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Die Gefährten tauchten in das Labyrinth der auf Stelzen gebauten Fischerhütten ein. Unter den Häusern türmte sich allerlei Unrat. Zerbrochene Krüge, leckgeschlagene Boote, zerrissene Netze. Nandalee sah einen einäugigen Hund mit gelbem Fell gierig aus einem schmalen Rinnsal Palmöl trinken, das sich seinen Weg durch den Schlamm suchte.

Überall liefen Männer mit Schüsseln, Schalen und Töpfen herum, um möglichst viel von dem kostbaren Nass zu retten. Nandalee beobachtete einen nackten Alten, der mitten in einer Pfütze saß und sich mit einer Mischung aus rotem Schlamm und Öl einrieb. Als er ihren Blick bemerkte, schenkte er ihr ein zahnlückiges Lächeln. »Ist gut für meine Haut!«, erklärte er und rieb sich mit beiden Händen über seine eingefallene Brust, aus der seine Rippen hervorstachen wie Spanten aus dem Skelett eines gestrandeten Bootes.

Über ihm hingen an Hunderten dünnen Seilen kleine, fingerlange Fische zum Trocknen, die nun alle mit rotem Staub bedeckt waren. Ihre verdorrten Körper tanzten wie Blätter im Wind.

»Hierher!«, rief Nodon, der auf einem Steg mit einem knochigen Menschensohn verhandelte. Schließlich drückte er dem Mann seinen ganzen Geldbeutel in die Hand und winkte sie hinunter zu einem primitiven Boot. Es war aus dicken, durch Seile miteinander verbundenen Schilfbündeln gefertigt. Die Bündel an Bug und Heck waren hochgebogen und mit roter Farbe getränkt. Sie mussten sich rittlings auf das Boot setzen, als würden sie einen Baumstamm reiten. Ihre Beine hingen ins Wasser.

Nodon reichte ihnen allen Paddel und stieß das Boot vom Steg ab. Ringsherum schillerte das Wasser in allen Regenbogenfarben vom Palmöl, das als dünner Teppich darauf trieb.

»Schneller!«, rief Nodon und tauchte sein Paddel ins Wasser »Schn…«

Ein tiefer, dumpfer Ton hallte über das Wasser. Nandalee blickte über die Schulter zurück zur Stadt. Über den Lagerhallen wuchs eine Flammenwand hoch in den Himmel. Dichter, schwarzer Rauch quoll aus den Ruinen und wurde vom Wind hinab zu den tiefer gelegenen Terrassen gedrückt, wo er sich wie ein schwarzes Tuch über das Armenviertel legte. Inmitten des Rauchs sah Nandalee die Flammen dem Weg des Palmöls folgen.

Die Elfe blickte auf das Wasser. Sie waren immer noch von schillernden Ölschlieren umgeben. »Stromaufwärts!«, rief sie. »Wir müssen weg vom Öl!«

Die Hitze der Flammen wogte wie warmer Atem über das Wasser des Großen Flusses. Schweigend paddelten sie um ihr Leben. Stießen die breiten Ruderblätter ins Wasser, legten all ihre Kraft hinein und fanden schnell in einen guten Rhythmus. Ihr Schilfbündelboot war leicht. Es hatte wenig Tiefgang und glitt wie auf Flügeln über die schmutzigen Fluten. Andere Schiffe auf dem Fluss drehten bei. Der Rauch verdunkelte den Himmel. Funken flogen wie Glühwürmchenschwärme weit über das Wasser hinaus. Ein unangenehmer, öliger Geschmack hatte sich in Nandalees Mund festgesetzt.

Ihr Boot war nur noch von unregelmäßigen Ölflecken umgeben. Sie hatten sicheres Fahrwasser erreicht und verlangsamten ihren Paddelschlag. Nandalee wagte es, wieder zurückzusehen. Flammen tanzten nun auch auf dem Wasser und krümmten sich wie eine riesige Feuerschlange mit der Strömung den Fluss hinab. Zwei Schiffe mit brennenden Segeln versuchten, einem der Frachthäfen zu entkommen. Von überallher strömten kleine Fischerboote der Stadt entgegen. In den Gesichtern der Männer, die gegen die Kraft des Stroms anpaddelten, spiegelten sich Entsetzen, Verzweiflung und die Entschlossenheit, wider jede Vernunft nach Freunden und Verwandten in dem Inferno zu suchen.

Nandalee sah Männer in Flammen gehüllt aus dem dichten Rauch herausbrechen und sich ins Wasser stürzen. Gellende Schreie hallten über den Fluss, begleitet vom Fauchen der Flammen, die sich durch die Elendsviertel fraßen.

