Glamir entschied, noch ein wenig zu warten, bevor er dreimal an der Signalleine ziehen würde. Er wollte ganz sicher sein, dass sie in die Höhle fanden, obwohl auch sie wahrscheinlich den Klang des Pickels hörten. Der Anblick der Smaragdspinnen ließ seine alten Narben brennen. Er fühlte sich schlecht.
»Es muss sein!«, sagte er mit fester Stimme, aber das half nicht. Er war in seinem Leben schon vieles gewesen. Aber heute wurde er zum ersten Mal zum Verräter.
Smaragdspinnen
Galar hieb mit aller Kraft auf die Metallwand, die er im Fels verborgen gefunden hatte. Dann untersuchte er im mattgelben Licht der Blendlaterne das Metall. Er hatte nur eine kleine Schramme im Metall hinterlassen. Er schien nicht einmal einen Span gelöst zu haben. Deutlich sah er die Spuren jener, die vor ihm hier gewesen waren. Er empfand Respekt vor den Männern. Um überhaupt eine Spur zu hinterlassen, musste man schon ziemlich fest zuschlagen können.
Das Werkzeug, das sie ihm mitgegeben hatten, war für diese Aufgabe nutzlos. Vielleicht könnte er mit einem Diamanten ein paar Späne aus der Metallplatte kratzen? Seltsam, dass Glamir darauf noch nicht gekommen war. Vielleicht hatten sie hier einfach keinen Diamanten, der sich in ein Werkzeug einpassen ließ. Und da der Turm in Kürze von der Außenwelt abgeschnitten wäre, würden sie auch lange kein neues Werkzeug bekommen.
Wieder hieb Galar mit aller Kraft den Pickel vor die Wand. Sie vibrierte nicht, bewegte sich nicht das kleinste bisschen, ganz gleich, wie heftig er darauf eindrosch. Sie musste dick sein und bestimmt endete sie nicht ein kleines Stück rechts oder links vom Fels, in den sie eingebettet war. Der Schmied dachte daran, was Amalaswintha erzählt hatte. Konnte es eine so riesige Metallwand mitten im Felsgestein geben? Und wenn ja, was war ihr Nutzen? Und wer hatte sie errichtet?
Statt weiter an der Wand zu arbeiten, leuchtete er zur Seite und betrachtete den Fels, in den sie verschwand. Das Gestein war porös. Er hob den Pickel. Schon mit dem ersten Hieb gelang es ihm, einen faustgroßen Brocken loszulösen. Ein wenig Geröll rutschte nach. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Gestein zu brechen, ohne vorab die Höhlendecke und die Seitenwände vernünftig abzustützen. Eigentlich sollte er es besser wissen. Sein Leichtsinn war nicht … Mehr Geröll löste sich an der Stelle, an der er den Steinbrocken herausgebrochen hatte. Der Fels gab ein bedrohliches Knirschen von sich. Jetzt rieselten auch von oben feine Gesteinssplitter herab und tanzten im Lichtkegel seiner Blendlaterne.
Galar wich ein Stück zurück. Er war kein Steiger. Er hatte so gut wie keine Ahnung vom Bergbau. Hätte er nur die Finger davon gelassen! Seine verfluchte Neugier würde ihn eines Tages noch umbringen.
Er trat noch einen Schritt zurück. Es hatte aufgehört, der Berg war wieder ruhig. Erleichtert atmete er auf. Sein Kopf schmerzte. Es war ein Gefühl, als habe jemand Finger in seine Ohren gesteckt und versuchte nun, ihm das Gehirn auszuquetschen. Das Ventil! Er hatte es völlig vergessen!
Welcher Hebel war es auch gleich? Der blaue oder der rote? Er versuchte es mit Blau. Seine Zähne gruben sich in den Holzgriff. Diese Fassanzüge waren wirklich nicht ausgereift. Der Druck ließ nach. Er blinzelte und betrachtete die Metallwand. Wenn er es schaffte, ein paar winzige Späne mit nach oben zu bringen, könnte er froh sein. Nyr sollte sich das einmal ansehen. Er war ein findiger Kopf, und es war an der Zeit, dass er mal an was anderes dachte als an den kleinen Hosenscheißer. Frar hatte sich erstaunlich gut gemacht. Er war groß für sein Alter. Drachenblut und vorgekaute Sardinen hatten ihn nicht umgebracht. Der Junge würde es ein paar Stunden ohne Nyr aushalten.
Galar drehte sich in der Felsnische um. Vor dem Ausgang war kein Lichtschein mehr. Glamir war verschwunden. Ob der Alte ein paar dieser ekelhaften Schnecken sammelte?
