätte auf immer unberührt bleiben sollen. Sieh aus dem Fenster! Sie treten diesen Pakt mit Füßen. Und jetzt kommen sie sogar in unsere Welt, um zu morden. Ist es wirklich das Feuer, über das du so aufgebracht bist? Oder liegt es nicht vielmehr daran, dass sich Lyvianne über deine Befehle hinweggesetzt hat.«

Nandalee musste schlucken. Bidayns Worte entsprachen zwar nicht ganz der Wahrheit, aber sie kamen ihr sehr nahe.

»Gonvalon und ich haben uns auch über deine Befehle hinweggesetzt«, unterbrach Nodon das Schweigen, das sich über die kleine Gruppe gelegt hatte. »Alle rebellieren gegen dich, Nandalee. Wann wirst du endlich einsehen, dass es die falschen Befehle waren, die du erteilt hast? Vorsicht in allen Ehren, aber wir können es uns nicht leisten, im Namen der Vorsicht auf der Stelle zu treten.«

»Und wir können es uns auch nicht leisten zu versagen.« Nandalee tastete instinktiv nach dem Amulett aus Blei an ihrem Hals. Jeden Abend war ihre Haut darunter dunkel. Hatte das Amulett auch auf ihren Verstand abgefärbt? War sie nicht mehr in der Lage, klar zu denken?

»Wir müssen Lyvianne helfen«, bat Bidayn. »Sie schafft es nicht alleine. Der Mann im Stein wird sie töten. Wir sind Drachenelfen. Und das heißt, wir lassen niemanden zurück!«

»Weißt du, was Drachenelfen auch nicht tun?«, fuhr Nandalee Bidayn an. »Sie verraten nicht ihre Gefährten. Sie gefährden nicht ihre Mission. Sie ignorieren nicht die Befehle der Himmelsschlangen. Nodon und Gonvalon haben gestern Nacht ein Feuer im Weltenmund angezündet. Du und Lyvianne, ihr habt fast ein ganzes Viertel niedergebrannt. Aber was Lyvianne jetzt tut, setzt alldem die Krone auf. In den Išta-Tempel zu gehen, um dort den Ort, an dem die dunkelsten Geheimnisse bewahrt werden, zu schänden, das ist dasselbe, als würde sie ein Leuchtfeuer für die Devanthar entzünden! Damit Išta auch ja nicht entgeht, dass hier ungewöhnliche Dinge geschehen.

Wir werden noch in dieser Stunde dieses Quartier verlassen, denn hier sind wir nicht mehr länger sicher. Und wir können Lyvianne nicht zu Hilfe eilen, um uns alle in dem sinnlosen Kampf zu opfern, den sie angezettelt hat.« Sie sah ihre Gefährten der Reihe nach an. Nandalee war nicht nur fassungslos, sondern auch enttäuscht. Am meisten von Gonvalon. Warum hatte er, um seiner früheren Liebe die letzte Ehre zu erweisen, die Mission gefährdet? Bedeutete sie, die lebte, weniger als die tote Talinwyn?