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Und wie sollten sie überhaupt zu der gefesselten Göttin gelangen? Diese Welt war hohl wie ein Ei. Und Nangog schwebte wie ein riesiges Eigelb in der Mitte der Leere. Vielleicht mussten sie einen hundert Meilen tiefen Abgrund hinab, um zu ihr zu gelangen.

Nodon sah in den wolkenverhangenen Himmel. Würde er je wieder in die Sonne blicken?

»Na, Jungs, habt ihr die Hosen voll?« Kolja kam die Reling entlanggeschlendert. »Dich kenne ich doch, Blondschopf! Wo sind wir uns schon mal begegnet?«

»Auf der Hochebene von Kush, Hauptmann«, entgegnete Eleborn zackig. Dem Jungen machte es Spaß, ein Menschenkind zu spielen, dachte Nodon. »Ich bin Hauptmann Volodis Wagenlenker.«

»Volodis Wagenlenker?« Kolja strich sich nachdenklich über das Kinn. Da lag ein Ausdruck in seinen Augen, der Nodon nicht gefiel. Etwas stimmte mit dem Kerl nicht.

»Hast dich in der Schlacht wacker geschlagen. Hab von dir gehört. Und wer ist dein Kamerad da?«

»Einer der Kushiten, Hauptmann!«

»Ach, und ich dachte, das seien alles große, muskelbepackte Bauerntrampel.«

»Ich bin einer der kleinen, gemeinen Bauerntrampel«, entgegnete Nodon kühl.

Kolja sah ihn durchdringend an. Dann plötzlich fing der Hüne an zu lachen »Also, du bist ein Kerl wie dieser verdammte Ashot. Vor solchen wie dir muss man sich in Acht nehmen.«

»Vor allem, wenn man einen Katzenschwanz trägt, Hauptmann«, versuchte Eleborn die Lage mit einem Scherz zu entspannen.

»Ich bin kein Hauptmann mehr, Junge. Ich bin jetzt ein reicher Mann. Und ich bin nur hier, weil der Unsterbliche Aaron mich und meine Zinnernen für heute um einen Gefallen gebeten hat. Weil er weiß, wie unsere Herzen schlagen, hat er uns für diesen Kampf so unanständig viel Gold geboten, dass ich unmöglich ablehnen konnte.« Kolja grinste, und seine Narben verzogen sich zu einer Grimasse des Grauens. »Kommt zu mir, wenn euch die Zapote heute nicht die Eier abschneiden, und ich mache auch aus euch reiche Männer. Alles, was ihr für mich tun müsst, ist, auf ein paar hübsche Mädchen aufzupassen und ab und an ein oder zwei Schädel einzuschlagen. Nun, wär das was für euch?«

»Wie ist das mit den hübschen Mädchen? Sollen wir nur aufpassen, oder ist auch anfassen erlaubt«, fragte Eleborn mit einem anzüglichen Grinsen.

Nodon traute seinen Ohren nicht. Wie konnte man nur so tief sinken? Er würde sich lieber die Zunge abbeißen, als sich mit solchen Sprüchen bei einem Drecksack wie Kolja anzubiedern.

Das Narbengesicht verpasste Eleborn einen freundschaftlichen Hieb auf die Schulter. »Du bist richtig, Junge. Bei meinem Haufen würde es dir gut gefallen. Es ist ein besseres Leben, als auf einem Streitwagen zu stehen und Staub zu schlucken. Du würdest …« Kolja beugte sich vor und schnalzte mit der Zunge. Auch Nodon beugte sich weiter über die Reling. Unter ihnen lag der weite, weiße Platz jenseits des Tors, das zu den Tempelgärten führte. Dort war ein einzelner Mann mit rotem Umhang aufgetaucht. In der Mittagssonne glänzte das Gesicht des Mannes wie Silber.

»Das ist der Unsterbliche Aaron«, murmelte Kolja und wandte sich wieder zu ihnen um. »Seid froh, dass ihr nicht bei ihm kämpft. Da, wo er steht, verrecken die meisten.« Der Hüne schnaubte. »Es ist leicht, ein Held zu sein, wenn man eine Rüstung trägt, die einen unverwundbar macht. Und jetzt kommt mal mit, ihr Hübschen.« Kolja schlenderte in Richtung der großen Frachtluke im Deck. »Wagenlenker, du willst doch sicher bei den Ersten sein, die bei Volodi sind. Ich überlasse dir die Ehre – du wirst den ersten Trupp anführen, der landet.« Er deutete in Richtung Frachtluke, in deren Nähe Nandalee und die anderen Elfen kauerten. »Das sind deine Freunde, nicht wahr? Nimm sie alle mit.«

Nodon hatte das Gefühl, dass es nicht Gehässigkeit war, die Kolja zu der Entscheidung bewogen hatte. Da war etwas an diesem Krieger, das ihm seltsam vorkam. Er hatte in den Straßen der Stadt Gerüchte über Kolja gehört. Dieser Menschensohn war ganz bestimmt kein Feigling. Doch dort unten gab es etwas, vor dem selbst er sich fürchtete.

