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Außerhalb der Blauen Halle hatten sie sich nie getroffen. Dass Talawain wusste, in welchen Städten die beiden lebten und welchen Berufen sie in ihrer Maske als Menschen nachgingen, war eigentlich schon ein grober Verstoß gegen die Regeln der Blauen Halle. Um die Sicherheit der Spitzel zu gewährleisten, sollten sie keinen Umgang miteinander pflegen. So würde niemand, wenn sie von den Devanthar gefangen genommen und gefoltert würden, andere Drachenelfen verraten können.

Dass er Nyllan nun in seinem Laden besuchen wollte, war ein noch gröberer Verstoß gegen die Sicherheitsregeln, als einander zu kennen und zu wissen, wo sie lebten, aber Talawain brauchte Hilfe, die er nur von einem Vertrauten erhalten könnte. Er hatte nichts über das Kloster in Erfahrung bringen können, in das die Prinzessinnen gebracht wurden, die mit dem Unsterblichen die Heilige Hochzeit feierten. Jeder Luwier kannte Geschichten über diesen Ort, aber keiner wusste, wo er lag. Und wenn jemand doch behauptete, etwas zu wissen, entpuppte sich das vermeintliche Wissen meist als wüste Lügengeschichte. Immer hieß es dann, das Kloster befände sich verborgen in den nächsten Bergen oder Hügeln.

Talawain nahm den Wanderstab, der neben ihm an der Mauer lehnte, und stemmte sich hoch. Er hatte lange genug unter dem Torbogen gekauert. Er war sich sicher, nicht beobachtet zu werden. Langsam schlenderte er an den offenen Läden vorbei, in deren Auslagen getrocknete Blüten, gemahlene Gewürze in satten Erdfarben, seltsame Wurzeln und Harze feilgeboten wurden. Talawain genoss die berauschenden Düfte, die mit jedem Schritt in ihren Nuancen wechselten, gefangen unter den bunten Sonnensegeln, die tief über der engen Gasse hingen und Wind und Regen fernhielten. Die Wände der Häuser waren weiß getüncht, die Türen in grellen Farben bemalt. Es war ein Ort, der alle Sinne anregte. Sicherlich genoss es Nyllan, hier zu leben.

Ugara war ein klug gewählter Ort, um Informationen zu sammeln. Viele Handelsrouten kreuzten sich hier. Von der Hafenstadt stach ein Teil der luwischen Zinnflotte in See, um zu den Inseln in der Meerlunge weit im Westen zu segeln. Wenn sie zurückkehrten, brachten sie Bernstein, Honig, kostbare Pelze und vor allem das Zinn, das unverzichtbar zur Herstellung von Bronze war. Aus dem Osten und Süden kamen Gewürzkarawanen nach Ugara, und die Ischkuzaia im Nordosten brachten Seide. Wenn Nyllan gute Verbindungen zu den Karawanenführern und Seefahrern unterhielt, würde er Geschichten aus der halben Welt zu hören bekommen.

Talawain dachte an den Palast des Unsterblichen Aaron. Er vermisste seine Pflichten dort, das Gefühl, dass nichts im Reich ohne sein Wissen geschah. Er hatte Aram viele Jahre lang fast allein regiert, während Aaron seinen perversen Vergnügungen nachgehangen hatte. Und jetzt, da der Unsterbliche wie ausgetauscht war und sich so vieles im Reich veränderte, musste er fliehen! Was hätte er nicht alles für die Menschenkinder tun können? Aram hätte ein Land werden können, in dem Gerechtigkeit regierte. Der neue Aaron hatte das gewollt. Wie wohl seine Landreform voranging?

Talawain sah traurig in den Staub der Straße. Das waren nicht mehr seine Sorgen. Er sollte keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Er zwang sich, aufrecht zu gehen, den Kopf stolz erhoben. Aram lag hinter ihm. Alles, was er für Aaron noch tun konnte, war, nach Shaya zu suchen. Deshalb war er hier.

Er ging die Straße bis zum Ende und blickte in jeden der offenen Verkaufsstände, ohne Nyllan zu entdecken. Verwundert machte er kehrt. Diesmal hielt er an jedem der Stände kurz an. Die Häuserfronten waren zur Straße hin offen, sodass sie an Marktstände erinnerten, nur dass sie nach hinten hin ummauert waren und in der ersten Etage die Wohnungen der Besitzer lagen. Fast in der Mitte der Straße gab es ein großes Haus, dessen Vorderfront mit Brettern vernagelt war. Talawain blickte durch die Ritzen ins Innere. Im Dunkel war nicht viel zu erkennen.

»Suchst du Lilluma, Fremder?«, erklang eine harte Frauenstimme hinter ihm.

Der Elf drehte sich um. Lilluma war der Menschenname gewesen, den Nyllan benutzt hatte. Talawains Gedanken überschlugen sich. Was war geschehen? Hatte Nyllan den Laden aufgegeben? Oder hatten sie entdeckt, dass er ein Daimonenkind war? Wenn ja, dann konnte er niemandem in dieser Straße vertrauen. Sie alle würden beobachten, wer kam, um Lilluma zu besuchen.

