»Noch in dieser Nacht wirst du ganz die Meine sein«, sagte er verheißungsvoll und führte sie zum Eingang der alten Pyramide.
Gezeichnet
Der Dunkle führte sie hinab in jenes weite, überflutete Gewölbe, in dem er den Gazala, seinen Seherinnen, lauschte. Als sie eintraten, verstummte ihr unablässiges Murmeln.
Nandalee fühlte ihre Blicke auf sich lasten. Würden diese Wesen, die halb Gazelle, halb Elfe waren, und denen die Fähigkeit, in die Zukunft sehen zu können, jede Hoffnung auf ein normales Leben genommen hatte, zusehen bei dem, was nun kommen würde? Der Dunkle sagte etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand. Seine Worte hallten unheimlich von den Wänden wider.
Alle Gazala verbeugten sich. Es war eine Bewegung voller Anmut, zugleich aber auch von verstörender Gleichzeitigkeit, als seien sie alle nur ein einziger Körper. Sie verließen das weite Gewölbe.
»Entkleidet Euch bitte, Dame Nandalee.«
Sie hatte es bislang nie als unschicklich empfunden, sich nackt zu zeigen, aber es lag etwas im Blick der geschlitzten Pupillen des Drachen, das sie erschauern ließ. Unfähig sich zu rühren, sah sie ihn einfach nur an. Er trat nahe vor sie. Wohlgeruch entströmte seinem Atem. Langsam, zärtlich strich er ihr über die Wange. Sie sah, wie der Nagel seines Mittelfingers sich in eine Kralle verwandelte.
Die Hand glitt tiefer. Sie hörte das Reißen von Stoff. Streifen um Streifen schnitt er ihr die zerrissenen Kleider vom Leib. Dabei sah er ihr unverwandt in die Augen, als sei ihre Nacktheit völlig nebensächlich und alles, was ihn interessierte, in ihrem Blick zu finden.
Er ging vor ihr im flachen Wasser des Gewölbes in die Knie, noch immer ohne den Blick von ihren Augen zu lassen. Die Kralle schlitzte das Leder ihrer Stiefel, und Nandalee stellte sich vor, mit welcher Leichtigkeit sie ihre Haut zerfetzen würde.
Zwei Gazala waren zurückgekehrt und traten an ihre Seite. Eine trug eine flache Schale mit klarem Wasser, auf deren Grund das Bild eines blühenden Kirschbaums gemalt war, die andere Gazellenfrau hielt seidene Tücher auf ihren Armen.
Der Dunkle nahm eines der blütenweißen Tücher, tunkte es in das Wasser und begann vorsichtig, ihre Haut abzutupfen. Das Wasser war angenehm kühl. Leichter Anisgeruch haftete ihm an. »Eure Haut muss vollkommen sauber sein, Dame Nandalee. Ich werde Euch verletzen, wenn ich Euch das Bild, das Euch zur Drachenelfe macht, unter die Haut steche. Gelangt Schmutz in die Wunden, dann könnten sie sich entzünden.« Er tupfte über ihre Brüste und ein wohliges, warmes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus. Ihre Brustwarzen richteten sich auf, doch er hatte keinen Blick dafür. Nach wie vor sah er ihr ins Gesicht, so als gäbe es nur ihre Augen und alles andere sei ohne Belang.
»Ich werde Euch Schmerzen bereiten, Dame Nandalee, sie sind Teil des Rituals. Sie werden lange anhalten. Es wird ein großes Bild werden, auch wenn ich noch nicht weiß, wie es aussehen wird. Ganz gewiss wird es Euren Rücken füllen, vielleicht auch Teile der Arme und Beine. Ihr werdet dieses Gewölbe erst wieder verlassen, wenn es vollendet ist. Und wenn Ihr geht, meine Dame, dann werdet Ihr äußerlich wie innerlich eine andere sein.«
Während er sprach, tupfte er immer weiter ihren Leib ab. Die besudelten Seidentücher ließ er achtlos fallen. Sie trieben wie verlorene Blüten im Wasser um ihre Knöchel.
»Ich vermag Euch nicht zu sagen, was geschehen wird. Es ist jedes Mal anders. Der Schmerz wird wie Wellen gegen Eure Seele branden. All Eure Sinne werden berührt sein. Eure Augen mögen Euch Trugbilder vorgaukeln oder Ihr mögt plötzlich einen unerträglichen Heißhunger verspüren. Gebt Euch ganz Euren Gefühlen hin. Die Gazala werden stets nahe sein. Sie werden jeden Eurer Wünsche erfüllen, meine Dame, nur einen nicht. Der Schmerz endet erst, wenn das Bild vollkommen ist. Und wenn er endet, wird eine Zeit kommen, in der Ihr Euch nach ihm zurücksehnt, denn nichts von allem, was Ihr je erleben werdet, wird sein wie die nächsten Tage. Wenn Ihr Euch fallen lasst und mit dem Schmerz treibt lasst, wird er Euch nach einer Zeit Lust bereiten, wie Ihr sie noch nie kennengelernt habt.«
Der Dunkle fasste ihr Kinn und wandte ihr Gesicht zur Seite. Jetzt endlich war der Bann seiner eisblauen Augen gebrochen. Blaugrauer Rauch trieb über das Wasser, wob einen Schleier, der das weite Gewölbe unwirklich erscheinen ließ. Kristallschalen, in denen kleine Kerzen brannten, trieben auf dem Wasser und verbreiteten ein gelbes Licht, das, vom dunklen Wasser reflektiert, ein fließendes, gelbes Muster auf die gewölbte Decke reflektierte.
