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»Das genügt mir nicht«, entgegnete Nandalee entschieden. »Bitte werde ein wenig konkreter.« Sie war sich der Blicke ihrer Gefährten bewusst. So sprach man nicht mit Manawyn, dem Ersten der Drachenelfen.

Doch er antwortete ohne Umschweife: »Išta war sich meiner Fähigkeiten wohl bewusst. Sie wusste, dass ich der Anführer unserer Gruppe gewesen war. Und sie wusste auch, dass die Himmelsschlangen selbst mich in die Geheimnisse der Magie eingeführt hatten. Als sie mein Gefängnis erschuf, da erklärte sie mir, dass sie mir einen langen, qualvollen Tod schenken würde. Einen Tod, bei dem meine Fähigkeiten mein Leiden verlängern würden, ohne mich letztlich retten zu können. Ich habe lange gebraucht, bis ich begriff, wie perfide ihr Plan war. Sie schloss mich in den Stein ein, und die dicken Bleiplatten verhinderten, dass meine Zauber nach außen wirken konnten. Doch nicht nur das – sie selbst waren verwunschen. Wann immer ich einen Zauber wirkte, wandte sich ein großer Teil der Kraft, die ich einsetzte, gegen mich. Hätte ich versucht, die Blei- und Steinplatten zu zerschmettern, wäre ich von der Kraft, die ich entfesselt hätte, selbst zerquetscht worden.

All dies erklärte sie mir genüsslich, bevor sie mein Gefängnis versiegelte. Natürlich habe ich ihr nicht geglaubt, und gleich nachdem ich einen Zauber gewoben hatte, der die Atemluft in meinem Gefängnis erneuerte, versuchte ich, es zu zerschmettern. Zum Glück war ich vorsichtig. So zahlte ich nur mit drei gebrochenen Rippen und etlichen Prellungen. Da begriff ich, dass meine Gefangenschaft lange währen würde. Ich verlangsamte meinen Kreislauf. Ich habe viel geschlafen und nachgedacht.«

Manawayns Kopf war ihm wieder auf die Brust gesunken. Er wirkte unendlich müde.

»Wenn ich erwachte, bearbeitete ich das Blei über meinem Kopf mit meinen Nägeln. Ich weiß nicht, wie lange ich brauchte, um einen Spalt zu schaffen, der es mir erlaubte, die Platten zur Seite zu biegen. Monde, Jahre, Jahrzehnte? Zeit war nicht mehr messbar in meinem Gefängnis. Danach habe ich sehr vorsichtig ein nadeldünnes Loch durch den Stein gedacht. Mehr wagte ich nicht. Und selbst für diesen winzigen Angriff auf die Wände meines Gefängnisses wurde ich mit einem Ozean von Schmerzen bestraft. Ich dachte, ich müsste wahnsinnig werden. Immer wieder habe ich für Wochen aufgegeben, um neue Kraft zu sammeln. Doch als ich es endlich schaffte, wurde ich mit der köstlich frischen Luft eines versiegelten Kellergewölbes belohnt. Ich meine das nicht zynisch. Etwas freier atmen zu können, war ein Geschenk! Allerdings überkamen mich Zweifel, ob ich jemals entkommen könnte. So kerbte ich mit meinen Fingernägeln meine Geschichte in das weiche Blei. Ich gestehe, dass ich zu diesem Zeitpunkt wohl schon nicht mehr ganz klar dachte. Ich klammerte mich an mein Leben, konnte aber nicht verhindern, dass sich mein Körper von innen heraus auszehrte. Erst als ich meine Arbeit am Blei vollendet hatte und es nichts mehr gab, worauf ich mein Denken richten konnte, erreichte ich jene kristallene Klarheit, die mir das ganze Ausmaß der Strafe deutlich vor Augen führte.

Niemand würde mich je im Inneren des Steins suchen! Es gab ja nichts, das auf mich hinwies. Išta hatte mir mein Gefängnis gezeigt, bevor sie mich einsperrte. Kein Name war in den glatten Stein geschnitten. Kein Bild, das auf mich hinwies. Es war einfach nur ein Stein. Niemand würde je meine Geschichte im Blei lesen. Also erhob ich meine Stimme und wob einen neuen Zauber. Wie ein Insekt seine Fühler ausstreckt, wob ich eine Kraftlinie, die hinaus zur verketteten Tür und das erste Stück die Treppe hinaufreichte. Fast nie kam jemand hinab.

Mein magischer Sinn sah das Eisen der Ketten rosten. Wann immer sich jemand näherte und diese Kraftlinie berührte, aktivierte er einen Zauber, der meine Worte aufs Neue erklingen ließ. Meine Botschaft, die Neugierige zum Stein locken sollte. Doch die Menschenkinder verschreckte der Zauber nur, und sie kamen noch seltener.

