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So wie sie an der Wand kauerte, erinnerte Zarah ihn an seinen zerbrochenen Reiter. War ihre gemeinsame Zeit vorüber? In ihrem schönen Stadthaus, mit eleganten Kleidern und ihrem fast schon beleidigenden Selbstbewusstsein hatte sie ihm besser gefallen. Einer Frau wie ihr war er zuvor nicht begegnet. Vielleicht genügte es ja, sie in ihr Haus zurückzuschicken und da von vorne anzufangen, wo sie vor ein paar Tagen aufgehört hatten. Sie hatte ihm durch ihren Verrat die Ketzer ausgeliefert. Und damit sich selbst gleich mit. Würde unter den Reichen und Mächtigen bekannt, dass sie die Grünen Geister anbetete, würde niemand mehr zu ihr kommen. Er war jetzt alles, was ihr noch blieb. Eine Zeit lang wäre es sicher interessant, sie zu beherrschen. Aber es würde nicht mehr wie früher werden.

Er winkte ein Dienstmädchen herbei, das bei den Ställen Hühner fütterte. »Bring sie in Ordnung!« Wie Zarah sich gehenließ, erfüllte ihn zunehmend mit Ärger. »Sorge dafür, dass sie gewaschen wird und ordentlich ihrem Stand entsprechend eingekleidet.«

»Ich fürchte, wir haben im Palast keine Hurenkleider, Herr«, entgegnete das Mädchen und schaffte es, trotz der Frechheit unterwürfig zu klingen. Arcumenna war versucht, sie zu ohrfeigen, doch dann sah er sie genauer an. Sie war ziemlich hübsch. Vielleicht würde sie Zarahs Nachfolgerin in seinem Bett werden. Sie hatte genau jenes Temperament, das die Seidene verloren zu haben schien.

»Dann kleide sie wie eine Hofdame ein. Und sorge dafür, dass sie in einer Sänfte nach Hause gebracht wird. In diesem Zustand soll sie keiner auf der Straße sehen.« Arcumenna schüttelte den Kopf. Zarah war eine Hure. Sie war ganz gewiss nicht zum ersten Mal auf solche Art geritten worden. Was hatte sie so aus dem Gleichgewicht gebracht? Er würde Wachen mit ihr schicken, für den Fall, dass sie noch einmal versuchen sollte zu fliehen. Sollte Kolja ruhig kommen und sich anmaßen, über sein verlorenes Eigentum zu gebieten. Ein Anlass zur Fehde mit dem Faustkämpfer kam ihm nur gelegen. Er würde ihm die Freudenhäuser abnehmen und Leon rächen!

Der Unsterbliche

Noch immer war das Klirren splitternder Kristalle zu hören. Wie lange würde Nangog den Drachen aufhalten können? Was für eine Kreatur war das, die offensichtlich von den Devanthar erschaffen worden war, um die Himmelsschlangen zu verhöhnen und gegen sie zu kämpfen.

Nun war auch Lyvianne endgültig davon überzeugt, dass die Schöpfer der Menschenwelt sich darauf vorbereiteten, Albenmark anzugreifen. Der Goldene musste wissen, was hier vor sich ging, damit er die Alben und seine Nestbrüder davon überzeugen konnte, dass die Zeit zu warten vorüber war. Auch die Zeit des Taktierens! Sie mussten angreifen, die Devanthar vernichten, solange das noch möglich war. Ein friedliches Leben mit ihnen war unmöglich. Wenn die Devanthar noch einige dieser Drachen erschufen, dann würde die Mark der Alben fallen.

Endlich erreichten sie den Ort, an dem sich die Pyramide erhob und wo der rote Teich lag. Die Menschenkinder hatten ein Schlachtfeld daraus gemacht. Dutzende Männer lagen hingemetzelt. Einige waren regelrecht zerhackt. Auch hier schien der Drache mit dem Goldkopf gewütet zu haben. Kurz fragte sich Lyvianne, warum die Devanthar für die Kreatur einen Kopf aus Gold erschaffen hatten? Wollten sie damit den Goldenen verhöhnen? Sie schob den Gedanken von sich und betrachtete das Gemetzel, fassungslos, dass all dies geschehen war, um einen einzelnen Mann zu retten. Wer das wohl gewesen sein mochte? Ein König? Ein Philosoph? Wessen Leben war so viel wert?

Vor ihnen bewegte sich eine kleine Schar von Kriegern auf den Ausgang zu. Jene Treppe, die durch das Tor mit den Elfenköpfen hinauf zum Schlangenschlund führte. Bald würde auch Manawyns Kopf in der leeren Nische ruhen. Sie hatten ihn nicht mitnehmen können. Nandalee hatte es verboten. Seinen Leichnam zu tragen hätte sie langsamer gemacht. Nun war er endgültig nur noch eine tote Hülle. Manawyns Seele war frei.

