»Willst du damit sagen, wir alle seien Feiglinge?«, rief Nyr entrüstet.
»Nein, er möchte nur erreichen, dass Galar eine Entscheidung trifft, ohne seinen Verstand zu benutzen«, mischte sich Hornbori ein. »Und so, wie ich unseren Freund kenne, wird Glamir das auch gelingen.«
»Kümmer dich gefälligst um deinen eigenen Scheiß, Wortefurzer«, schnauzte Galar und erhob sich von seinem Lager. »Erinnere dich, dass selbst die Drachen es nicht geschafft haben, mich umzubringen.«
»Was unterstellst du mir!«, empörte sich Glamir. »Du stehst unter dem Schutz des Alten in der Tiefe. Ich würde niemals die Hand gegen dich erheben.« Bei diesen Worten legte er feierlich seine Linke auf sein Herz. »Das schwöre ich bei den Bärten meiner Ahnen.«
»Es würde dir ohnehin nicht gelingen«, entgegnete Galar selbstsicher. »Also gehen wir. Ich kann es kaum erwarten, dieser verschissenen Kammer zu entkommen.«
Deine Arroganz wird dich umbringen, ich werde fast nichts dazutun müssen, dachte Glamir und sagte: »Also gehen wir.«
Er führte den Schmied hinab zu der Kammer über dem Brunnen. Dort waren bereits zwei Fassanzüge für sie vorbereitet worden. Glamir hasste es, sich dabei helfen lassen zu müssen, in den Fassanzug zu steigen, aber verstümmelt wie er war, brauchte er jemanden, der ihn stützte, während ein zweiter Zwerg die Lederlaschen festzog.
Amüsiert sah er zu, wie Galar mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen seinen Fassanzug ansah. Man musste irre sein, um in so ein Ding zu steigen und sich in den dunklen Brunnen versenken zu lassen. Aber Galar war irre! Nach den Geschichten, die Glamir über den Schmied aus der Tiefen Stadt gehört hatte, war er sich da ganz sicher. Ja, sie waren sich ziemlich ähnlich. Und genau deshalb musste er ihn loswerden.
»Was ist das für ein Ding?«, fragte Galar skeptisch und betrachtete das Fass mit der angenieteten Lederhose und den dicken Lederärmeln, die aus der Seite herausragten.
»Das ist der V-7«, entgegnete Glamir und genoss den fragenden Gesichtsausdruck des Schmieds.
»Ein Variante-sieben-Fassanzug. Das Beste, was wir im Moment zu bieten haben. Erhöhte Bleigewichte, ein größeres Sichtglas, geschützt durch ein Stahlgitter, zwei Abluftöffnungen und das Fass wurde nie zur Lagerung alkoholischer Getränke genutzt. Alle Erfahrungen der letzten Jahre sind in den V-7 eingeflossen. Schau mal zum Beispiel dort vorne, unter dem Sichtfenster der Kasten. Das ist ein Barinstein, der in eine Halbkugel aus Spiegelglas eingelassen wurde. So wird sein Licht gebündelt und gibt einen stärkeren Strahl, der direkt nach vorne leuchtet, wohin du schaust. Und falls es nötig wird, rasch im Dunklen zu stehen, schließt du die Blende davor. Hätte ich so einen Anzug bei meinem Unfall getragen, hätte ich vielleicht meine Glieder behalten.«
»Wieso?« Galar runzelte die Stirn, stieg aber in das Fass und ließ sich in die Lederbeine helfen.
»Die Smaragdspinnen folgen dem Licht, wenn du hochgezogen wirst. Gibt es kein Licht, hast du bessere Aussichten, ihnen zu entkommen.«
»Mein Fass stinkt nach Fisch«, maulte Galar.
»Waren Heringe drin eingelegt. Aber glaub mir, das ist besser als die Branntweinfässer, die wir anfangs genommen haben. Der Alkohol zieht zu tief ins Holz ein. In dem Fass kann es ganz schön warm werden, und wenn du zu schwitzen anfängst, dann dunstet Alkohol aus dem Holz. Ist nicht gut, fünfzig Schritt tief im Brunnen plötzlich besoffen zu sein. Hab drei gute Männer verloren, bis wir verstanden haben, woran es lag. Heringsgeruch ist viel besser!« Glamir streckte seinen linken Arm in den seitlich angebrachten Ärmel aus Büffelleder. Riemen wurden straff um sein Handgelenk und seinen Oberarm gezogen, damit kein Wasser ins Innere des Fasses eindringen konnte. Sein rechter Arm war eine Sonderanfertigung. Die Prothese konnte eine Harpune verschießen, aber davon musste Galar nichts wissen.
Glamir beobachtete den Schmied durch das große, gewölbte Glas, das in die Vorderseite des Fasses eingelassen war. Sein eigenes Fass war eine Sonderanfertigung. Zwei zusätzliche Gläser waren rechts und links in Kopfhöhe angebracht, sodass er einen besseren Überblick hatte. Das einzig Gute an den Smaragdspinnen war das seltsame, phosphoreszierende Licht, das sie umgab. Im Gegensatz zu Muränen oder Seeschlangen konnte man sie von Weitem kommen sehen.
