Volodi ließ Alba los, umklammerte den Schwertgriff mit beiden Händen und schmetterte die Waffe mit aller Kraft gegen die Schnauze des Pferdes. Er hörte Knochen und Zähne splittern; Blut quoll aus den Nüstern des Roten, der mit schrillem Wiehern stieg, sodass sein Reiter zu Boden stürzte. Dann stetzte Volodi dem Mann einen Fuß auf die Brust und rammte ihm das Schwert in den Mund, als er um Gnade flehte. Es glitt durch den Nacken bis tief in die weiche Erde. Während der Leibwächter noch zuckte, drehte sich Volodi zu Alba um.
»Ich bin ein reicher Mann«, bettelte der Valesier. »Lass mich leben, und wir können das alles noch im Guten klären. Ich werde nie wieder hierherkommen und Steuern von Ilja abpressen.«
»Stimmt«, sagte Volodi hart, griff mit beiden Händen nach dem Kopf des Valesiers und riss ihn mit einem Ruck zur Seite, sodass sein Genick brach.
Das Gesinde stand sprachlos um die Toten. Vadim, der Wagenlenker seines Vaters, hatte das verletzte Pferd beim Zaum gepackt und redete auf es ein. Der Kampf hatte kaum länger als zwanzig Atemzüge gedauert.
»Du bist ein Daimon«, sagte Ilja fassungslos. »Das ist nicht das Werk eines einfachen Mannes. Was hast du nur getan? Dafür werden wir alle hängen! Glaubst du etwa, Alba sei allein gewesen? Jeden Augenblick kann eine ganze Kolonne Packpferde aus dem Wald kommen, begleitet von Dutzenden Kriegern.«
»Quetzalli«, sagte Volodi ruhig. »Hol meine Rüstung und meine Waffen. Pack ein paar Decken und etwas zum Essen zusammen. Wir gehen in die Wälder.«
»Und das war es?«, fuhr ihn sein Vater an.
Volodi versetzte dem Alten eine rechte Gerade, die ihn mit aufgeplatzten Lippen zu Boden schickte. »Du hast versucht, den Streit zu schlichten, den der fremde Krieger mit Alba angefangen hat. Ich war hier nur ein Gast und bin nach den Morden in die Wälder geflohen.« Er blickte in die Runde. »Hat das jeder verstanden? Es war nicht Iljas Sohn, der hier gemordet hat, sondern ein durchreisender Söldner. Ihr habt versucht, es zu verhindern. Die besten Lügen enthalten stets ein Körnchen Wahrheit. Erzählt, dass er mein Weib begehrt hat. Ich bin sicher, sie ist nicht die Erste, die er wollte. Die Männer aus seinem Tross werden ihn kennen. Sie werden es glauben.«
Sein Vater rappelte sich auf. »Endlich kämpfst du für Drusna«, sagte er und spuckte Blut. Dann nahm er ihn in die Arme. Zum ersten Mal, seit er heimgekehrt war.
Allein
Nandalee hätte am liebsten laut in die Savanne hinausgeschrien, doch sie wusste, auch das würde ihren Zorn und ihre Enttäuschung nicht lindern. Sie fühlte sich verraten. Schwer atmend rang sie um ihre Fassung. Es war geschehen, sie konnte nichts mehr daran ändern, ganz gleich, was sie tat. Sie schloss die Augen, zwang sich zur Ruhe. Sie spürte, wie Gonvalon den flachen Hügel hinaufkam und auf Armeslänge hinter ihr stehen blieb. Er sagte nichts, berührte sie nicht, wartete einfach ab, im Bewusstsein, dass ihr nicht verborgen geblieben war, dass er hinter ihr stand. Er kannte sie so gut. Er würde sie niemals enttäuschen. Diese Gewissheit half ihr, ihren inneren Frieden wiederzufinden.
»Es geht schon wieder.«
Ihr Zorn schwang immer noch in ihrer Stimme nach und strafte ihre Worte lügen.
»Ich könnte noch ein paar Tage bei dir bleiben«, sagte Gonvalon in einem Tonfall, als würde er es wirklich nicht besser wissen. Sie wandte sich um und lächelte. Es war ihr erstes Lächeln, seit sie in den Jadegarten heimgekehrt war und davon erfahren hatte, dass Gonvalon, Nodon, Eleborn und sie nicht vor den Rat der Himmelsschlangen gerufen würden, um von ihrer Mission zu berichten. Das hatten Lyvianne und Bidayn schon getan. Nandalee war über den Verrat der beiden völlig außer sich gewesen. Gonvalon hatte versucht, sie zu beruhigen, indem er erklärt hatte, dass die beiden nun einmal zuerst zurückgekehrt waren, und die Himmelsschlangen so schnell wie möglich einen Bericht hatten hören wollten.
