»Du bist es nicht, der versteht, Vater. Ich habe mir in der Fremde einen Namen gemacht. Ich bin Volodi, der über den Adlern schreitet, Hauptmann der Zinnernen. Jeder Unsterbliche wird mich an seinem Hof willkommen heißen.« Er blickte zu dem Thron. »Ich habe lange aufgehört, davon zu träumen, einmal auf diesem alten Stuhl zu sitzen. Er bedeutet mir nichts mehr.«
Ilja stemmte sich stöhnend hoch und schlug ihm überraschend mit der flachen Hand vor den Brustpanzer. »Hör auf das Herz, das unter dieser verdammten Katzenfresse schlägt. Das weiß genau, wo dein Platz ist, du störrischer Esel. Du hättest hier kämpfen sollen statt für diesen Katzenkönig in der Fremde. Wir hätten hier jedes Schwert gebrauchen können. Zwei Kriege haben wir gegen die verfluchten Valesier geführt. Leon, dieser verdammte trurische Feldherr des Unsterblichen Ansur, hat uns derart in den Arsch getreten … Möge er in der Gosse verrecken, auf dass die Straßenköter ihm die Eingeweide herausreißen! Die Hälfte unserer jungen Männer hat er ins Grab gebracht. Wir sind am Arsch! Wir haben die besten Landstriche im Westen verloren. Und damit seine Horden nicht durch die Wälder ziehen und unsere Ahnenhaine plündern, zahlen wir den Valesiern jetzt Tribut. Zehn Kisten voller Gold, alle drei Monde! Wir haben Frieden, aber diese Hunde haben immer noch nicht damit aufgehört, unser Land auszubluten. Hier hättest du kämpfen sollen, verdammt noch mal. Und jetzt sag mir noch einmal, wie dein Weib heißt, damit ich sie mit einem Namen ansprechen kann.«
»Quetzalli.«
»Was? Was für eine Art Name ist das denn? Ketz… Ketza… Verdammt noch mal, ich verbiegt mir doch nicht meine alte Zunge.« Er sah auf Quetzalli hinab. »Alli nenn ich dich. Das muss reichen.«
»Wir bleiben. Regeln!«, entgegnete Quetzalli, ohne sich darum zu scheren, wie sein Vater ihren Namen verstümmelte. »Eins. Wir schlafen eigenes Dach. Zwei. Ich nicht Dienerin. Drei. Du Respekt Volodi. Wenn nicht geht, wir gehen.«
»Mir hat noch nie ein Weib unter meinem Dach gesagt, was ich zu tun habe!«, knurrte sein Vater sie an.
»Dann heute Anfang!«, sagte sie entschieden und verließ die Halle.
Für Drusna
Volodi stützte sich schwer auf seinen Dreschflegel und atmete keuchend. Er war schweißgebadet, sein Körper mit goldener Weizenspreu bedeckt. Sie hatten das letzte Korn von den Feldern eingefahren, und den ganzen Morgen stand er nun schon auf der Tenne und drosch mit wuchtigen Hieben die Körner aus den Ähren. Er hatte diese Arbeit früher schon verrichtet, konnte sich aber nicht erinnern, sich dabei je so müde gefühlt zu haben. Auch stach seine Pfeilwunde in der Brust jetzt wieder heftiger. Klug wäre es, sich Ruhe zu gönnen, aber der Winter kam schnell in den Wäldern und auf Drei Eichen wurde jede helfende Hand gebraucht.
»Na, großer Krieger, richtiges Tagwerk bist du wohl nicht mehr gewohnt.« Auch Grisha hatte in seiner Arbeit innegehalten. Der alte Schildträger seines Vaters nahm einen tiefen Schluck aus seinem Lederschlauch und spritzte sich ein wenig Wasser auf seine weißhaarige Brust, auf der goldene Grannen und Stängelteile glänzten.
»Ist harte Arbeit«, entgegnete Volodi ein wenig atemlos.
Grisha warf ihm den Lederschlauch herüber. »Trink etwas, das hilft. Du kennst ja den Spruch: Liegst nach der Tenne auf dem Rücken, kein Weib kann dich beglücken.« Der Alte grinste breit. »Und morgen wird es noch schlimmer. Wenn du aufwachst, wirst du glauben, dass du keines deiner Glieder mehr bewegen kannst.«
Volodi wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn. Er war vor einigen Tagen im Geisterhain gewesen, um den Stimmen der Ahnen zu lauschen und die Seelen der Erschlagenen hinter sich zu lassen. Zu lange hatte er sich nicht mehr gereinigt. Zu viele Tote galt es zu vergessen. Der Priester hatte ihm ins Gewissen geredet, dass er oft wiederkehren müsste, bis seine Schuld an den Toten beglichen sei. Dabei war schon der eine Weg zum Geisterhain schwer gewesen. Zwei Tage hatte er mit seinem Vater darüber gestritten. Der Alte hatte Angst gehabt, dass es ihm wie Bozidar ergehen würde. Sein Bruder war auf dem Rückweg vom Geisterhain von der Daimonin überfallen worden, die ihm sein Leben gestohlen hatte. Ilja konnte sich einfach nicht damit anfreunden, dass er nicht Bozidar war, dachte Volodi leicht verärgert. Er hatte ein anderes Schicksal als sein Bruder. Er musste sich anderen Versuchungen stellen.