Kolja war weitergegangen. Er wählte noch mehr Männer für den ersten Landungstrupp aus. Es waren ausnahmslos Krieger, die nicht zu den Zinnernen gehörten.

»Los, in die Körbe mit euch, ihr Hunde«, rief er ausgelassen. »Gebt es den Kätzchen dort unten! Jeder, der mir ein Katzenfell bringt, darf sich heute Nacht in meinem besten Haus all seine Wünsche erfüllen lassen.«

Nodon war verblüfft, für wie viel gute Laune die Aussicht sorgte, eine Nacht in einem Bordell freigehalten zu werden. Er würde sie niemals begreifen, diese Menschenkinder! Was bedeutete es schon, bei einer Frau zu liegen, die einen nicht liebte?

Eleborn war der Erste, der in den Korb stieg. Nodon folgte ihm mit einem mulmigen Gefühl. Der große Korb schwankte in der Frachtluke. Alle, die einstiegen, wirkten angespannt. Nur Manawyn lächelte. Der alte Elf war während seiner Gefangenschaft wohl verrückt geworden!

Bidayn stellte sich direkt neben Nodon. Sie klammerte sich mit beiden Händen am Rand des hüfthohen Korbs fest. Sie war nicht die Einzige, die das tat. Dicht gedrängt standen sie jetzt. Mehr als zwanzig Krieger. Nodon spürte, wie sich der Boden unter ihrem Gewicht durchbog, und das Flechtwerk aus Weidenästen bedenklich knarzte. Er musste sich zwingen, nicht ebenfalls nach dem Rand zu greifen.

»Zugleich!«, erklang der Befehl eines Wolkenschiffers, und die Kurbeln an den Seiten der Seilwinden wurden gedreht. Ruckend setzte sich der Korb in Bewegung und geriet sofort leicht in Schieflage. Nodon schloss die Augen und atmete ganz langsam aus. In seinem Geiste sah er, wie das Seil so ungleich nachgelassen wurde, dass eine Seite des Korbes nach unten wegkippte, und sie alle den Tempelgärten der Zapote entgegenstürzten.

»Ich wünschte, ich säße auf Nachtschwinge«, flüsterte Gonvalon hinter ihm.

Nodon musste lachen. Die Hälfte von ihnen besaß Pegasi und war unzählige Male über den Himmel geritten. Und nun vertrauten sie sich diesem zerbrechlichen Korb an und der vagen Hoffnung, dass die Menschenkinder es schafften, gleichmäßig zu kurbeln. Nicht nur Manawyn war verrückt!

Mit einem Ruck kam ihr Korb auf Höhe des untersten Frachtdecks zum Stehen. Durch den Spalt zwischen Bordwand und Korb konnte Nodon das Weiße Tor sehen. Der Unsterbliche Aaron sprach mit einem Priester. Glaubte er wirklich, die Zapote würden seinen Hauptmann freilassen?

Neue Regeln

Zwei Jaguarmänner stürmten in die kleine Küche, packten Volodi bei beiden Armen und rissen ihn vom Boden hoch.

»Was ist los?«, rief er erschrocken, als er zur Tür gezerrt wurde.

Sie riefen etwas in ihrem grässlichen Kauderwelsch.

»Die Gefiederte Schlange verlangt nach neuen Opfern«, übersetzte Ichtaca erschrocken.

»Das muss ein Irrtum sein.« Volodi stemmte sich gegen den Griff der beiden Krieger und fing sich einen Tritt in die Kniekehlen. »Heute ist kein Tag für ein Opfer«, begehrte er auf, während er durch die Tür gezerrt wurde.

Draußen stand Necahual, Quetzallis Bruder. »Es tut mir leid«, murmelte er und verschwand dann in Volodis Haus. Bevor der Drusnier weiter den Weg hinabgezogen wurde, sah er noch, wie Necahual aufgebracht auf seine Schwester einredete.

Volodi gab es auf, Widerstand gegen die Zapote zu leisten. Er wusste, dass es sinnlos war. Er dachte an Eirik und daran, wie gefasst sein Kamerad durch das Schlangenmaul getreten war. Sollte heute seine Zeit gekommen sein, wollte er nicht weniger würdevoll abtreten. Seine Ahnen würden auf ihn blicken, wenn es so weit war. Sogar hier in Nangog, da war er sich sicher. Sie wussten, wann und wo ihn die Stunde des Todes erwartete. Sie würden dort sein. Im Wind und im Rauschen der Blätter der Bäume.

Als sie am Schlangenschlund ankamen, wartete kein anderer Auserwählter. Hatten sie ihn zuerst geholt? War das ein Zufall?

Aus dem Schlund ertönte der unheimliche Hornruf. Der Priester mit dem prächtigen Federmantel stieg die erleuchteten Stufen hinauf. Volodi blickte zurück zu den Wegen, die hierherführten. Noch immer war kein anderer Auserwählter zu sehen.