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Es war kein langer Flug. Nandalee krallte sich verzweifelt in die Lederschlaufen auf dem Sattel. Sie hatte Angst, wieder ohnmächtig zu werden und aus dem Himmel zu stürzen. Klug wäre es gewesen, den Pegasus einfach durch die Klamm in das verborgene Tal preschen zu lassen. Aber kein Drachenelf, der sein Reittier gefunden hatte, hatte je diesen Weg genommen. Sie musste fliegen und vor der Pyramide landen, wenn sie nicht ihr Gesicht verlieren wollte.

Flötenspiel und sanfter Trommelschlag schlichen sich in ihr Bewusstsein. Fast hätte sie die Grenze zum Schlaf überschritten. Unter sich sah sie den weiten Garten Nachtatems. Fackeln beleuchteten die verschlungenen Wege. Auf einer Wiese nahe der Pyramide waren Zelte aufgeschlagen. Nandalee biss sich auf ihre spröden Lippen, damit der Schmerz die Benommenheit vertrieb. Das Fieber hatte sie fest im Griff. Sie versuchte sich aufzusetzen, doch die Schwungfedern des Pegasus streiften ihre Beine. Sie würde seinen Flug stören, wenn sie nicht fest im Sattel stand, so wie es sich für einen Pegasusreiter gehörte, hatte aber nicht die Kraft sich aufzustellen. So blieb sie auf seinem Rücken liegen, klammerte sich an die Sattelschlaufen und hoffte, dass alles gutgehen würde.

Etwas abseits, im Schatten blühender Tulpenbäume, war ein besonders großes, dunkelrotes Zelt aufgestellt worden. Sein Tuch war mit aufwendigen Goldstickereien geschmückt, die fliegende Schlangendrachen zeigten. Dort musste Nachtatem zu finden sein, dachte Nandalee und versuchte, Sternauge an diesen Gedanken teilhaben zu lassen. Augenblicklich flog ihr Pegasus eine weite Kehre und ging sehr langsam tiefer. Ihr war es ein Rätsel, wie er sie verstehen konnte, vermochten doch nicht einmal die Himmelsschlangen, in ihren Gedanken zu lesen.

Sternauge musste gespürt haben, wie unsicher sie im Sattel hing, und fürchtete wohl, dass sie bei einem tollkühnen Flugmanöver stürzen könnte, denn er bewegte sich unendlich sanft. Dicht über der Wiese spreizte er die Schwingen, um mit weniger Schwung zu landen. Seine großen Hufe trommelten auf den Boden, der dicht wie Schnee mit roten Blütenblättern bestreut war. Grassoden flogen auf. Nach etwa dreißig Schritt kam er zum Stillstand.

Nandalee stürzte mehr aus dem Sattel, als dass sie abstieg. Sie lehnte einen Augenblick an Sternauge, dann zwang sie sich, gerade zu stehen. Die Musik im Lager war verstummt. Kobolde mit Fackeln in den Händen eilten ihr entgegen. Die Plane am Eingang des großen, roten Zeltes wurde zurückgeschlagen. Eine breite Lichtbahn schnitt in die Dunkelheit. Und inmitten des Lichtes stand ein goldhaariger, hochgewachsener Elf von betörender Schönheit.

»Es tut mir leid, Euch in diesem Zustand zu sehen, Dame Nandalee.« Die Stimme des Elfen ließ ihr Herz aufgehen. Sie war Verheißung. Allein sie zu hören linderte ihren Schmerz. Wenn sie in dieses Zelt trat, dann würde ihre Zukunft so strahlend sein wie die Gestalt, die vor ihr stand und sie mit ihrem Lächeln willkommen hieß.

Noch hatte sie die Wahl. Es war der allerletzte Augenblick. Sie sah durch den offenen Eingang, wer im Zelt weilte. Bidayn und Lyvianne.

Sie stand vor dem Lager des Goldenen, der Elfengestalt angenommen hatte.

»Mögt Ihr nicht eintreten, Dame Nandalee, und alle Mühsal hinter Euch lassen?« Er trat ein wenig zur Seite und wies auf das Zelt, das ein Meer von Lichtern erhellte. Auf einem Löwenfell lag Bidayn, nackt, ihr Rücken voller Blut und leuchtender Farben. Sie empfing die Tätowierung, die den Bund mit dem Goldenen besiegelte, ihrem eigenen Drachen. Noch war erst der Entwurf vollendet. Eine mächtige, geflügelte Schlangengestalt, die mit ihren Krallen an einem Netz zerrte, das eine Kugel umfing.

Bidayn winkte ihr zu und lächelte, so wie damals, als sie gemeinsam in die Weiße Halle gegangen waren und sie sich manche Nacht zu Nandalee in deren Kammer geschlichen hatte. Das Gesicht ihrer Freundin war schmaler geworden, härter. Sie hatte sinnliche Lippen und große, schwere Brüste, fast so weiß wie Milch. Nandalee musste daran denken, woher diese Haut stammte. Nichts würde je wieder so sein wie früher. Bidayn hatte ihren eigenen Weg gefunden.