»Was sind denn das für Hebel hier drinnen?«, maulte Galar, seine Stimme klang dumpf durch das Fass. »Welcher hirnlose Zwerg hat sich das denn ausgedacht? Wie soll ich die bedienen, wenn meine Arme in Lederschläuchen außerhalb des Fasses stecken?«
»Ganz einfach, du beißt in den Holzgriff und drehst den Kopf zur Seite. Mit dem blauen Hebel rechts entriegelst du das Rückschlagventil. Keine große Sache.«
»Ein Ventil?« Galar starrte ihn fassungslos durch das Glas seines Fassanzugs an. »Warum sollte ich ein Loch im Fass öffnen?«
»Ein Rückschlagventil!«, antwortete Glamir genüsslich schmunzelnd. »Es kommt kein Wasser rein, jedenfalls wenn alles in Ordnung ist. Es entweicht Luft, wenn der Druck im Fass zu hoch wird.« Er deutete zu den Pumpen im Hintergrund der Höhle, die wie zwei überdimensionale Blasebälge aussahen, über denen zwei hölzerne Hebel aufragten. »Wir haben Schläuche aus einem seltenen Baumblut angefertigt. Sie sind von innen mit einem Spiraldraht stabilisiert. Darüber wird Luft zu uns heruntergepumpt. Und wenn der Druck im Fass zu groß wird, dann öffnest du ein Ventil.«
»Woran merk ich das denn?«
»Du bekommst Ohrenschmerzen. Es hilft, weit den Mund aufzumachen. Besser ist aber, wenn du das Ventil öffnest. Dann wird Luft abgelassen und der Druck ausgeglichen. Tust du das nicht, und der Druck wird immer stärker, könnte irgendwo über dir der Schlauch platzen.«
»Der aus Baumblut gefertigt ist«, sagte Galar hörbar verstört.
»Ein elastisches Harz. Mach dir keine Sorgen deshalb.«
»Und der rote Holzgriff links?«
»Damit verriegelst du die Öffnung für den Schlauch oben im Fass. Sollte der Schlauch platzen und Wasser eindringen, hast du immer noch genug Atemluft im Fass, um sicher hochgezogen zu werden. Das Fass hängt an einer schweren Stahlkette, die an einer Öse im Fassdeckel aus Kupfer befestigt ist. Wir holen jeden hoch. Du musst keine Angst haben.«
»Ich hab keine Angst«, knurrte Galar gereizt.
»Angst hilft dir, da unten zu überleben, Junge. Du solltest besser nicht zu mutig sein. Die Tollkühnen sind immer die ersten Toten.«
»Ist ja wohl keine Schlacht, in die wir ziehen.«
Glamir sagte dazu nichts. Der Junge würde schon noch sehen, worauf er sich eingelassen hatte. »Links von dir findest du ein Seil. Wenn du daran dreimal ruckartig ziehst, ist das das Signal, dass du schnell heraufgezogen werden willst. Einmal ziehen heißt, den Kranarm, von dem du hängst, nach rechts schwenken, zweimal ziehen, nach links schwenken und viermal ziehen, dass sie mehr Kette geben sollen, damit du tiefer sinken kannst. Vorne am Fass gibt es Lederschlaufen, in denen Werkzeug steckt. Ein Pickel, ein Stemmeisen, ein Hammer und vor allem ein starker Magnetstein. Du wirst nur ein paar kleine Späne aus dem seltsamen Eisen dort unten lösen können. Mit dem schweren Lederhandschuh kannst du sie nicht greifen, der Magnetstein hilft dir, sie einzusammeln.«
Galar nickte.
»Noch Fragen?«
»Das Blei hier im Fass dient dazu, dass wir schneller sinken, richtig?«
»Es ermöglicht uns, überhaupt zu sinken«, erklärte Glamir. »Ohne das Blei treiben die Fässer auf dem Wasser.«
»Warum ist es nicht so angebracht, dass man es einfach abwerfen kann? Dann würde das Fass aus eigener Kraft nach oben steigen.«
Dumm war er nicht, dachte sich Glamir. Sie hatten das anfangs auch versucht. »Kommt das Fass zu schnell nach oben, passiert irgendetwas mit deiner Lunge. Wir wissen nicht genau was. Aber es kann passieren, dass du aus der Nase und dem Mund zu bluten beginnst und verreckst. Zu schnell aufzusteigen ist nicht gut. Jedenfalls nicht, wenn du fünfzig Schritt tief im Wasser bist. Noch weitere Fragen? Das ist die letzte Gelegenheit. Wenn erst einmal der Kupferdeckel auf dem Fassanzug festgeschraubt ist, gibt es keine Möglichkeit mehr, miteinander zu reden.«