Lyvianne hatte sich gewundert, dass Nandalee diese kaltherzige, aber richtige Entscheidung getroffen hatte. Gonvalon hatte zu ihrem Befehl zwar geschwiegen, aber ihm war deutlich anzusehen gewesen, wie wenig er davon hielt. Ihr Sohn war einfach zu weich, dachte die Drachenelfe traurig. Sie hatte das schon immer gewusst. Wie lange die Liebe der beiden wohl noch halten würde? Es würde zu ihm passen, wegen dieser Lappalie einen Streit anzufangen.

Sie hatten die kleine Gruppe erreicht und wollten gerade an ihr vorübergehen, als sie ein drahtiger Krieger aufhielt.

»Woher kommt ihr?«, rief er mit harscher, befehlsgewohnter Stimme. Er wirkte unwirsch mit seinem stoppelbärtigen Gesicht und brennenden Augen. Auf ihn stützte sich ein großer Mann, dessen Antlitz hinter einem Maskenhelm verborgen war.

»Tiefer aus der Höhle«, entgegnete Nandalee ruhig. »Kolja hat uns dorthin geschickt, um die Flanke zu sichern. Dann kam dieses Ungeheuer …« Sie senkte die Stimme. »Die meisten meiner Männer sind tot.«

Keine schlechte Lügengeschichte, dachte Lyvianne und musste ein Schmunzeln unterdrücken. Kolja war nirgends zu sehen. Bevor diese Lüge auffliegen würde, wären sie längst auf und davon.

»Steigt die Treppe hinauf«, befahl der Mann mit dem Maskenhelm und deutete mit dem Schwert zu den Stufen hin. Es war eine ungewöhnliche Klinge, die von einem grünen Licht umspielt wurde. Ein verzaubertes Schwert in der Hand eines Menschensohns? Lyvianne konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn durch ihr Verborgenes Auge zu betrachten. Das Licht der Kraftlinien, die ihn umspielten, war blendend hell. Er war von etlichen Zaubern umwoben, sodass seine eigentliche Aura fast nicht mehr wahrnehmbar war. Das Schwert und seine Rüstung mussten von den Devanthar erschaffen worden sein.

»Was ist Euch geschehen, Herr?«, fragte sie, bemüht, nach echter Anteilnahme zu klingen.

»Splitter. Ich habe irgendwelche Splitter in die Augen bekommen. Es geht aber wieder besser.«

Er war kein guter Lügner, entschied Lyvianne. Sie spürte deutlich seine Angst, die er kaum mehr zu beherrschen vermochte. Er fürchtete zu erblinden, und da war noch eine andere Furcht … Er hatte Angst um sein Leben. Warum?

»Darf ich Euch helfen, Herr? Ich bin ein wenig erfahren …«

»Bei Hof erwarten ihn die besten Heilkundigen des Reiches!«, schnauzte sie der drahtige Kerl an, der ihn stützte. »Er braucht keinen Idioten, der an seinen Augen herummacht und alles verschlimmert.«

»Lass ihn, Ashot. Er meint es gut. Er …«, der Mann mit der Maske brach ab. Tief in der Höhle erklang ein gewaltiges Bersten. Der Boden erzitterte unter ihren Füßen. Der Drache musste sich aus seinem kristallenen Gefängnis befreit haben.

»Es ist keine Zeit dafür, wir müssen sofort hier heraus! Schnell!«, zischte Nandalee und sah Lyvianne vorwurfsvoll an.

Sicher sollten sie sich beeilen, doch diese Gelegenheit war einmalig! Ein Unsterblicher stand vor ihnen. Einer der sieben Herrscher Daias. Nandalee fehlte es einfach an Visionen. Welche Geheimnisse könnte sie durch diesen Menschensohn ergründen! Seine Gedanken und Erinnerungen wären ein unfassbarer Schatz.

Sein mürrischer Gefährte half dem Unsterblichen die Stufen hinauf. Der Menschensohn war völlig hilflos. Und dennoch bestand er darauf, als Letzter die Höhle zu verlassen. Ein Held ganz nach Gonvalons Geschmack, dachte Lyvianne.

Nandalee eilte als Erste die Treppe hinauf und gab ihnen allen das Tempo vor. Die beiden Menschenkinder und ihre Getreuen, die trotz des Drachens geblieben waren, konnten nicht mit ihr und den anderen Elfen mithalten. Und Lyvianne wollte nicht. Sie war einem Unsterblichen begegnet, der keine Ahnung hatte, wer sie war oder was sie zu tun vermochte!