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Amalaswintha blendete den Streit ihrer Mitgefangenen aus, schloss die Augen und genoss es, ihre müden Glieder zu strecken. Mit Glamir würde sie fertigwerden, dachte sie mit selbstbewusstem Lächeln. Sie wusste schon, wie sie es anfangen würde. Längstens zwei Tage, und der Mistkerl würde ihr wie ein zahmer Ziegenbock aus der Hand fressen.

In den Stein blicken

Als Amalaswintha aus tiefem, traumlosem Schlaf erwachte, wusste sie im ersten Augenblick nicht, wo sie sich befand. Es stank um sie herum, war feucht und dunkel wie immer in den letzten Wochen. Aber das schleifende Geräusch der Kurbelwelle fehlte, ebenso wie das leichte Schwanken des Aals.

»Was hat Frar denn da?«

Es war Hornbori, der sprach. Amalaswintha zog es vor, die Augen geschlossen zu halten, um nicht mit ihren drei ungewollten Gefährten reden zu müssen.

»Das ist ein Hammer«, entgegnete Nyr schläfrig.

»Ein Hammer? Woher hat der Kleine einen Hammer? Wie kannst du einem Kind einen Hammer geben! Der schlägt sich noch den Schädel ein und …«

»Es ist nur ein kleiner Hammer«, murmelte Nyr ärgerlich. »Und irgendwas zum Spielen muss er doch haben.«

»Einen Hammer«, sagte Hornbori fassungslos. »Das ist …«

»Woher kommt der Hammer?«, mischte sich nun auch Galar ein.

»Hab ihn mitgehen lassen. Ich meine, als klar war, dass wir wieder in diese feuchte Zelle verknackt werden, dacht ich mir, dass sich unser halber Gastgeber verdient hat, dass ich ihn ein bisschen beklaue.«

»Hast du auch was Nützliches geklaut?«, fragte Galar.

»Frar liebt seinen Hammer«, kam es beleidigt von Nyr. »Ihr wisst doch noch, wie sehr er das Geräusch von Hammerschlägen mochte. Das ist wie ein Wiegenlied für ihn. Wenn er groß ist, wird er bestimmt einmal Schmied. Und wenn er am Griff lutscht, beruhigt ihn das.«

»Der Kleine lutscht jetzt am schmuddeligen Griff irgendeines alten Hammers«, empörte sich Hornbori.

»Er hat es ja auch überlebt, die schmuddeligen Daumen von Nyr im Mund zu haben«, konterte Galar. »Ein bisschen Dreck hat noch keinem Kind geschadet.«

Amalaswintha versuchte, die Stimmen auszublenden und ihre besondere Gabe zu erwecken. Auf der Schwelle zwischen Schlaf und Wachen ließ sie ihren Geist wandern. Sie sah in den Stein, verließ ihre enge Zelle und erkundete den Turm und den Fels, in den er gebettet war. Der kurze, gemauerte Stummel auf der Klippe im unterirdischen Meer war nur ein winziger Teil der Anlage. Glamir und seine Männer hatten sich tief in den Fels der Höhlendecke gegraben. Die Anlage war seltsam. Es schien verschiedene Schmieden und Werkstätten zu geben. Ganz sicher war sich Amalaswintha jedoch nicht. Am klarsten sah sie die Adern der verschiedenen Erze. Obwohl ihr der verwunschene Blick durch den Stein erlaubte, Hohlräume im Fels zu erkennen, blieb ihr verborgen, was in den Hohlräumen gemacht wurde. Sie sah weder die Einrichtungen, noch war es ihr möglich zu sagen, ob sich jemand oder etwas dort aufhielt. Sie erkannte nur das Metall der Werkzeuge und ihre groben Formen.

Besonders seltsam war ein recht breiter, fast eine Meile langer Tunnel, der ins Nichts führte. Amalaswintha konnte sich nicht erklären, welchen Nutzen er haben mochte. Es musste viel Kraft gekostet haben, ihn aus dem Fels zu brechen, und sie bezweifelte, dass die wenigen Männer Glamirs dieses Werk vollbracht hatten. Dieser Tunnel hatte beim Bau zusätzliche Arbeitskräfte erfordert. Sie richtete ihren Blick nach oben, durchdrang all die Gesteinsschichten, bis sie hinauf zu Geröll, Humus und Wurzeln gelangte. Der Turm war gut durchdacht angelegt. Die Rauchabzüge der Schmieden mündeten in eine große, natürliche Höhle, sodass niemand an der Oberfläche Rauch aus einem vermeintlichen Kaninchenloch im Waldboden aufsteigen sehen konnte. Es gab einen dünnen Kohleflöz, der bei den Bauarbeiten bereits entdeckt worden war und nun ausgebeutet wurde, um die Schmiede und einige Heizöfen zu versorgen. Metall war im Gestein kaum vorhanden. Ein paar Einsprengsel Eisenerz war alles, was sie entdecken konnte.

