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Plötzlich stürzte sich der letzte, noch verbliebene Adlerkrieger von der obersten Terrasse. Er fiel, weitete die Arme, und Flügel schwangen auf. Artax hielt staunend in seinem Lauf inne. Der Zapote hatte sich nicht nur in Federn gehüllt, nein, er schien wirklich ein Vogel zu sein! Durch den Schnabel der Helmmaske sah er die dunklen Augen des Kriegers funkeln. Mit kräftigen Flügelschlägen gewann er an Höhe, schwang sich auf über den Opferplatz. Zwei Pfeile verfehlten ihn.

Artax fasste sich und lief weiter, als er Ashot hinter sich gellend aufschreien hörte. »Über Euch, Herr!«

Als der Unsterbliche aufblickte, krallten sich Fänge aus Obsidian in seinen Maskenhelm. Artax verlor das Gleichgewicht, taumelte zurück und riss dabei sein Schwert hoch, um es dem unheimlichen Angreifer in den Leib zu rammen. Die steinernen Krallen brachen, und messerscharfe Splitter drangen durch die Sehschlitze in seinen Helm. Artax blinzelte. Etwas war ihm in die Augen geraten. Hart schlug er auf die Treppe auf und rollte einige Stufen hinab, dabei kreischte der Zapote wie ein Raubvogel. Auch er war gestürzt und seine Flügel zerbrochen.

Artax blinzelte. Seine Augen tränten. Es brannte. Er sah nur noch verschwommen. Sein Schwert war ihm entglitten. Benommen tastete er nach dem Dolch an seinem Gürtel. Er fand den Griff, zog die Waffe und rammte sie dem Vogelmann in die Seite, der auf den Stufen vor ihm lag und nicht aufhörte, wie ein angriffslustiger Raubvogel zu kreischen. Nichts Menschliches war mehr in diesen Schreien.

»Er ist tot«, erklang die vertraute Stimme Ashots.

Artax tastete nach seinen Augen. Seine Handschuhe glitten über das Metall des Maskenhelms. Er konnte nicht richtig sehen. Tränen rannen ihm die Wangen hinab. Es fühlte sich an, als sei ihm Salz in die Augen geschüttet worden. »Volodi …«, stieß er benommen hervor.

»Dort oben regt sich nichts mehr«, sagte Ashot mit belegter Stimme.

Artax stemmte sich hoch. Seine Finger streiften den Schwertgriff. Er umklammerte die verwunschene Klinge. Noch immer konnte er nicht richtig sehen. Seine Augen wollten nicht aufhören zu tränen.

»Herr …«

Artax blickte auf. Sein Rücken schmerzte vom Sturz. Sein linkes Knie fühlte sich an, als stecke ein glühender Nagel darin. Er blinzelte. Statt eines Gesichts sah Artax nur Schlieren aus zerlaufender Farbe. Er kniff die Augen fest zusammen, zählte stumm bis zehn und öffnete sie wieder, aber es wollte nicht besser werden.

»Herr, Ihr weint blutige Tränen.«

Die gefiederte Schlange

Der Pfeilhagel hatte aufgehört. Volodi öffnete vorsichtig die Augen. Er konnte nur flach atmen. Mit jedem Heben und Senken seiner Brust peinigte ihn ein stechender Schmerz. Ein Pfeil ragte aus seiner rechten Brusthälfte. Zwischen seinen Rippen hindurch hatte er sich in sein Fleisch gegraben. Ein zweiter Pfeil steckte in seinem rechten Oberschenkel. Um ihn herum war alles voller Blut. Drei tote Krieger lagen um den Opferstein, gebettet in ihre bunten Federmäntel. Ein Pfeil hatte seine linke Fußfessel durchtrennt, und Volodi hatte die Gelegenheit genutzt, sich vom Altarstein zu wälzen, während der schwarz bemalte Priester, der Quetzallis Messer aufgenommen hatte, von mehreren Pfeilen getroffen worden war.

Quetzalli, dachte Volodi verzweifelt. Sie war die Erste gewesen, die ein Pfeil getroffen hatte. Warum sie? Er hatte es in ihrem Blick gesehen. Sie hätte ihm niemals etwas zuleide getan. Sie hatte nach einem Fluchtweg für sie beide gesucht. Quetzalli!

Er zerrte an der rechten Lederfessel. Dadurch, dass er am Boden lag, hatte er etwas mehr Spielraum, sich zu bewegen. Volodi nahm einen der zersplitterten Pfeile, die um ihn herumlagen und begann, mit dessen verbogener Bronzespitze das Lederband zu bearbeiten, das ihn an den goldenen Ring im Boden fesselte.

Plötzlich fiel ein Schatten auf ihn. Ein hochgewachsener Krieger, dessen Gesicht unter einem Maskenhelm verborgen war, über den rote Tränen rannen. Ein Krieger mit hagerem, unrasiertem Antlitz stützte den Unsterblichen. Aaron und Ashot!

»Helft mir!« Volodi bezahlte für den Ruf mit einem schmerzhaften Stich in der Brust.

