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Bidayn versuchte sich an den Schwerttanz Gonvalons zu erinnern. All die frühen Morgenstunden des Übens, die sie lehren sollten, mit sich im Gleichgewicht zu bleiben und die Kraft des Gegners gegen ihn zu wenden. Auf den Schultern eines bärtigen Greises hielt sie inne und wandte sich zu ihrem Verfolger um. Sie könnte schneller als der silberne Löwe sein! Sie wusste es!

Entschlossen lief sie ihm entgegen und tatsächlich verlangsamte sich das Raubtier. Sie versetzte ihm einen Hieb quer über die Schnauze, doch ihre Klinge richtete auf dem silbern schillernden Metall kaum einen Schaden an. Sie wich ihm aus und entging nur knapp einem weiteren Tatzenhieb. Jetzt war er wieder genauso schnell wie sie. Wann immer sie ihrem Zauber mehr Kraft gab, zog er nach, als seien sie miteinander verbunden.

Bidayn wich ein Stück zurück und strauchelte, als sie von einer Schulter abrutschte. Sofort war der silberne Löwe bei ihr. Die Elfe warf sich zurück, und der Tatzenhieb, der ihr gegolten hatte, riss einem jungen Lastenträger das Gesicht weg. Beklemmend spürte sie die Hitze der Kraftlinien, die sich immer enger um sie zusammenzogen, wie ein Fischernetz, das eingeholt wurde. Das magische Gefüge wehrte sich immer entschiedener gegen die Verzerrung der Zeit. Lange würde ihr Bann sie nicht mehr schützen.

Sie schob sich zwischen die Leiber der Menschen, suchte nun eher Deckung, als dass sie noch über einen Angriff nachdachte. Dabei bewegte sie sich bewusst immer weiter von Lyvianne weg. Der silberne Löwe folgte ihr und fegte mit wütenden Hieben die Menschenkinder zur Seite.

Bidayn duckte sich unter einem Kamel hindurch, auf dessen Rücken ein kleines Zelt aufgeschlagen war, das durch die allgemeine Panik gerade zu verrutschen begonnen hatte. Eine verschleierte, schlanke Frau stürzte zwischen den Vorhängen aus grün und weiß gestreiftem Leinen. Doch wie alles auf dem weiten Platz war auch diese Szene in der Zeit gefroren, so schnell bewegten sie sich. Bidayn steigerte ihr Tempo ein weiteres Mal, und ein Gefühl überkam sie, als sei sie in einem glühenden Käfig gefangen. Aus der Tunika unter ihrer Rüstung stieg Dampf auf. Ihr Schweiß verdunstete und bald schon würden die Kraftlinien unbarmherzig in ihr Fleisch schneiden.

Ein Tatzenhieb rammte durch den Leib des Kamels. Überdeutlich sah Bidayn Fleischfetzen zwischen den Krallen des Löwen, die sich krümmten, gebraten wurden und dann zu schwarzer Kohle verbrannten, während Blut auf der fast menschenkopfgroßen Pfote verdampfte. Die Elfe schrie auf, so nah war ihr die Pfote gekommen. Sie spürte die sengende Hitze, die von dem Metall ausging, fast wie eine körperliche Berührung.

Ihre Angst verlieh ihr Flügel. Vergessen war die Gefahr, die vom magischen Netz ausging. Der Löwe war viel konkreter, und er würde nicht mehr lange brauchen, um sie zu erwischen. Hinter dem Kamel schob sich Bidayn zwischen zwei Lastenträgern hindurch, erreichte einen von Leibwachen umringten Würdenträger, griff ihm in den dichten Bart, setzte einen Fuß auf seinen ausladenden Wanst, der durch eine breite Bauchbinde noch betont wurde, und schwang sich hoch auf die Schultern des Mannes. Die Speere seiner Leibwächter ragten wie ein geschliffener Bronzewall um sie auf.

Der Löwe erschien zwischen den Lastenträgern. Doch seine Bewegungen wirkten ungelenk, und dunkler Rauch quoll aus seinem Schlund. Er versuchte zu brüllen, doch statt des wilden Schreis, den er eben noch von sich gegeben hatte, entrang sich seiner Kehle nun ein Geräusch von kreischendem Metall.

Sollte sie das Rennen gegen ihn gewinnen können? Immer drängender empfand Bidayn die Hitze des magischen Netzes, das gegen sie aufbegehrte. Flüchtig blickte sie auf ihre Hand. Ihre Haut begann sich zu röten, als habe die Sonne sie verbrannt. Sie sprang von den Schultern des Würdenträgers, zwischen den Speeren hindurch in die Menge. Ihr Fuß traf das Gesicht einer alten Frau, ohne Halt zu finden. Abgleitend krallte sie sich in das struppige Haar ihres Opfers, schwankte und trat auf den Kopf eines erstaunlich kleinen Mannes, dessen Haar sich in der Mitte des Hauptes zu lichten begann, sodass eine Insel braungebrannter Haut in dem Meer rot eingestaubter Locken erschien.