Die flache Insel, die sich in der Mitte der Höhle aus dem Wasser erhob, war nun mit schweren Teppichen und Kissen bedeckt. Nahe beim Wasser brannte in Kupferschalen Räucherwerk. Ein schwerer, harziger Duft kratzte in Nandalees Hals und umschmeichelte zugleich ihren Geruchssinn. Er trug zunächst den Duft von Moschus mit sich und einen Hauch vom Aroma überreifer Mangos, dann wandelte er sich wieder und roch wie Zitronengras, das man zwischen den Fingern zerrieb.
Der Dunkle nahm sie bei der Hand und führte sie zur Insel. Die Gazala trugen Obst in Schüsseln aus hauchzarter Keramik herbei. Kirschen und schwere, reife Trauben, goldene Äpfel, dunkelrote Beeren und seltsame mit Stacheln besetzte Früchte, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. In anderen Schalen entdeckte sie Gebäck. Der Duft von gewürztem Fleisch mischte sich unter die Aromen, die im Rauch schwangen.
»Legt Euch nieder, meine Dame«, sagte der Dunkle sanft. Er bettete ihr Haupt auf eine steife Nackenrolle. Hinter Nandalee kniete eine Gazala nieder, die ihr strähniges Haar nahm und es durch ihre feingliedrigen Finger gleiten ließ.
»Ihr mögt den Geruch von Vanille, meine Dame?«, fragte er, während er die Lederschließen seines Schuppenpanzers öffnete.
»Ja.«
Der Dunkle lächelte sanft. »Ich auch«, sagte er, legte die Rüstung ab und streifte die Tunika, die er darunter getragen hatte, über seine Schultern. Seine helle Haut schimmerte, als sei sie leicht geölt.
Warmes Wasser benetzte Nandalees Haar. Die Gazellenfrau massierte ihre Kopfhaut sanft mit den Fingerspitzen, und jede ihrer Berührungen jagte ihr ein angenehmes Schaudern über den Rücken. Dann wusch die Gazala Nandalees Haar über einer Schale. Sie mengte dem Wasser Vanilleöl bei, dessen Duft kurz alle anderen Gerüche überlagerte.
Weitere Gazala brachten ein weißes Tuch, auf dem Bambusstiele lagen, die an Pinsel erinnerten, nur dass nicht Haare, sondern jeweils fünf oder sechs, nicht einmal einen halben Zoll lange Stahlnadeln von der Zwinge aus feinem Seidengarn gehalten wurden. Neben den Tätowiernadeln lagen auch wirkliche Pinsel, deren rote Haarbüschel etwa so dick wie Nandalees kleiner Finger waren. Schweigend trugen die Gazala Dutzende weiße Schälchen heran, in denen alle nur erdenklichen Farben schimmerten. In einem weiten Halbkreis stellten sie sie um Nandalee ab.
Der Dunkle war nun nackt. Er band sein Haar zurück in den Nacken und kniete neben ihr nieder. »Ihr erlaubt, dass ich heile, was die Wüstensonne Eurer Haut angetan hat?«
Wie hätte sie dieser sanften, dunklen Stimme widersprechen können? Sie würde zustimmen, was immer er von ihr verlangte. Nun war er mit allen Sinnen bei ihr, das las sie in seinen Augen. Die Gazala, die weite Grotte, der Rauch, das alles existierte für ihn nicht. Nur sie allein war in diesem Augenblick von Bedeutung für diesen Drachen, der so alt wie die Welt war.
Nandalee nickte. Sie hatte Sorge, ihre raue Stimme würde seine Ohren beleidigen, und sie sehnte sich nach nichts mehr, als ihm zu gefallen.
Seine Fingerspitzen glitten sanft über ihre Haut. Die Kralle, die ihre Kleider zerfetzt hatte, war wieder verschwunden. Seine Berührung war sanft wie ein Lufthauch. Ein Prickeln überlief ihre Haut. Sie sah, wie Rötungen verschwanden, wie die Verletzung an ihrer Hand heilte. Als seine Finger ihre Lippen streiften, berührte sie sie mit der Zungenspitze. Die geschlitzten Pupillen des Dunklen verengten sich.
Wie hatte sie das tun können, dachte Nandalee erschrocken. Er musste sie für völlig schamlos halten, wusste er doch, dass sie und Gonvalon ein Paar waren. Beschämt senkte sie den Blick, und doch fuhr ihre Zungenspitze erneut über die Lippen, die der Dunkle eben erst berührt hatte. Sie waren weich und geschmeidig, als hätten sie niemals vom Glutodem der Wüste gekostet.