Mit raschen Schwerthieben durchtrennte Ashot die Fesseln. »Du lebst«, sagte der Bauer erleichtert. »Aber der Pfeil in deiner Brust …. Das sieht übel aus.«

Volodi hörte gar nicht hin. Was war mit Aaron? »Geht mich sich gut!«, sagte er entschieden und kämpfte seinen Schmerz nieder. Er setzte sich auf und versuchte, auf die Beine zu kommen. Er benötigte beide Hände, um sich am Opferstein hochzuziehen. Wo war Quetzalli?

Er entdeckte sie halb begraben unter dem Leichnam des schwarzbemalten Priesters. Auf den Opferstein gestützt, schleppte er sich voran. Er blickte auf den Pfeil in seiner Brust. Er steckte in einer Rippe. Er hatte Glück gehabt – ein Fingerbreit tiefer, und das Geschoss hätte sein Herz durchbohrt. Er griff nach dem Schaft, war aber von dem Blutverlust zu geschwächt, um ihn durchbrechen zu können. Wenn er hier lebend herauskam, würde er sich schnell wieder erholen. Hoffte er …

Endlich erreichte er Quetzalli. Volodi kniete bei ihr nieder und schob den Priester von ihrem zerbrechlichen Leib. »Quetzalli«, rief er, und Tränen liefen ihm über die Wangen. Ihr Gesicht war ganz mit Blut verschmiert, eine Hand umklammerte den Pfeil in ihrer Brust.

Quetzallis Augenlider flatterten. Ihre Lippen formten ein Wort. »Wohl …«

»Ich bin hier!«, sagte er aufgeregt.

Sie tat einen tiefen Seufzer. Ihr Blick wurde klarer. Sie tastete über ihre Brust.

Volodi sah, dass eines der Jadeplättchen ihres schweren Halsschmucks zersplittert war. Der Pfeil war darunter nicht tief in ihre Brust gedrungen. Der prächtige Priesterschmuck hatte sie wie eine Rüstung vor dem tödlichen Treffer bewahrt.

»Er hat die Priesterin aufgehoben, die Ormu mit seinem Pfeil niedergestreckt hat«, hörte Volodi Ashots Stimme hinter sich. »Ich versteh das nicht. Sie wollte ihm doch das Herz aus der Brust schneiden …«

»Sich mich retten wollte!«, rief Volodi aufgebracht.

»Geht es ihr gut?« Es waren die ersten Worte, die der Unsterbliche sprach. Seine Stimme war leise und beherrscht, so als kämpfe auch er gegen einen Schmerz an. Volodi sah das Blut, das vom Kinn der Maske tropfte. Seine Augen! »Was ist sich geschehen?«

Quetzalli stieß einen Schrei aus und deutete auf die Krieger des Unsterblichen, die sich auf dem Schlachtfeld am Ufer des Blutsees nach ihren Verwundeten umsahen. Keiner von ihnen bemerkte, wie sich die letzten überlebenden Jaguarmänner anschlichen. Die Zapote ergriffen einen großen, blonden Speerträger, der sich ein Stück weit von der Gruppe entfernt hatte. Volodi sah, wie einer von ihnen dem armen Kerl eine Krallenfaust in die Brust rammte und ihm das Herz herausriss.

Quetzalli redete aufgeregt in ihrer Sprache auf ihn ein und deutete zu der Treppe an der Rückseite des Tempels.

Die Jaguarmänner wurden nun von allen Seiten von Aarons Kriegern angegriffen. Der Zapote, der das blutige Herz in Händen hielt, warf das grausige Opfer in den See.

Quetzalli war inzwischen auf den Beinen. Sie zog sich Volodis rechten Arm über ihre Schulter und mühte sich ab, ihn zur Treppe zu bringen.

»Die Kerle sind so gut wie tot«, sagte er beruhigend, doch Quetzalli schüttelte nur den Kopf.

»Du musst dir keine Sorgen machen, Liebste.«

»Da ist eine Welle«, hörte er Ashot hinter sich sagen. Neugierig sah Volodi zum See zurück.

Etwas hob sich aus dem Wasser. Groß wie eine Insel. Länglich. Gold funkelte im unnatürlichen Licht der Höhle. Volodi hatte das Gefühl, sein Herz setze zu schlagen aus, als er erkannte, was da dem roten See entstieg: eine riesige Schlange mit goldenem Kopf. Ein Ungeheuer wie jene Kreatur, die die Zapote anbeteten. Die Gefiederte Schlange. Es gab sie wirklich!

Der Schlangendrache warf sich auf das Ufer des Blutsees, und die ganze Höhle erbebte unter dem Gewicht des Aufpralls. Aarons Krieger stoben schreiend auseinander. Die Gefiederte Schlange war entsetzlich schnell! Mühelos holte sie die Fliehenden ein, zerfetzte sie mit ihren Krallen und den silbern funkelnden Reißzähnen. Volodi sah, wie ein Bogenschütze seines Streitwagengeschwaders durchgebissen wurde, sodass nur ein Stück Rumpf und die Beine übrig blieben.