Eine Frau mit knochigem Gesicht beugte sich auf der anderen Seite über die Koriandersäcke in ihrem Laden. Zwei Schläfenzöpfe hielten ihr langes Haar im Zaum. Sie trug eine weite Tunika, die um ihren hageren Leib schlotterte.

»Wer ist Lilluma?«, fragte Talawain arglos.

»Der arme Wicht, dem dieser Laden zuletzt gehört hat. Warum glotzt du durch die Spalten zwischen den Brettern. Da gibt es nichts zu sehen.«

»Ist der Laden zu kaufen?«

Sie hob die Brauen und maß ihn mit misstrauischem Blick. Er sah nicht aus wie jemand, der sich einen Laden in einem Basar leisten konnte. »Ich würde dir nicht raten, dort ein Geschäft zu eröffnen.« Sie warf den Kopf zur Seite und spuckte über ihre linke Schulter. »Ist verflucht, das Haus. Hat bisher noch jedem Unglück gebracht, der sich dort niedergelassen hat.«

Talawain blickte noch einmal zu dem Haus mit dem vernagelten Laden. Dann nickte er der Händlerin freundlich zu. »Danke für die Warnung.« Mit diesen Worten ging er weiter. Vielleicht wollte die Menschentochter nur verhindern, dass ein weiterer Gewürzhändler in die Gasse zog und ihr das Geschäft schwer machte. Wenn sie die Wahrheit sagte, würde er auch anderswo noch mehr über das Haus erfahren.

Er verließ den Basar der Gewürzhändler und schlenderte ziellos durch die Straßen der Stadt, bis er eine Garstube entdeckte, die nach den Maßstäben, die für Menschenkinder galten, recht reinlich aussah. Er wählte einen Platz mit einer Mauer im Rücken, von dem aus er einen guten Blick auf die Straße hatte, selbst aber im Halbschatten eines Sonnensegels saß. Abgesehen von einem Seemann, der mit dem Kopf auf den Armen eingeschlafen war, gab es keinen Gast in der engen Stube, die nur aus zwei schmalen Tischen und einem kleinen Garofen bestand.

»Brot, Käse und deinen besten Wein«, verlangte Talawain mit einem Lächeln, dazu legte er drei Kupferstücke auf den Tisch, um zu zeigen, dass er auch zahlen konnte.

Der Wirt musterte ihn nur flüchtig, nahm zwei der Münzen, stellte ihm einen Krug und einen schönen, rot glasierten Becher auf den Tisch. Dann ging er kurz fort, um Brot und Käse zu holen.

»Du bist fremd?«, fragte er nach seiner Rückkehr nicht sonderlich interessiert.

»Mein Bruder schickt mich. Angeblich ist ein Laden im Gewürzbasar frei geworden.« Talawain brach ein Stück vom Brot ab und begann zu essen. »Soll herausfinden, warum das Haus leer steht und ob es einen guten Namen hat.«

»Einen guten Namen?« Der Wirt schnaubte, dass sein Doppelkinn wackelte. »Jeder im Viertel kennt dieses Haus. Sein Vorbesitzer hat es billig verkauft, weil es darin spukte.«

Talawain schluckte. »Spuken?«

»Lebende Schatten«, murmelte der Wirt geheimnisvoll und schlug das Zeichen des schützenden Horns. »Der Besitzer war fast verrückt vor Angst und heilfroh, dass sich ein Fremder gefunden hat, der ihm das Haus abkaufen wollte.«

Talawain konnte sich vorstellen, was Nyllan getan hatte, um günstig an das Haus zu kommen. Er wunderte sich allerdings, dass der Elf so verwegen gewesen war, von seiner Zauberkunst Gebrauch zu machen.

»Dieser Lilluma war ein seltsamer Kerl. Er hat das Haus gekauft, das niemand im ganzen Viertel hätte haben wollen. Der hatte Gold wie unsereins Dreck unter den Sohlen. Alles, was er anpackte, machte ihn reicher. Er war den alteingesessenen Gewürzhändlern bald ein arger Dorn im Arsch.« Der Schankwirt stieß ein kläffendes Lachen aus, holte sich auch einen Becher, setzte sich und schenkte sich, ohne zu fragen, von Talawains Wein ein. »Lilluma verstand es wahrlich, das Leben zu genießen. Nachts zog er oft mit irgendwelchen Kapitänen oder Fernhändlern durch die Schenken, war aber stets beim Morgengrauen wieder in seinem Laden und stand hinter seinen Gewürzsäcken. Er hat immer nur beste Ware gehabt.« Der Wirt schlug sich mit der flachen Hand auf die Wange. »Sieh mich an. Ich hab auch jede Nacht bis sonst wann geöffnet. Diese verdammten Ruderer von den Galeeren. Wenn die auf Landgang sind, finden die kein Ende und saufen wie die Löcher. Ich war mal ein hübscher, schlanker Junge.« Wieder klatschte er sich auf seine feisten Wangen. »Viel davon geblieben ist nicht. Hab Ränder unter den Augen wie eine alte Hure, Schweinebacken und einen Wanst wie einen Rammbock. Aber dieser Lilluma, das schwöre ich dir, der ist in den zehn Jahren um keinen Tag gealtert. Mir sind in dieser Zeit alle Haare ausgefallen, aber der Gewürzhändler hatte nicht mal ein einziges graues Haar. Sah immer noch aus wie ein zartes Jüngelchen.«