Galar trat bis zum Höhlenrand und sah nach oben. Da war nichts. Kein Licht, nicht einmal das des Einstiegslochs in die Kuppeldecke. Unten vielleicht? Er musste sich weit vorbeugen, um in den Abgrund zu blicken. Schatten, gehüllt in unstetes, grünes Licht, hasteten den Hang hinauf. Von Glamir gab es keine Spur. Der Alte hatte sich verdrückt und ihn zurückgelassen! Galar griff nach dem Notseil, zog ruckartig daran. Kein Widerstand. Was …? Das durchtrennte Ende des Seils sank durch den Lichtkegel seiner Blendlaterne.
Schlagartig wurde dem Schmied klar, warum Glamir ihn mit zur Wand hinuntergenommen hatte. Er wollte ihn aus dem Weg räumen. Aber so leicht verreckte er nicht! Galar trat zurück in die Felsnische. Die verdammten Spinnen konnten ihn hier nur von vorne angreifen. Er war ein Drachentöter! So leicht würde er sich nicht umbringen lassen!
Er zog das Messer, das in einer der Fassschlaufen steckte. Zusammen mit dem kurzstieligen Pickel waren es die besten Waffen, um sich gegen Spinnen zur Wehr zu setzen. Das hoffte er zumindest. Seine Erfahrungen mit Spinnen beschränkten sich auf solche, die man ohne Schwierigkeiten mit der flachen Hand erschlagen konnte.
»Kommt schon!«, rief er so laut, dass ihm in dem engen Fass die Ohren dröhnten. »Ich mach euch fertig!«
Die erste Spinne, die in die Felsnische einstieg, ließ ihm den Atem stocken. So groß sollten solche Viecher nicht sein! Die langen, schlanken Beine trugen einen wuchtigen Rumpf. An Land würde die Spinne einfach über ihn hinwegstelzen können, ohne dass ihr Bauch ihn berühren würde. Die beiden Vorderbeine endeten in spitzen Dornen. Unter dem Maul wuchsen zwei kleinere Arme hervor, die in Scheren, groß wie Schwerter, mündeten. Leuchtend grüne Augen blickten aus dem dunklen Körperpanzer auf ihn herab. Ein geisterhaftes, grünes Licht umspielte die Spinne.
Galar wurde bewusst, dass er einen Fehler bei der Wahl seiner Waffen begangen hatte. Mit der Brechstange hätte er vielleicht eines der gepanzerten Spinnenbeine zerschmettern können, mit dem Pickel hingegen könnte er höchstens auf einen Glückstreffer hoffen. Er wünschte, er hätte eine vernünftige Axt dabei!
Eines der Vorderbeine schnellte vor. Er wich zur Seite aus. Viel Platz war in der verdammten Felsnische nicht. Sofort schnellte das zweite Bein vor. Dieser riesige Mistkäfer wollte ihn einfach aufspießen! »So leicht tötest du mich nicht!«, schrie er wütend und warf sich der Seespinne entgegen.
Eine Schere schnappte nach der Hand, in der er sein Messer hielt. Er zuckte zurück. Die Schere schloss sich um die Spitze der Klinge und durchtrennte sie so leicht, als sei sie nicht erstklassiger Zwergenstahl, sondern ein dünnes Ästchen. Plötzlich konnte sich Galar sehr bildlich vorstellen, wie Glamir seine Gliedmaßen verloren hatte. Die zweite Schere schnappte nach einem seiner Beine. Er ließ den Pickel mit aller Wucht auf den dicken Hornpanzer niedersausen. Die Spitze drang in die Schere ein, aber dann wurde ihm die Waffe aus der Hand gerissen, als die Spinne den Scherenarm zurückzog.
Galar griff nach dem Brecheisen in der Lederschlaufe, als die in Dornen endenden Beine erneut vorstießen. Im plumpen Fassanzug konnte er nicht schnell genug ausweichen. Einer der Dornen schrammte über das Holz. Es gab ein kreischendes Geräusch. Galar wurde nach hinten geworfen, und ein eisiger Strahl Wasser schoss ihm ins Gesicht.
Ich bin tot, war sein erster Gedanke. Er stach mit dem verstümmelten Messer nach den Spinnenbeinen, richtete aber keinen Schaden an. Wieder stießen die Dornbeine auf ihn hinab.
Er ließ sich in die Knie sacken. Eines der Beine kratzte neben ihm über die Metallwand und hinterließ eine tiefe Schramme. Jetzt weiß ich, wie man dieser Wand beikommt, dachte Galar resignierend, werde aber verrecken, bevor ich es irgendjemandem sagen kann. Das eiskalte Wasser im Fassanzug stand schon bis zu seinem Brustbein. Er erinnerte sich daran, dass ihm der Steuermann eines Aals einmal erzählt hatte, dass Tauchboote nie ganz voll Wasser liefen, wenn es keine zweite Öffnung gab. Es hielt sich immer eine Luftblase an der höchsten Stelle.