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Talawain seufzte innerlich. Wenn stimmte, was der Wirt erzählte, dann hatte Nyllan so ziemlich keinen Fehler ausgelassen, vor dem sie bei ihrer Ausbildung in der Blauen Halle gewarnt worden waren. Wie hatte er nur so verdammt leichtsinnig sein können! Sie wurden angehalten, stets unauffällig zu sein und den Eindruck zu erwecken, dass auch sie alterten.

Der Wirt schenkte sich einen zweiten Becher ein und leerte damit den Krug.

»Weißt du«, raunte er und beugte sich dabei so weit über den Tisch, dass Talawain seinen warmen Atem auf dem Antlitz spürte. »Manche munkeln, dass Lilluma einen Pakt mit diesen lebenden Schatten geschlossen hat, die den Vorbesitzer vertrieben haben. Hat ihnen seine Seele verkauft.« Wieder schlug der Wirt das Zeichen des schützenden Horns. »Und dafür bekam er Erfolg und ewige Jugend. Bis die Nacht kam, in der der Preis zu zahlen war. Es heißt, sie hätten in der ganzen Gewürzgasse seine Schreie gehört. Sollen sich sehr seltsam angehört haben. Mehr wie ein quiekendes Schwein als wie ein Mensch. Als sie sich reintrauten ins Haus – da war die Mittagsstunde schon weit vorüber –, haben sie ihn mit dem Kopf nach unten von einem Deckenbalken hängend gefunden. War ausgeweidet wie ein Vieh beim Fleischhauer. Finger, Zehen, Nase, Ohren … Alles Mögliche hatten sie ihm abgeschnitten, wer immer ihn in der Nacht besucht hatte. Die Wände waren über und über mit Blut bespritzt. Seine Gewürze, die Möbel und Kleider, alles haben die Händler aus dem Basar weit draußen vor der Stadt verbrannt. Zusammen mit seinen sterblichen Überresten. Und seine Asche wurde ins Meer gestreut. Wenn dir an deinem Bruder liegt, dann lass ihn nicht dieses Haus kaufen. Ist kein guter Ort …«

Talawain hatte bei der Beschreibung der Leiche an Kazumi denken müssen. Er konnte sich vorstellen, wer zu Nyllan gekommen war.

»Wann ist das geschehen?«

»Vor ein paar Wochen erst.« Der Wirt erhob sich, um sich einem neuen Kunden zuzuwenden.

»Etwa zu der Zeit, als die Schlacht auf der Ebene von Kush geschlagen wurde?«

»Könnte hinkommen. Vielleicht war es auch früher.«

Tief in Gedanken schnitt Talawain den Käse auf. Er war sauer und alt, aber der Elf schmeckte es kaum. War Išta zu Nyllan gekommen oder waren es seine Nachbarn gewesen, die sich einen zu erfolgreichen Konkurrenten vom Hals schaffen wollten? War Nyllan in derselben Nacht gestorben, in der Išta zu Kazumi gekommen war? Wie viele Spitzel der Blauen Halle hatte die Devanthar entdeckt?

Er schob Brot und Käse zur Seite. Ihm war der Appetit vergangen. Es wäre vernünftig, einfach zur Blauen Halle zurückzukehren, statt ohne Auftrag seinen eigenen Feldzug für den Unsterblichen Aaron zu führen. Aber konnte er Shaya einfach vergessen und sie ihrem Schicksal überlassen? Sie zu retten wäre auch eine Buße für seinen Mord an Aya, die er einst in die Löwengrube des Palastes von Akšu gestoßen hatte. Aya … Shaya … Das Schicksal ging seltsame Wege. Wie ähnlich die Namen der beiden doch waren. Beide hatten sie Aaron geliebt. Wenigstens Shaya sollte er für ihn retten.

Er wusste, wenn er nicht nach Albenmark ging, gäbe es nur noch Rowayn, der ihm helfen konnte. Dass dieser ausgerechnet in Isatami leben musste. Die alte Tempelstadt war neben dem Palast des Unsterblichen vermutlich der gefährlichste Ort in Luwien. Regelmäßig erschien Išta ihren Priestern in der Stadt. Und eben diesen Priestern lieferte Rowayn seine auserwählten Knochenschnitzereien.

Talawain winkte dem schwatzhaften Wirt zum Abschied, der ganz in ein Gespräch mit dem neuen Gast vertieft war. Es war ein weiter Weg nach Isatami. Und er würde wieder die Landstraße nehmen. Dazu Albenpfade zu benutzen fehlte ihm der Mut.