Nun wandte Amalaswintha sich den Gesteinsformationen in der Tiefe zu. Der Brunnenschacht durchstieß eine Klippe, die über einem dunklen Abgrund aufragte. Niemals hätte sie erwartet, dass der See so unglaublich tief war. Glamirs Turm erhob sich über einem Spalt, der hinab bis zum Herzen der Welt zu reichen schien. Zum ersten Mal empfand die Zwergin ein Gefühl von Beklommenheit. Ihr ganzes Leben hatte sie in Höhlen verbracht. Sie war es gewohnt zu wissen, dass sich über ihr Gebirge aus Felsgestein erhoben, viele hundert Schritt dick. Nie hatte ihr das etwas ausgemacht! Im Gegenteil, tief unter der Erde fühlte sie sich geborgen. Aber hier war es anders. Glamirs Turm schwebte über einem unterirdischen Abgrund. Das Gestein, auf dem er errichtet war, war porös. Das Wasser war tief in die Klippe eingedrungen. Sie hingen fast in der Schwebe.

Amalaswintha spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann und Panik sie zu überwältigen drohte. Die Klippe war Jahrtausende alt. Sie würde nicht abbrechen – aber wenn es geschähe, meldete sich die Stimme der Panik, dann würde das Wasser in die unteren Etagen des Turms eindringen, und sie säßen in ihrem Kerker wie Ratten in der Falle. Sie wollte aufwachen, die Trance hinter sich lassen und einfach nur die festen, feuchten Wände ihres Kerkers sehen und ihren drei verrückten Gefährten lauschen. Wollte, dass ihre Welt so klein wurde, dass die größte Sorge war, ob es klug war, ein Kind am schmutzigen Stiels eines Hammers lutschen zu lassen, als ihr Blick auf etwas am Rand des Abgrundes fiel. Etwas, was sie noch nie gesehen hatte. Es war gewaltig, fremdartig und entzog sich jeder vernünftigen Erklärung.

Und es konnte keinen Zweifel daran geben, dass dies der Grund war, warum Glamir seinen Turm auf dieser Klippe im Nirgendwo errichtet hatte.

Von Schmied zu Schmied

Galar war selbst ein wenig überrascht, dass sie ihn zu Glamir gebracht hatten. Er wusste nicht genau, was Amalaswintha den Wachen zugeflüstert hatte, aber es hatte sie so sehr überzeugt, dass sie ihn umgehend vor den verstümmelten Schmied geführt hatten.

Glamirs Kammer stank nach ungewaschenen Kleidern und schimmelnden Essensresten. Sie war erstaunlich klein und kaum weniger feucht als der Kerker, in den man sie gesperrt hatte. Auf Luxus schien der alte Zwerg keinen sonderlichen Wert zu legen.

Glamir saß in einem wuchtigen Sessel mit hoher Lehne und abgewetzten, braunen Lederpolstern. Er trug nur eine Lederhose. Das Bett hinter ihm war zerwühlt, seine Haare zerzaust, als sei er gerade erst aufgestanden. Galar hatte keine Ahnung mehr, welche Tageszeit war. Sein Zeitgefühl war ihm während der Reise im Aal und den Tagen im Kerker völlig abhanden gekommen.

»Du kennst also mein Geheimnis«, kam Glamir unverblümt zur Sache. »Dann lass mal hören.« Er beugte sich vor und kratzte sich seinen Beinstumpf.

Amalaswintha hatte Galar alles genau erzählt. Anfangs hatte er die Sache mit ihrer Gabe nicht glauben wollen, bis sie ihn auf den kleinen Tunnel ansprach, den er in der Tiefen Stadt heimlich an seinen Brunnen angeschlossen hatte. Niemand wusste davon! Allerdings war er sich immer noch unsicher wegen der Geschichte, die sie ihm anschließend aufgetischt hatte. Das klang zu unwahrscheinlich.

»Ich höre!«, brummte Glamir unfreundlich und fixierte ihn mit seinem verbliebenen Auge.

»Du bist wegen der Metallwand hier«, sagte Galar gedehnt.

Die Aussage schien Glamir nicht sonderlich zu beeindrucken, deshalb sprach er rasch weiter: »Diese Wand ist riesig. Sie reicht mehr als eine Meile in die Tiefe und ist sogar noch breiter. Sie ist mehr als fünf Schritt dick. Ein kleines Stück liegt offen am Abgrund unter dem Brunnenschacht. Du versuchst, die Wand zu durchbohren, um herauszufinden, was dahinter liegt. Aber da ist nichts. Es gibt dort keine Höhlen, keine Geheimnisse. Die Wand an sich ist das Geheimnis.«