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Nodon nutzte die Gelegenheit, um sich seitlich an den Drachen heranzupirschen. Von dort sprang er auf den Rücken der Bestie, die sich aufbäumte und ihn abzuschütteln versuchte. Er griff in das Federkleid, um sich festzuhalten. Doch die Federn glitten aus dem Rücken des Drachen, als seien sie gar nicht mit dem Fleisch verwachsen.

Fast verlor Nodon das Gleichgewicht und stürzte, als ihm ausgerechnet das Bocken des Drachen einen Schubs nach vorn gab. Es gelang ihm, nach einer Feder aus Metall zu greifen. Sie hielt, und er schnellte hoch, wechselte den Griff und wollte sein Schwert wie einen Dolch tief in den Nacken des Ungeheuers treiben, als ihn ein Schwanzhieb traf und gegen die Höhlenwand schleuderte.

Benommen sah er eine Kralle auf sich niedersausen, als der Kristall neben ihm plötzlich zu wachsen begann und wie ein Speer auf die Brust des Drachen zielte. Das Ungeheuer wich zurück.

Nodon troff Blut von den Lippen. Der letzte Hieb hatte ihm mindestens zwei Rippen gebrochen. Keuchend stemmte er sich hoch und versuchte, den Abstand zum Drachen zu vergrößern. Überall um sie herum schoben sich nun knirschend Kristalle aus dem Fels. Sie drängten den Drachen an die gegenüberliegende Höhlenwand. Wütend setzte sich das Ungeheuer zur Wehr. Seine Tatzen zersplitterten dutzende Säulen, doch der Kreis aus Kristall, der sich um ihn schloss, wurde immer enger.

Die Luft war erfüllt von flirrendem Kristallstaub. Nodon versuchte, flach zu atmen. Er wusste, dass die feinen Splitter ihm die Lungen zerschneiden würden, wenn er sie einatmete.

»Schnell! Lauft!«

Nandalee! Sie trat hinter Bidayn aus dem Kristallgarten. »Nangog ist erwacht. Sie wird den Drachen aufhalten, doch nicht für lange. Lauft! Unsere Mission ist erfüllt.«

Ein Imperium zerfällt

Kolja trat durch das Weiße Tor. Ohne sich umzublicken, ließ er die Tempelgärten hinter sich. Er konnte keinem seiner Männer mehr trauen. Sie würden ihm nicht beistehen, wenn sein Stern sank. Und er konnte es ihnen nicht verübeln. Er hatte ihnen stets vorgelebt, dass allein der Starke durchkam. Noch waren sie nur verwirrt und begriffen nicht, was geschehen war. Aber sehr bald schon würde es offenbar werden.

An den Ankertürmen südlich der Gärten lagen Wolkenschiffe. Zwei von ihnen wurden ganz offensichtlich für den Abflug vorbereitet, denn lange Menschenschlangen drängten sich die steilen Treppen hinauf. Sklavenschiffe, dachte Kolja. Das traf sich gut! Dort konnte man immer einen Aufseher mehr gebrauchen.

Kurz überlegte er, ob er noch einmal in sein Zimmer zurückkehren sollte. Im geheimen Fach seiner Truhe hatte er einen Beutel mit Rubinen und Diamanten versteckt. Ein Vermögen, das ihm ein sorgenfreies Leben garantieren würde.

Doch das Freudenhaus wäre der erste Platz, an dem die neuen Garden Aarons nach ihm suchen würden. Das konnte er nicht riskieren. Wahrscheinlich wurde dem Unsterblichen bereits in diesem Augenblick klar, was er, Kolja, getan hatte. Warum er den Bogenschützen den Befehl gegeben hatte, die Spitze der Stufenpyramide mit einem Pfeilhagel einzudecken. Es war nicht um die Priester gegangen! Schließlich hatte dieser verfluchte Jäger aus Garagum ja dafür gesorgt, dass jeder, der sich Volodi mit einem Messer näherte, einen Pfeil abbekam. Kolja hatte gehofft, sein einstiger Freund würde im Pfeilhagel umkommen.

Seit der Unsterbliche Aaron ihn im ersten Morgengrauen zu sich befohlen und ihm eine unglaubliche Menge Gold dafür geboten hatte, wenn er mit den Zinnernen den Angriff auf die Tempelstadt unterstützte, hatte Kolja alles getan, um dieses Unternehmen zu sabotieren. Volodi durfte nicht aussagen! Er hatte ihn beseitigt, um die Zinnernen davor zu bewahren, immer weiter in Aarons Schlachten ziehen zu müssen. Volodi wäre dem Unsterblichen sicher treu geblieben und hätte für ihn gekämpft, bis auch der Letzte der Söldner verreckt war. Auch die Geschäfte mit den Freudenhäusern in der Goldenen Stadt hätte Volodi wahrscheinlich gestört. Er hatte einfach zu viele Skrupel!