Ihr werdet dieses Zelt nicht betreten, Dame Nandalee, ebenso wenig, wie Ihr mit Gonvalon gehen werdet, schnitt eine Stimme wie ein Messer in ihre Gedanken. Zwischen den Tulpenbäumen trat die Gestalt eines Elfen hervor, dem das Dunkel der Nacht zu folgen schien. In seiner Nähe verblasste das Licht, das vom Zelt ausging, und obwohl er aus dem Schatten der Bäume heraustrat, schien ihm die Dunkelheit zu folgen. Nachtatem, ihr Meister, hatte sie gefunden. Seine eisblauen Augen musterten sie voller Missfallen.

Wie könnt Ihr so hierherkommen, meine Dame? Ihr gehört zu mir, und wenn Ihr zerlumpt und verletzt auf einem Fest der Drachen erscheint, dann fällt dies auf mich zurück. Ich wirke schwach, wenn Ihr ein Abbild von Schwäche seid. Ihr seht nicht aus wie eine Drachenelfe, sondern wie ein geprügelter Kobold!

Äußerlich ließ sich Nachtatem seinen Zorn nicht anmerken. Ein kühles Lächeln spielte um seine Lippen, als für alle vernehmbar seine dunkle, wohltönende Stimme erklang. »Mir scheint, Ihr hattet einen schweren Kampf, Dame Nandalee. Täusche ich mich, oder umgibt Euch der Geruch von Blut.«

»Gazellenblut«, sagte sie mit kratziger Stimme. Sie litt wieder Durst und hatte Angst, dass sie jeden Augenblick vor Schwäche zu Boden sinken könnte. Nachtatem brüskiert zu haben wühlte sie zutiefst auf. Alles, was sie je gewollt hatte, war, ihm zu gefallen. Ihn zu sehen, ließ sie alles andere vergessen. In einem fernen Winkel ihres Bewusstseins war ihr klar, dass diese Gefühle dem Zauber der Himmelsschlangen entsprangen. Alle Geschöpfe Albenmarks verehrten sie. Es war unmöglich, ihnen zu begegnen und von ihnen nicht vereinnahmt zu sein, selbst wenn sie nur in Elfengestalt erschienen und ihren Drachenleib verbargen.

»Mir scheint fast, die Dame Nandalee hat in Gazellenblut gebadet, so stark wie ihr dieser sinnliche Duft anhaftet.« Der Goldene ließ auf laszive Art seine Zunge über seine Lippen spielen. »Ich gratuliere Euch zur Wahl dieses Duftes, meine Dame. Er passt zu Euch. Er macht Euch begehrenswert. Man möchte Euch geradezu verschlingen. Wusstet Ihr, wie sehr mein dunkler Nestbruder rohes Fleisch schätzt? Ihr solltet zweimal darüber nachdenken, diesen Duft aufzulegen, bevor Ihr ihn besucht. Manchmal kann er überraschend zügellos sein.«

Nandalee schwankte leicht. Ihr Blick klammerte sich an den Dunklen. Stumm bat sie ihn darum, sie einfach mit sich zu nehmen und von hier fortzubringen. Sie brauchte seine Stärke nun. Sie würde jeden Augenblick zusammenbrechen, und sie wollte ihn nicht noch weiter brüskieren. Er sah so gut aus, wenn er Elfengestalt annahm. Schon als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie sein ernstes Gesicht mit den vollen Lippen und dem energischen Kinn, das eine Spur zu breit war, sehr gemocht. Er trug sein schwarzes, leicht gewelltes Haar schulterlang, sodass es auf seinen Brustpanzer aus blauschwarzen Schuppen fiel, die seinen eigenen Schuppen in Drachengestalt ähnelten. Obwohl es ein warmer Abend war, war er mit einer weißen Hose aus weichem, lose fallendem Stoff angetan, die in kniehohen Schaftstiefeln steckte. Breite, goldene Reife schmückten seine blassen Arme. Er strahlte Macht aus und Selbstbewusstsein. Ihn zu sehen erinnerte Nandalee stets daran, wie unbedeutend sie war.

Wie hatte Gonvalon sie genannt? Die Drachenelfen waren nur Pfeile, die die Himmelsschlangen von ihren Bögen verschossen. So viel Arbeit ein Jäger auch in die Herstellung eines Pfeils steckte, wurde er doch unbedeutend, war er in der Schlacht erst einmal verschossen.

»Komm!«, befahl der Dunkle brüsk und streckte ihr die Hand entgegen.

Nandalee musste all ihre verbliebene Kraft für diese letzten Schritte aufbieten, doch kaum berührte sie den Drachen in Elfengestalt, durchflossen sie neue Kraft und ein Wohlgefühl, das sie gegen ihren Willen aufseufzen ließ.