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Irgendwo fern in der Pyramide erklang Musik, leise Gongschläge, die tief im Bauch vibrierten, begleitet von Saitenspiel und einer melancholischen Flöte. Die Melodie war unaufdringlich, lud dazu ein, die Lider zu schließen und zu träumen.

»Ihr werdet auf dem Bauch liegen, während ich an dem Bild arbeite, und Ihr werdet nicht sehen können, was ich tue, deshalb gebt nun acht.« Der Dunkle griff nach einem der Bambusstöcke mit den kurzen Tätowiernadeln. »Reicht mir Eure Hand, meine Dame.«

Nandalee setzte sich auf. Warmes Wasser troff über ihren Rücken. Die Gazala trocknete ihr mit einem weichen Tuch das Haar.

Als der Dunkle ihre Hand ergriff, richteten sich die feinen Härchen auf ihrem Arm auf, und wieder war da dieses warme, wohlige Gefühl in ihrem Bauch. Sie versuchte an Gonvalon zu denken, an seine zärtlichen Küsse. Daran, wie er einfach stumm für sie da sein konnte, wenn kein Wort ihren Weltschmerz zu lindern vermochte. Sie sollte ihm ganz und gar gehören und die Berührung des Dunklen nur als Teil einer unangenehmen, letzten Pflicht empfinden. Doch dem war nicht so. Sie sehnte sie herbei.

»Hiermit werde ich zunächst alle Linien zeichnen und danach die Flächen zwischen ihnen mit Farbe füllen. Viele tausend Male werde ich die Nadeln unter Eure Haut stoßen, meine Dame.« Mit diesen Worten stach er in ihren Handrücken. Wieder und wieder und wieder. Es war eine geübte Bewegung ohne Eile, sicher. Als er ihre Hand losließ, zog sich eine geschwungene, blutrote Linie vom Zeigefinger zum Handgelenk. Ein einzelner Blutstropfen rann über ihren Daumen hinab und tropfte auf den Teppich, auf dem sie saß.

Es war kein intensiver Schmerz gewesen. Sie hatte ihn ohne mit der Wimper zu zucken ertragen. Sie war eine Kriegerin!

»Täuscht Euch nicht, meine Dame«, sagte der Dunkle eindringlich, als habe er ihre Gedanken erraten. »Der Schmerz wird wachsen, so wie eine Lawine wächst und schließlich alles mit sich fortreißt, was sich ihr in den Weg stellt. Ihr müsst mit dem Schmerz fließen, oder Ihr werdet ihm nicht widerstehen, wenn ich die Nadeln Stunden um Stunden in Eure zarte Haut versenke. Ich darf nicht zu zaghaft sein, denn steche ich nicht tief genug, dann wird das Bild verblassen und schließlich ganz verschwinden. Steche ich aber zu tief und Ihr blutet, dann wird das Blut die Farbe aus den Wunden spülen, und ich muss mein Werk erneut beginnen, wenn die Verletzung verheilt ist.«

Er nahm einen der Pinsel, tunkte ihn in leuchtend rote Farbe und klemmte ihn unter den Mittelfinger seiner flach ausgestreckten linken Hand, dann streifte er den kurzen Bambusstock mit den Nadeln mit fließender, wohlgeübter Bewegung durch die Farbe auf dem Pinsel, sodass sie alles gut sehen konnte. »So nehme ich die Farbe auf. Es geht schnell, auch wenn ich die Nadeln viele tausend Male aufs Neue benetzen muss. Nun wisst Ihr, was ich Euch antun werde, meine Dame. Seid Ihr bereit, diese letzte aller Prüfungen über Euch ergehen zu lassen?«

Nandalee nickte, ohne zu zögern, doch mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. »Gonvalon …«, sagte sie leise.

»Ich habe ihm einen Boten schicken lassen. Er weiß, dass Ihr wohlbehalten zurückgekehrt seid, meine Dame.«

Nandalee glaubte einen Anflug von Ärger aus den Worten herauszuhören.

»Er weiß, was wir hier tun. Auch er war einmal ein Drachenelf und ist diesen Weg gegangen. Nun dreht Euch um, legt Euch auf den Bauch, lauscht der Musik und öffnet Euch den betörenden Düften, die uns umschmeicheln. Wir müssen unsere Seelen in Einklang bringen, um das eine Bild zu finden, in dem wir uns beide widerspiegeln.«

Nandalee gehorchte. Sie fühlte sich leicht benommen. Lag es am Fieber oder war etwas im Rauch, das ihre Wahrnehmung veränderte? Alles geschah langsamer. Jedes Gefühl war tiefer. Der Dunkle strich ihr sanft über den Rücken. Seine schlanken Hände liebkosten ihre Schultern, lösten kleine Knoten in ihren Muskeln. Bald fühlte es sich so an, als würden seine Hände ihren Leib verstehen und auf ihm spielen wie ein Musiker auf einem wohl vertrauten Instrument. Er wusste, wo seine Berührung samtenen Schmerz verursachen würde und wo sie ihr Lust bereitete. Sie bewegte sich, presste ihren Leib seinen Händen entgegen und stöhnte leise. Feuchte Hitze wogte zwischen ihren Schenkeln. Seine Hände fuhren ihre Wirbelsäule hinab. Tiefer und tiefer … Er hauchte einen Kuss auf ihren Nacken. »Ich sehe es«, sagte er leise.

