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Er sprang auf den Sattel, schob seine Füße in die Lederschlaufen und nahm die langen Zügel auf. Nachtschwinge preschte los, gallopierte, mit den Flügeln schlagend, gegen den Wind an und erhob sich in den weiten blauen Himmel. Gonvalon flog eine weite Schleife und winkte ihr noch einmal zu.

Zu spät, dachte sie beklommen. Er hätte es tun sollen, bevor er in den Sattel sprang. Das war kein gutes Omen. »Ich liebe dich!«, rief sie aus Leibeskräften, um ihre törichten Gedanken auszulöschen. Er hatte sie nicht mehr gehört. Er sah nicht zurück.

Nandalee sah ihm nach, bis er nur noch ein winziger, schwarzer Punkt am weiten, blauen Himmel über der Savanne war und schließlich ganz verschwand. Dann hob sie ihr Bündel auf. Eine Ledertasche mit ein wenig Salz, Reis, Bohnen und trockenem Brot. Den schmalen Ledersattel, den man benötigte, um auf einem Pegasus stehend reiten zu können, sowie eine Decke, zu einer Rolle verschnürt, Pfeil und Bogen und ihr Schwert Todbringer. Sie hatte lange gezögert, die Waffe mitzunehmen. Sie würde ihr die meiste Zeit nur hinderlich sein. Aber sollte der Rotrücken, der die Pegasi niedergemetzelt hatte, noch einmal ihren Weg kreuzen, würde sie die Waffe brauchen. Sie war sich bewusst, dass sie in sein Revier eindrang. Sie würde vorsichtig sein müssen. Normalerweise machten Drachen keine Jagd auf Elfen, aber dieser war ihr Feind. Er würde sich nicht darum scheren, was als normal galt. Mit einem letzten Blick zum Himmel schulterte sie ihre Last. Sie trug zu viel, sie wusste das. Als Jägerin in den Wäldern Carandamons hatte sie nie so viel Ballast mit sich geführt.

Trotz des schweren Gepäcks und der Gefahr durch den Rotrücken wurde ihr das Herz mit jedem Schritt leichter. Es tat gut, wieder allein in der Wildnis zu sein. Schon bald streifte sie durch das hohe Büffelgras, das nach dem trockenen Sommer eine tief goldene Farbe angenommen hatte. Es überragte sie ein ganzes Stück. Sie konnte kaum zwei Schritt weit sehen. Aus ihrer Heimat war sie es gewohnt, einen weiten Blick zu haben. Selbst in dunklen Fichtenwäldern war das Sichtfeld größer als hier!

Der Wind ließ das Gras leise rascheln. Ein Geräusch, das ihr erlaubte, sich fast lautlos zu bewegen. Hielt der Wind inne, verharrte auch sie. Sie wusste um die Löwen, die hier jagten, die Hyänen, die nach Aas suchten, die Sandvipern und Skorpione. All ihre Sinne waren auf das Äußerste gespannt. Die Wasserstelle, an der der Rotrücken über die Pegasi hergefallen war, lag nur drei Meilen entfernt, aber sie schlug einen weiten Bogen, um sich gegen den Wind zu bewegen, damit Räuber nicht allzu leicht ihre Witterung aufnehmen konnten. Immer wieder blickte sie zum Himmel. Es zeigten sich weder Pegasi noch der Drache.

Als sie die Fährten von Gazellen und einer kleinen Büffelherde kreuzte, die eine Schneise durch das hohe Gras gezogen hatten, hielt sie inne und betrachtete das Land durch ihr Verborgenes Auge. Der Blick auf die magische Welt zeigte ein ganz anderes Bild. Kein Gras versperrte ihr die Sicht. Sie sah die Kraftlinien, die das Land durchzogen, und die Auren der Tiere. Eine halbe Meile entfernt entdeckte sie bei einem aufgegebenen Termitenhügel eine Gruppe von Löwen. Sie hatten gefressen und dösten schläfrig in der Sonne. Von ihnen ging keine Gefahr aus. Aber etwas stimmte nicht. Einige der Kraftlinien vibrierten wie die Saiten eines Instruments, das eben erst angeschlagen worden war. Hier war Magie gewirkt worden, die sich gegen die natürliche Ordnung wandte. Konnte das der Rotrücken gewesen sein? Beherrschte er überhaupt die Kunst des Zauberwebens?

Vorsichtig pirschte Nandalee weiter. Kein Wild war bei der Wasserstelle. Aber nahe dem Gebüsch, in dem sie sich mit Gonvalon versteckt hatte, fand sie einen verlassenen Lagerplatz. Wer immer hier gewesen war, war allein gekommen. Sie fand einen schmalen, recht kleinen Fußabdruck. Eine Elfe?