Wo keine schwarzen Rauchschleier den Blick auf den Hang versperrten, war das ganze Ausmaß der Zerstörung zu sehen: Hunderte Häuser waren nur noch Ruinen. Breite Schneisen aus Schutt reichten über die Terrassen hinab bis zum großen Fluss. Kaum einer der hohen Ankertürme stand noch. Überall loderten Brände in Ruinen. Aus niedergebrochenen Aquädukten ergossen sich Ströme von Wasser in die gezeichnete Stadt. Und doch gab es auch ganze Stadtviertel, die kaum Schaden genommen hatten. Vornehmlich dort, wo die Häuser weniger hoch gewesen waren.

Gonvalon legte ihr die Hand auf die Schulter. Seine Berührung tat Nandalee gut. Und sie war froh, dass er nichts sagte. Kein Wort hätte den Schmerz zu lindern vermocht, den sie empfand. Dies war ihr Werk! Nangog hatte die Erde erschüttert, doch sie, Nandalee von den Windgängern, war es gewesen, die Nangogs Fesseln gelöst hatte. Hätte sie der Gefesselten Göttin nicht die Hälfte ihres Herzens zurückgebracht, wäre all dies nicht geschehen.

Das verfluchte Haus

Talawain hockte nun schon eine Stunde unter dem Torbogen zur Gasse der Gewürzhändler. Aufmerksam beobachtete er aus den Augenwinkeln das Treiben auf der Straße. Für den flüchtigen Beobachter musste es aussehen, als döse er wie so viele andere während der heißesten Stunden des Tages einfach nur vor sich hin. Seinen Gewändern war deutlich anzusehen, wie lange er gereist war. Der Saum seines Wickelrocks war schmutzig und ausgefranst. Die lange Tunika hatte ihre leuchtend rote Farbe verloren. Er trug einen breitkrempigen Strohhut, unter dem die nun tiefschwarz gefärbten Haare auf seine Schultern fielen. Ein wenig unsicher tastete er über seine Wangen nach dem falschen Bart aus Ziegenhaaren, den er selbst geknüpft hatte. Ein Mann ohne Bartwuchs und mit goldenem Haar war einfach zu auffällig. Seit er die Hochebene von Kush verlassen hatte, hatte er nicht einen Zauber gewoben. Auch hatte er nicht gewagt, einen der Albensterne zu nutzen. Zu groß erschien ihm die Gefahr, dass Išta doch noch auf ihn aufmerksam wurde. Er war den weiten Weg nach Ugara zu Fuß gegangen. Meile für Meile, bis er seine Füße kaum noch spürte. Quer durch Luwien war er gewandert. Über Gebirge und durch Wüsten. Anfangs hatte er sich als heimkehrender Krieger ausgegeben, aber in dieser Rolle wurde er mit zu vielen Fragen über die Schlacht auf der Ebene von Kush behelligt. Dann war er als Bettler unterwegs gewesen. Doch in dieser Maske hatte er ebenfalls Aufmerksamkeit erregt. Kein Bettler wanderte mit den langen ausholenden Schritten, die er über Stunden durchhielt. Zuletzt war er darauf verfallen, sich als Gewürzhändler zu verkleiden. Er hatte einige Pfund Safran erworben, was gut zum Ziel seiner Reise passte. Er wollte zu Nyllan. Er war einer von zwei Spitzeln der Blauen Halle, die er in Luwien kannte. Zu Rowayn, dem Knochenschnitzer, wagte er nicht zu gehen. Er lebte in Isatami, der alten Tempelstadt, in der einmal im Jahr die Heilige Hochzeit gefeiert wurde.

Talawain hatte beide Elfen in der Bibliothek der Blauen Halle kennengelernt. Er war auf sie gestoßen, weil sie Texte über Išta eingesehen hatten. Berichte früherer Spitzel und Sagen aus der Überlieferung der Menschenkinder. So wie die beiden anderen hatte auch er versucht, das Wesen dieser launischen Göttin besser kennenzulernen und zu ergründen, was genau geschehen war, als Išta entdeckte, dass der Purpurne und ihre Schwester Anatu ein Liebespaar geworden waren. Nächtelang hatten sie zu dritt darüber diskutiert, was geschehen sein mochte. Hatte Išta ganz allein eine Himmelsschlange bezwungen? Und warum war Anatu ihrem Geliebten nicht zu Hilfe geeilt? Zu zweit hätten sie doch stärker sein müssen als Išta. Was hatten die Devanthar Anatu angetan? Wo waren die Gebeine des Purpurnen? Lebte er vielleicht noch als ein Gefangener im Gelben Turm? Oder stimmte die Geschichte, die sich die Menschenkinder erzählten, in der die Devanthar aus dem Schädel des Purpurnen ein Gefängnis für ihre Schwester Anatu erschaffen hatten?

Noch drei weitere Male hatten sie sich in der Blauen Halle getroffen und miteinander diskutiert. Rowayn war ganz besessen davon gewesen, den geheimnisumwobenen Berg Luma zu finden, auf dem Anatu einen Palast aus Mondlicht erbaut haben sollte. Talawain und Nyllan hatten dies stets für ein Märchen gehalten, doch Rowayn hatte darauf bestanden, dass in jedem Märchen auch ein Körnchen Wahrheit steckte.