Rein vom Verstand her konnte Nandalee das sogar nachvollziehen. Aber dass sie nicht vor die Drachen gebeten worden war, schmerzte dennoch. Sie hatte allein Nachtatem berichtet, der sich sehr für Nangogs Reaktion interessiert hatte. Er schien nicht überrascht gewesen zu sein, dass die Riesin sich ihren Befreiern gegenüber nicht dankbar gezeigt hatte. Auch was Nandalee über die Größe der Göttin erzählte, beindruckte den Drachen nicht sonderlich, allerdings hatte er viele Fragen nach den grünen Kristallen gestellt.
»Was hältst du von Gazellenbraten an einem Lagerfeuer unter Vollmondhimmel?«
Nandalee sah Gonvalon dankbar an. Wieder hatte er sie aus ihren düsteren Gedanken gerissen.
»Versuche nicht, die Himmelsschlangen zu verstehen«, sagte er mit traurigen Augen. »Ich habe das schon lange aufgegeben. Denkst du noch über einen Pfeil nach, wenn du ihn von der Sehne hast schnellen lassen? So sind wir für sie. Wir sind ihre Pfeile. Hast du dich je bei einem Pfeil bedankt, der einen deiner Feinde tötete?«
»Ich sollte darüber nachdenken«, entgegnete sie lächelnd.
»Und wie steht es nun mit einer romantischen Nacht am Lagerfeuer?«
»Waren wir nicht eben noch beim romantischen Abendessen?«
Er grinste schelmisch. »Ich bin eben ein Mann mit Visionen.«
Nandalee schüttelte entschieden den Kopf. »Es geht nicht, du weißt das. Ich muss diese letzte Prüfung allein bestehen. Du darfst nicht hier sein. Es würde einen Makel auf alles werfen.«
Gonvalon runzelte die Stirn. »Niemand, der mich kennt, wird mich ernsthaft verdächtigen, eine Hilfe zu sein, wenn es darum geht, einen wilden Pegasus zu bändigen.« Er blickte zu Nachtschwinge, der ein Stück entfernt graste. Der Rappe hob den Kopf und sah zu ihnen hinüber. Er war zu weit entfernt, um sie gehört haben zu können, aber er spürte, dass über ihn gesprochen wurde. Es hieß, dass keine Worte mehr nötig waren, wenn ein Drachenelf den richtigen Pegasus fand. Die Gedanken von Ross und Reiter waren eins. Sie verstanden einander ohne Blicke, Befehle oder Gesten.
»Ich habe drei Monde gebraucht, um mit Nachtschwinge zurückzukehren. Länger als die meisten …«
»Und dennoch muss ich auf dich verzichten«, sagte Nandalee liebevoll. »Ich muss es allein tun.«
Gonvalon seufzte. »Und ich musste dich fragen.« Er nahm sie in die Arme. »Bitte mach es besser als ich. Ich kann keine drei Monde auf dich verzichten … «
»Ich brauche eine Zeit für mich allein. Du weißt, ich liebe die Wildnis … Aber zu lange mag auch ich nicht auf dich verzichten.« Was für eine lahme Liebeserklärung, dachte sie betroffen, kaum dass die Worte über ihre Lippen gekommen waren. Sie war nicht gut in solchen Dingen. Sie hatte die Wahrheit gesagt, aber irgendwie hörte sie sich nicht gerade romantisch an. »Ich liebe dich«, setzte sie nach und gab ihm einen Kuss.
Er hielt sie fest, erwiderte ihren Kuss mit einer Leidenschaft, die sie wünschen ließ, er bliebe doch noch eine Nacht bei ihr.
Als Gonvalon sich schließlich von ihr löste, sah er sie mit dem Blick an, den sie so sehr mochte – selbstbewusst und ein wenig schelmisch. »Als ich dir zum ersten Mal begegnet bin und du nackt durch die verschneiten Wälder liefst, verfolgt von einem ganzen Heer von Trollen, hatte ich schon den Verdacht, dass du ein ziemlich wildes Mädchen bist. Ich wünsch dir Glück auf deiner Jagd. Komm schnell in den Jadegarten zurück! Ich warte dort auf dich.« Mit diesen Worten wandte er sich ab, und Nandalee, die sonst so gerne alleine ausgedehnte Jagdausflüge gemacht hatte, fühlte sich plötzlich einsam.
Sie wollte ihm etwas nachrufen. Etwas, das so frech war wie seine letzten Worte. Das von ihrer Liebe sprach … Ihr fiel nichts ein. Ihr Kopf war leer. »Ich liebe dich, Gonvalon«, sagte sie leise. Sein Hintern sah gut aus, dachte sie. Aber das wäre wohl kaum der passende Abschiedsgruß. Warum fiel es ihr so schwer, ganz unbefangen zu sein? Für ihn schien es selbstverständlich wie das Atmen zu sein, ihr Komplimente zu machen. Wenn er sich noch einmal umdrehte und ihr zuwinkte, würde alles gut werden, dachte sie und schalt sich in Gedanken dafür, solchen Albernheiten nachzuhängen.