Nandalee sah die ins Erdreich gegrabene Feuergrube. Alle Glut war längst verloschen – der Lagerplatz war seit mindestens einem Tag verlassen. Der Ort für die Feuerstelle war nicht gut gewählt. Trotz der Grube musste man den Widerschein der Flammen weit gesehen haben. Nur ein paar Schritt weiter gab es eine Senke, die ein viel besserer Lagerplatz gewesen wäre.

Nandalee legte Sattel, Decke und den Proviantbeutel ab, dann folgte sie der Spur, die zum Wasserloch führte. Wer immer hier gelagert hatte, hatte entweder meisterhaft seine Fährten verwischt oder war nur ein einziges Mal zum Wasser hinabgegangen. Die Jägerin hielt inne. Die Sonne küsste den Horizont. Es würde schnell dunkel werden. Da die Spuren im Schlamm leicht zu lesen waren, entschied Nandalee, zunächst in einem weiten Kreis um den Lagerplatz zu gehen und dort nach weiteren Fährten zu suchen.

Die einzige Spur, die sie fand, kam von Osten. Nandalee wusste, dass etwa zehn Meilen entfernt ein großer Albenstern lag. Die andere Jägerin musste von dort gekommen sein.

Im letzten Abendlicht ging Nandalee zurück zum Wasserloch. Der Schlamm am Ufer war von den Hufabdrücken verschiedenster Tiere gezeichnet. Eine Herde Gnus hatte sich genähert, hielt aber Abstand, während der Leitbulle sie aufmerksam beobachtete. Sie warteten darauf, dass dieser sonderbare Zweibeiner vom Wasser verschwand.

Nandalee fand die Spuren der Pegasi-Herde. Die Fußspuren vom Lager führten mitten unter die Herde, als sei, wer immer hier gewesen war, geradewegs zu den geflügelten Pferden gegangen und auf eines aufgestiegen. Verblüfft öffnete Nandalee ihr magisches Auge. Deutlich sah sie die schwingenden Kraftlinien rings herum. Hier war der Zauber gewoben worden, der sich gegen das Gefüge Albenmarks gestellt hatte!

Und jetzt wusste Nandalee, wer vor ihr zum Wasserloch gekommen war. Sie hatte Bidayn von ihrer Begegnung mit den Pegasi und dem Rotrücken erzählt. Sie wusste, dass ihre Freundin den Goldenen gewählt hatte und zur Drachenelfe erhoben werden sollte. Sie musste nur noch ihr Reittier einfangen. Wahrscheinlich hatte sie sich heute auf den Weg zum Jadegarten gemacht. Sie hätte ihr begegnen können, als sie mit Gonvalon hierhergeflogen war. Die verwunschene Wüste zu überwinden, die den Jadegarten umschloss, war der letzte Teil der Prüfung. Ritt man einen Pegasus, war es leicht. Aber wehe dem, der zu Fuß durch die Wüste wollte …

Nandalee stellte sich vor, wie sich ihre Freundin in diesem Moment im Jadegarten feiern ließ. Sie war froh, nicht dort zu sein oder gar Bidayn hier in der Wildnis getroffen zu haben. Was sie in der Goldenen Stadt in der Villa der Seidenen getan hatte, würde für immer zwischen ihnen stehen. Was war nur aus der schüchternen, jungen Elfe geworden, die sie einst in der Höhle des Schwebenden Meisters getroffen hatte? Jene Bidayn, die sich vor dem Weißen Drachen gefürchtet hatte und in Sayn verliebt gewesen war, ohne dem arroganten Schönling davon je ein Wort zu sagen. War es das, was die Weiße Halle aus ihnen machen sollte? Ganz und gar verdrehte Geschöpfe, fern jeder Moral? Mörder, die keine Skrupel kannten? Sie würde nicht so werden, schwor sich Nandalee und kehrte zu der Senke zurück, die hinter Bidayns verlassenem Lagerplatz lag.

Sie entfachte ein kleines Feuer, kochte in einem kleinen Topf ein wenig Reis und Bohnen und sah den Sternen zu, wie sie ihren Weg über den Himmel begannen. Es mochte Tage dauern, bis die Pegasi-Herde wiederkehrte. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sehr die Tiere in Panik geraten sein mussten. Sie wusste, was Bidayn getan hatte: Sie hatte den Zauber gewoben, der sie schneller werden ließ. Plötzlich war sie mitten in der Herde gewesen und hatte auf dem Rücken eines Tiers gestanden, das vermutlich auch schon aufgeschirrt gewesen war. Eine Reiterin, die den Fluss der Zeit manipuliert hatte, konnte nicht abgeworfen werden. Für sie waren alle Sprünge und jedes Bocken des auserwählten Pegasus so langsam gekommen, dass sie sich in Ruhe darauf einstellen konnte, ihr Gleichgewicht zu behalten. Wie lange der ungleiche Kampf wohl gedauert hatte?