Die Zeiten, in denen ich schlief, wurden länger. Bald hatte ich kaum mehr die Kraft, mich zu rühren, wenn ich wach war. Nur mein Verstand hatte alle Fesseln abgestreift. Ich wusste, ich würde mich in den Tod hinüberschlafen. Ich bemerkte, dass mein Zauber, mit dem ich meine Worte für die Ewigkeit hatte konservieren wollen, zu vergehen begann. Ich fand nicht mehr die Kraft, ihn zu erneuern. Alles, was mir noch an Willen verblieben war, wollte ich in einen letzten, meinen mächtigsten Zauber legen. Ich band meine Seele an mein Gebein, sodass ich niemals wiedergeboren werden würde. Und ich ersann einen Zauber, der von jedem, der sich meinem Gefängnis näherte, Lebenskraft stahl, um sie mir zuzuführen.

Da ich schwach war, besiegelte ich den Zauber mit meinem Blut. Ich gab mein Leben hin, um die Möglichkeit der Wiederkehr zu erhalten.« Er hob seine faltige Rechte, an der die Nägel lang wie Krallen waren. »Ich schlitzte meine Kehle auf und gab mein Leben in der Hoffnung, es zugleich zu erhalten. Einen letzten Funken meines Willens an das hagere Gerippe zu binden, das im Stein gefangen war. Und tatsächlich. Etwas blieb, bis Lyvianne kam.«

Nandalee sah zu der dunklen Meisterin, der vielleicht besten Zauberweberin der Weißen Halle. Sie wirkte ausgezehrt und mit ihrem rabenschwarzen Haar sah sie Manawyn sogar ein wenig ähnlich. Sie hatte die Taten Manawyns sicherlich gut verstanden. Nandalee hingegen war der alte Meister unheimlich. Sie wusste nicht, ob sie ihm vertrauen durfte. Wahrscheinlich würde er sie bei ihrem Versuch, zu Nangog vorzustoßen, sogar unterstützen. Aber sie ahnte, dass er das nicht täte, um ihnen zu helfen. Er wollte seine eigene, alte Mission erfüllen, und ihr Leben und das ihrer Gefährten wäre für ihn nur von untergeordneter Bedeutung.

»Warum hast du Lyvianne angegriffen, als sie dein Gefängnis öffnete?«

»Sie hatte die Gestalt eines Menschensohns, eines Priesters.« Er zog bedauernd die Schultern hoch. »Und ich gestehe, ich war gierig. Ich war nicht mehr weit davon entfernt, endgültig zu vergehen. Ich habe mich genährt, ohne an mein Opfer zu denken. Erst als ich wieder ein wenig zu Kräften kam, spürte ich, dass das kein Menschensohn sein konnte, der da zu mir gekommen war. Doch da war sie bereits geflohen.«

»Bei mir war es ganz ähnlich«, sagte Lyvianne. Sie hatte bisher geschwiegen und lehnte noch am Eingang ihres Verstecks. Sie sah blasser als gewöhnlich aus, und sie sprach leise. »Als ich gegessen hatte und mich etwas gestärkt fühlte, habe ich verstanden, was geschehen war. Ich ging zurück zum Tempel der Išta und sprach in Gestalt des Tuwatis mit dem Kolleg der Tempelvorsteher. Sie alle hatten Geschichten davon gehört, dass etwas Dunkles in den Tiefen Gewölben gefangen gehalten wurde. Dass dort eine fremde, daimonische Kraft in Bann geschlagen worden war. Die Älteren von ihnen hatten alle schon einmal gesehen, wie verstört die Bewahrer der Tiefen Gewölbe zurückkehrten, wenn sie ihrer Pflicht nachkamen. Ich erklärte ihnen, dass der Zauberbann, der das Böse fernhielt, geschwächt sei und Menschenopfer nötig seien, um ihn erneut zu stärken. Sie gaben mir zehn Sklaven. Junge, starke Männer, denen ich weismachte, dass sie mir bei der Reparatur einer beschädigten Wand helfen sollten. Aus Respekt vor dem Heiligtum wurden sie alle in feierliches Schwarz gewandet und ihre Häupter verhüllt. Sie halfen mit ihrem Leben, Manawyns Kraft zu stärken.

Als ich mit einem Mann in Schwarz zurückkehrte, erklärte ich den Priestern, neun Leben seien genug gewesen. Ich beruhigte sie, dass der alte Bann wieder stark sei und ich alle Pforten in die Tiefe erneut versiegelt hätte. Niemand wird nachsehen, was dort unten geschehen ist.«

Nandalee sah von Lyvianne zu Manawyn und wieder zurück. Ihr gefiel nicht, was geschehen war, aber es war nicht mehr rückgängig zu machen. Auch hatte sie der Bericht Manawyns darin bestärkt, einen Plan zu verfolgen, der schon nach Eleborns Erscheinen begonnen hatte, erste Konturen anzunehmen.

»Wir sind also wieder sieben«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich bitte dich, Manawyn, und auch dich, Eleborn, uns nach Kräften zu unterstützen. Ich habe einen Plan, wie wir zu Nangog gelangen können, ohne dass man uns Beachtung schenken wird.« Lebend zurückzukommen war eine andere Sache, doch darüber wollte sie sich zunächst ausschweigen.