Er dachte an sein letztes Treffen mit Rowayn. Sie waren sich in der Blauen Halle in der Aula der Fechter begegnet. Dutzende andere Elfen waren dort zugegen. Allesamt Spitzel, denen ihre Berufung zum Leben geworden war. Kein Ort, an dem sie beide hätten erkennen lassen dürfen, dass sie heimlich befreundet waren. Rowayn hatte ihn angelächelt, als habe er das große Fechtturnier gewonnen. »Das Meer verbirgt alle Geheimnisse«, hatte er ihm zugeraunt. Talawain hatte nicht verstanden, was damit gemeint sein mochte. Isatami lag mehr als tausend Meilen vom Meer entfernt.

Wer, wenn nicht er

Artax stand auf der Terrasse des Statthalterpalastes. Unter ihm breitete sich die verwüstete Stadt aus. Was er sah, ließ sein Herz bluten. Sein eigener Palast war nicht dramatisch vom Beben betroffen. Der Thronsaal war eingestürzt, ein Wohntrakt und ein Pferdestall. Es schien wohl keine Toten gegeben zu haben. Und so hatte er die Dienerschaft und alle Krieger, die den Angriff auf die Tempelgärten der Zapote unverwundet überstanden hatten, hinaus auf die Straßen geschickt, um zu helfen. Ashot war bei ihnen, er würde dafür sorgen, dass alles unter der Aufsicht eines kühlen Kopfes geschah.

Auf dem weiten Hof des Palastes unterhalb der Terrasse und in den intakten Gebäuden wurden Notquartiere vorbereitet. Seine Vorratskammern waren geöffnet worden. Sie mussten nun alle eng zusammenstehen. Er würde alles geben, was hier war, und er würde Vorräte aus Aram kommen lassen. Eigentlich wollte er unten in der Stadt sein. Es widerstrebte ihm, hier zu stehen und nichts zu tun, als nachzudenken. Aber wenn er über die zerstörte Stadt blickte, dann konnte er in die Zukunft sehen. Dies hier war nur der Anfang. Die eigentliche Katastrophe stand ihnen noch bevor. Und im Vergleich zu dem, was noch kommen würde, war die Zerstörung der Goldenen Stadt eine Kleinigkeit.

Das Klacken von Holz auf Stein riss Artax aus seinen düsteren Gedanken. Volodi kam auf die Terrasse, begleitet von seiner Zapotepriesterin. Der Söldner stützte sich schwer auf eine Krücke und war sehr blass. Aber er grinste breit, so wie er es immer getan hatte, ganz gleich, mit welchem Unglück das Schicksal ihn überschüttete. Mataan ging hinter den beiden. Auch er brauchte einen Stock, um gehen zu können. Er würde nie wieder als Krieger in die Schlacht ziehen. Das war der Preis, den er dafür gezahlt hatte, seinem Herrscher beim Kampf um den Steinhorst das Leben zu retten. Mataan hatte damit begonnen, einige Aufgaben des Hofmeisters Datames zu übernehmen. Er fluchte über die Berge von Tontafeln, die Tag für Tag immer höher wuchsen, und die kleingeistigen Schreiber und Höflinge, die aus einfachen Dingen einen undurchschaubaren Staatsakt machten. Er hatte ein neues Schlachtfeld gefunden, und auch wenn er dort niemals so glänzen würde, wie Datames es getan hatte, so ging er die Sache doch mit Hingabe an, und was er machte, machte er gut und mit pedantischer Genauigkeit.

Artax sah Volodi lange an. Er würde den langhaarigen Drusnier vermissen. »Du wirst nicht länger an meinem Hof bleiben können«, begann er ohne Umschweife.

Das Lächeln auf Volodis Lippen erstarb. »Was ich mich nicht gut gemacht?«

»Du bist hier nicht länger sicher, mein Freund«, sagte Artax bitter. »Dunkle Wolken ziehen am Horizont auf. Mein Überfall auf die Zapote wird ein Nachspiel haben, und ich möchte nicht, dass du jenen unter die Augen kommst, die sich eigentlich meinen Kopf holen wollen.«

»Bin ich mich Hauptmann von Leibwache. Ist sich mein Zweck, zwischen dich und Leute zu stehen, die sich dich holen wollen deinen Kopf.«