Seine Hände flohen, ließen sie allein mit ihren aufgewühlten Gefühlen. Dann kam der Schmerz. Ein erster Stich dicht neben der Wirbelsäule. Sie zuckte, mehr überrascht als wegen der Pein. In schneller Folge kamen weitere Stiche, nur kurz unterbrochen, wenn er die Nadeln über den Pinsel strich, um neue Farbe aufzunehmen.

Der Schmerz wanderte in weitem Bogen hinauf zu ihrem Schulterblatt. Sie versuchte, nicht dagegen anzukämpfen. Es war so, wie der Dunkle es prophezeit hatte, der Schmerz wuchs, wurde mit jeder neuen Linie, die er begann, unerträglicher. Sie verkrampfte sich, kämpfte dagegen an und wusste, dass es falsch war. Die Lawine würde sie verschlingen, wenn sie nicht mit ihr mitschwamm, und doch vermochte sie nicht aufzugeben. Zu kämpfen war ihre Natur, eher ging sie unter, als aufzugeben. Tränen rannen ihr über die Wangen, aber sie biss die Zähne zusammen und verweigerte sich jedem Schluchzen. Ein Zucken ihrer Schultern mochte den Verlauf der blutigen Linien stören, die sich in ihr Fleisch gruben. Sie kämpfte weiter, war erschöpft, spürte nagenden Hunger und die irrationale Lust, sich auf den Dunklen zu stürzen und ihn zu beißen.

Aber etwas im Rauch nagte an ihrem Willen, ließ den Wunsch aufkeimen, sich zu ergeben. Auch die leise Musik erweckte in ihr die Sehnsucht nach Unterwerfung. Sie wollte sich einfach nur noch fügen, mit dem Schmerz gehen, ihn zu einem Teil von sich machen und ihn voller Wollust genießen. Es war dieser Augenblick am Rand der Erschöpfung, in dem der Dunkle die Nadeln zur Seite legte und seine kundigen Hände nach den verborgensten Stellen ihres Körpers tasteten. Und ihr Widerstand zerbrach. Sie gab sich ihm hin und empfand eine bislang unbekannte Lust darin, sich einfach treiben zu lassen, nur noch Körper zu sein. Nie zuvor war sie so frei gewesen.

Rausch der Sinne

Hatte der Dunkle ihr eine Droge gegeben? Lag ein Zauberbann auf ihr? Nandalee gab sich ihm mit einer Leidenschaft hin, die sie niemals für möglich gehalten hätte. All ihre Sinne schienen durch den Schmerz geschärft zu sein. Wenn sie vom Obst kostete, dann war es köstlicher als alles, was ihr je über die Lippen gekommen war. Der leichte Rotwein berauschte sie, als ginge er ihr direkt ins Blut. Blumig und mit einem Nachgeschmack nach den Waldbeeren eines sonnigen Herbstes, war er wie kein zweiter Wein, den sie je gekostet hatte. Das helle Brot war kross, krachte zwischen ihren Zähnen, Fleisch und Saucen unvergleichlich.

Sie schlemmte stundenlang, auf dem Bauch liegend, während ihr neuer Meister weiter das Bild in den Rücken stach. Er war genauso besessen wie sie. Kaum dass er sich eine Pause gönnte. Nur wenn sie einander liebten, legte er den Pinsel und die Nadeln zur Seite. Manchmal überfiel er sie wie ein hungriges Tier, nahm sich, was er begehrte, ohne an sie zu denken. Dann wieder war er der vollkommene Liebhaber, zärtlich, zuvorkommend und allein darauf bedacht, sie zu unbekannter Ekstase zu führen. Sie war dabei ganz passiv, ließ ihn gewähren, vertraute sich ihm ganz an. Und sie spürte, wie er trotz aller Leidenschaft sehr darauf achtete, die frischen Wunden nicht zu früh zu berühren und dem Bild, das auf ihrer Haut erstand, Schaden zuzufügen. Willig gab sie sich hin und genoss seine Lust, bis sie schließlich völlig erschöpft in seinen Armen einschlief.

Jedes Mal wenn sie erwachte, war der Schmerz der Nadeln schon da. Jede Freude wurde von ihm begleitet, bis Nandalee insgeheim zu fürchten begann, dass sie von nun an ohne Schmerz vielleicht für jedes Empfinden taub sein könnte. Sie vermochte nicht zu sagen, wie lange dieser Rausch andauerte. Zeit verlor an Bedeutung. Schlaf, Schmerz, Lust – alles vermengte sich, schien sich endlos zu dehnen. Er verweigerte ihr einen Blick auf das gesamte Bild. Sie sah, dass sich ein blauschwarzer Drachenschweif ihren linken Oberarm hinabwand.