Der Löwe schien Schwierigkeiten zu haben sich zu bewegen, als würde eine unsichtbare Macht ihn zurückhalten. Bidayn balancierte mit einem Fuß auf dem Kopf des kleinen Mannes, mit dem anderen auf der Schulter der Alten und hielt sich mit der Linken an einem aufragenden Speerschaft fest. Verwundert beobachtete sie das Tier. Seine Pfoten gruben sich in das Pflaster. Er lehnte sich vor, kam aber nicht von der Stelle. Immer mehr Qualm stieg von ihm auf. Er rauchte aus all den Spalten zwischen den Schuppen, aus denen sein Leib zusammengesetzt war. Linien aus gelb glühendem Licht spielten über seinen Silberleib, wurden dichter und heller. Sie bildeten ein Rautenmuster!

Jetzt erst begriff Bidayn, was sie sah. Anders als sie war der Löwe von keinem Schutzbann umgeben. Er hatte sich im magischen Netz Nangogs verfangen, das alles vernichtete, was zu tief in die Ordnung eingriff, die die Riesin einst erschaffen hatte.

Bidayn atmete erleichtert aus und ließ sich in der Zeit vorwärtsfallen. Nicht zu sehr, nur gerade genug, um den Ansturm gegen ihren Bannspruch ein wenig zu lindern. Das Ende des Silberlöwen kam schnelclass="underline" Die Linien aus gleißendem Licht brannten sich in das Metall und zerteilten den Löwen in tausend rautenförmige Blechstücke, ebenso sein Innenleben aus seltsamen, gezahnten Rädern, Spulen aus Metallbändern und grünen Kristallen. Er sah aus, als sei er in eine jener mörderischen Fallen geraten, wie sie die Zwerge in der Tiefen Stadt in ihren Tunneln aufgestellt hatten. Von schweren Messern zerteilt, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.

Erschöpft folgte Bidayn der blutigen Spur, die der Löwe hinterlassen hatte. War er nicht abgestellt gewesen, die Menschenkinder zu beschützen? Ihr Leben schien ihren Göttern nicht viel zu bedeuten.

Sie fand Lyvianne immer noch stürzend, kaum zwei Handbreit tiefer gesunken, so wenig Zeit war vergangen. Mit einem Seufzer stemmte sie sich ihre Lehrerin erneut auf die Schulter und trat durch die Goldene Pforte. Sie drang tief in das magische Wegenetz ein, wählte Abzweige, um ihre Fährte zu verwischen, und trat dann durch den Albenstern, der sich an jenem Ort befand, an dem über die Zukunft dreier Welten entschieden werden würde.

Ein neues Leben

Als Zarah die Augen öffnete, sah sie nichts als roten Staub. Benommen versuchte sie sich zu erinnern, was geschehen war. Etwas lag schwer auf ihr. Sie regte ihre Glieder. Klackend stießen Steine gegeneinander. Ihr Mund war voller Staub, ihre Kehle eine Wüste und jeder Atemzug eine Qual. Sie versuchte zu schlucken, doch das verschaffte ihr keine Linderung. Sie musste trinken! Sie konnte sich nicht erinnern, sich je in ihrem Leben so durstig gefühlt zu haben. Blinzelnd erkannte sie nun die Vorhänge einer Sänfte. Aber sie stand schief, so als seien die hinteren Tragebalken gegen eine Hauswand gelehnt. Ziegelsteine lagen auf ihren Beinen. Zarah bewegte sich erneut. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren linken Knöchel. Und mit dem Schmerz kehrte die Erinnerung zurück. Horatius, der Hauptman ihrer Eskorte, hatte etwas gerufen. Die Wand! Danach waren alle Erinnerungen ausgelöscht.

Zarah tastete nach ihrem Kopf. Ihre Schläfe war geschwollen. Sie hatte einen Hieb abbekommen. Stöhnend befreite sie sich von den Steinen in der Sänfte und kroch zwischen den Vorhängen hindurch. Was sie sah, ließ ihren Atem stocken. Sie hatte gewusst, dass es kommen würde. Barnaba hatte das Beben, mit dem Nangog die verderbte Stadt vom Weltenmund abschütteln wollte, in grellen Farben geschildert, aber der Anblick der Straße vor ihr übertraf alles, was sie sich hatte vorstellen können.