Kolja blieb mitten auf dem weiten Platz vor der Tempelstadt der Zapote stehen. Verwundete und Feiglinge, die sich vor den Kämpfen gedrückt hatten, sammelten sich hier. »Gib mir deinen Helm«, herrschte er einen Krieger an, der, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, am Boden kauerte, sein Gesicht in den Händen vergraben. Erschrocken sah der junge Kämpfer zu ihm auf. Er schien nicht verwundet zu sein, war aber aschfahl. Manche mussten erst den Schrecken des Schlachtfeldes begegnen, um zu begreifen, dass sie nicht aus dem rechten Holz für einen Krieger geschnitzt waren.

»Deinen Helm!«, wiederholte Kolja herrisch.

Stumm reichte ihm der Mann seinen Helm. Er war aus Bronze und mit einem Busch aus weißem Rosshaar geschmückt. Ein schönes Stück, das gut zu dem Bronzepanzer und den Beinschienen passte, die Kolja trug. Der Hüne setzte den Helm auf. Er passte fast perfekt. Er sollte die Polsterung aus geflochtenem Stroh ein wenig anpassen. Aber für den Augenblick würde es vollauf genügen. Er sah sich aufmerksam um. Sein Gesicht war zu bekannt. Es war klüger, es zu verbergen, wenn er unerkannt als Söldner auf einem Wolkenschiff anheuern wollte.

Kolja nahm eine der kleineren Gassen, die auf den Weißen Platz mündeten, und lachte über sein verfluchtes Schicksal. Er hätte sich nicht mit einem Glückskind wie Volodi anlegen sollen. Wer außer ihm hätte es geschafft, lebend dem Opferstein der Zapote zu entkommen? Es hatte ihm leidgetan, seinen Freund auszuliefern, aber es war die richtige Entscheidung gewesen. Selbst gestern Nacht, als er vor den Unsterblichen zitiert wurde und Aaron ihm seine Pläne erläutert hatte, war Kolja noch optimistisch gewesen. Allerdings hatte er erst, als seine beiden Wolkenschiffe bereits bemannt wurden, Gelegenheit gehabt, einen Boten an die Zapote zu schicken, um sie zu warnen. Dass sie Volodi nicht einfach die Kehle durchgeschnitten hatten … Kolja schüttelte den Kopf. Aber wer verstand schon Männer, die sich gerne als Katzen verkleideten.

Er sah zu den Ankertürmen. Weit war es nicht mehr. Wie es schien, waren bald alle Sklaven an Bord. Die Banner Valesias schmückten die Schiffe. Ein weißer Tempel auf rotem Grund in Anspielung auf das prächtige Selinunt, das der Unsterbliche Ansur in einem weiten Tal erbauen ließ. Wenn es vollendet war, sollte es die schönste Stadt Daias sein. Ausgerechnet Valesier, dachte Kolja. Jahrelang hatten sie im Krieg mit Drusna gelegen. Ob sie wirklich einen Söldner aufnahmen, der mit unverkennbar drusnischem Akzent sprach?

Kolja warf einen Blick über seine Schulter. In der Gasse hinter ihm schwankte ein altes Männlein, das eine riesige Last frisch geschnittenen Schilfs auf dem Buckel trug. Sonst war niemand zu sehen. Er wurde also noch nicht verfolgt. Aber lange würde das nicht auf sich warten lassen. Er musste eines der beiden valesischen Wolkenschiffe besteigen, koste es, was es wolle.

Mit energisch ausgreifenden Schritten eilte er an der Mauer aus ungebrannten Ziegeln entlang, die den Frachthof umfasste, auf dem sich die beiden Ankertürme erhoben.

Selbst als Aarons Angriff begann, hatte er noch gehofft, dass alles gut enden würde. Seine Aufgabe sollte es sein, bis zum Schlangenschlund vorzustoßen und den Eingang zum unterirdischen Tempel zu sichern. Also hatte er statt erfahrener Krieger nur Kushiten für die erste Landung in den Tempelgärten ausgewählt. Krieger, denen man ihre Unerfahrenheit ansah oder die so mager waren, dass offensichtlich war, dass es ihnen an Kraft fehlen würde, ein längeres Gefecht durchzustehen. Und dann auch noch gegen diese Jaguarmänner, die auf der Ebene von Kush fast allein Muwattas Streitwagengeschwader besiegt hatten. Was hätte da schieflaufen können?

Die Besatzungen der ersten Körbe waren samt und sonders Todgeweihte gewesen! Kolja hatte seinen Augen nicht getraut, als er vom Wolkenschiff aus sah, wie eine kleine Gruppe der Krieger die Jaguarmänner niedermachte. Wen hatte der Unsterbliche ihm da geschickt? Als diese fremden Krieger bis zum Schlangenschlund durchbrachen und entgegen ihrem Befehl auch noch den Weg in die Tiefe freikämpften, hatte Kolja geahnt, dass seine Glückssträhne, die ihn zu einem der reichsten Männer der Goldenen Stadt gemacht hatte, vorüber sein musste. Sein Befehl an die Bogenschützen, die Spitze der Pyramide zu beschießen, war ein letztes, verzweifeltes Aufbäumen gegen die neue Wendung gewesen, die sein Schicksal zu nehmen drohte.