Er sah hinüber zu der kleinen Hütte, die er mit Quetzalli bewohnte. Sie saß eingemummt in ein Wollkleid und eine Decke in der Sonne und rupfte einen schwarzen Hahn. Golden schimmerten ihre Armreife. Auch wenn sie einfache Kleidung trug, mochte sie ihren Schmuck nicht ablegen. Sie hatte verstanden, dass die meisten Drusnier sie für eine Sklavin aus dem Reitervolk der Ischkuzaia hielten. Von den Zapote hatte hier noch nie jemand etwas gehört. Ihr Reich war einfach zu fern.
Vielleicht wollte Quetzalli mit den Armreifen einfach nur deutlich machen, dass sie keine Sklavin war. Keine Sklavin trug Gold. Sie schien seinen Blick gespürt zu haben. Plötzlich sah sie auf, lächelte und winkte ihm zu. Allein, sie so zu sehen, schenkte ihm neue Kraft. Er würde sich an das Leben hier gewöhnen.
»Lässt du uns mal ein Weile allein, Grisha?«, erklang die Stimme des Vaters hinter seinem Rücken.
Der alte Schildträger sah ihn beschwörend an, nicht schon wieder einen Streit mit seinem Vater zu beginnen. Dann zog er sich in den Schatten des Langhauses zurück.
»Ich muss mit dir reden, Junge.«
Volodi drehte sich mit einem Seufzer um. Sein Vater hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er sah müde aus. Auch ihn zermürbten ihre Streitereien. »Dein Weib, sie macht den Leuten hier Angst.«
Volodi lächelte spöttisch. »Dann schlägt sie ja ganz nach dir.«
»Zieh nicht alles ins Lächerliche. Es ist eine Sache, ob ich jemanden anschreie oder ab und zu den Knüppel tanzen lasse, wenn es sein muss. Mit deinem Weib ist das anders …«
»Ich kann mich noch gut erinnern, wie du den jungen Stepan dort vorne am Tor gehenkt hast. Und das nur, weil er einen Krug voller Weizen für seine alte Mutter gestohlen hatte.«
»Der Bastard hatte mir keine Wahl gelassen«, brauste sein Vater auf. »Es ist eine Sache, ob er während der Erntezeit einen Scheffel Weizen stiehlt oder ob er es zu Beginn eines Frühlings tut, in dem alle Hunger leiden. Wenn du erst auf meinem alten Stuhl sitzt und der Herr von Drei Eichen bist, dann wirst du besser verstehen, was ich meine.«
»Komm zur Sache. Was stört dich an Quetzalli?«
»Mich stört, dass sie kein vernünftiges Weib von hier ist. Aber das tut nichts zur Sache.« Er senkte die Stimme, was sonst so gar nicht seine Art war, und schlug das schützende Horn. »Mila hat sie heute Morgen gesehen. Wie sie diesen verdammten, schwarzen Hahn geschlachtet hat. Das war unheimlich.«
»Einen Hahn zu schlachten? Nur weil er schwarz ist?« Volodi lachte laut auf. »Seit wann schreckt dich das abergläubische Geschwätz von Weibern? Was ist schon dabei, einem Hahn im Morgengrauen den Kopf abzuhacken?«
»Wenn sie es so getan hätte, ganz sicher nichts. Aber so wie Mila es erzählt hat, hat sie sich vor den Hahn gesetzt, bis er freiwillig zu ihr kam, und dann hat sie ihm das Herz aus der Brust gerissen und es in einer kleinen Kupferschale hinter eurem Haus verbrannt. Mila hält sie jetzt für eine Hexe, und sie hat die Geschichte schon herumgetratscht. Das wird es für euch beide nicht einfacher machen, hier Fuß zu fassen. Warum tut diese Schl… dein Weib so was?«
Volodi war sich auch nicht sicher. »Für die Gefiederte Schlange vielleicht?«
»Eine Schlange mit Federn? Was soll das sein?«
»Ihr Devanthar.« Er dachte daran, wie er auf dem Altar gelegen und die schreckliche Kreatur aus dem Blutsee auftauchen gesehen hatte. »Ich werde mit ihr reden. Sie soll besser darauf achten, dass ihr niemand mehr zusieht.« Plötzlich musste Volodi lächeln. Die Lösung war noch viel einfacher. »Außerdem hatten wir doch nur einen schwarzen Hahn. Es wird also nicht wieder vorkommen.«