Er trug nicht länger das Gewand eines Meisters der Weißen Halle, sondern hatte sich neu eingekleidet. Taubengrau war die Farbe seines langen Waffenrocks. Verspielte Ranken in einem Rot an der Grenze zum Purpur säumten die Ärmel und reichten ihm bis fast zu den Ellenbogen. Er trug keine Waffen. Ihn so zu sehen versetzte Nandalee einen Stich. Sein Gesicht, gerahmt von goldenem Haar, wirkte schmaler. Auch er hatte sich verändert.
Nandalee dachte an den Rausch, den sie mit dem Dunklen gelebt hatte, und senkte beschämt den Blick. »Ich …«, begann sie zögerlich, als er ihr sanft die Hand auf den Mund legte.
»Bitte sag nichts. Auch ich war einst ein Drachenelf. Ich weiß, was geschehen ist. Sie sind unwiderstehlich.« Er lächelte, diesmal ganz ohne den melancholischen Blick, mit dem er sie sonst so oft ansah. Seine Augen strahlten. »Wichtig ist allein, dass du nun hier bist. Du bist nicht bei ihm geblieben. Ich wusste, du würdest zurückkommen. Sie sind nur ein Rausch. Wir können ihnen nicht lange nahe sein, wir würden vergehen wie Motten, die ins Licht fliegen.«
Nandalee war unglaublich erleichtert. Kurz fragte sie sich, was er wohl mit dem Goldenen erlebt hatte, dann schob sie den Gedanken daran weit von sich. Auch das war ohne Belang für sie beide. Plötzlich spielte jenes freche Lächeln um seine Lippen, das er bei ihrer ersten Begegnung gezeigt hatte, als sie gänzlich unbekleidet vor einem Heer von Trollen durch die Wildnis geflohen war und er kam, um sie zu retten. »Ich weiß, was dich im Augenblick am meisten quält.«
Sie sah ihn fragend an.
»Du möchtest wissen, wie deine Tätowierung aussieht, nicht wahr?«
»Dir steht der Sinn danach, mich nackt zu sehen?«
Sein freches Lächeln wurde noch ein wenig breiter. »Immer, meine Schöne. Und doch will ich dir vor allem zu Diensten sein, wenn auch nicht ganz ohne Hintergedanken.«
»Du müsstest mir den Kopf verdrehen, damit ich auf meinen Rücken sehen kann«, entgegnete sie keck.
»Nichts lieber als das, aber ich wüsste auch noch einen anderen Weg. Wenn du natürlich deine unerträgliche Neugier plötzlich abgelegt hast und zur weisen, allem weltlichen entrückten Drachenelfe gereift sein solltest, entschuldige ich mich, solche Banalitäten an Euch herangetragen zu haben, Meisterin.«
Nandalee öffnete den Schwertgurt und streifte ihren Köcher ab. »Los, zeig mir, wie es geht.«
Gonvalon ging zu Nachtschwinge und hob eine große Satteltasche vom Rücken des Pegasus. Etwas darin klirrte leise, als er zu ihr zurückkam.
Nandalee wartete, bis er wieder vor ihr stand, dann löste sie die Haken ihres Kleides und ließ es zu Boden gleiten. Sie genoss seine Blicke. Sie wusste, dass er vor ihr schon viele Frauen geliebt hatte, aber er sah sie an, als sei sie die Eine, die Vollkommene, die er sein ganzes Leben lang gesucht hatte.
Auch sie war nicht unerfahren in der Liebe gewesen, als sie Gonvalon zum ersten Mal begegnete, aber mit ihm war es anders als mit allen anderen. Sie fühlte sich schön, wenn er sie so ansah, dabei fand sie sich selbst zu dünn und wenig weiblich. Gonvalon löschte diese Selbstzweifel aus und wurde es nie müde, ihren Körper aufs Neue mit all seinen Sinnen zu erforschen – als sei sie ein wunderbares Rätsel, dem auf den Grund zu gehen er gern sein ganzes Leben widmen würde.
»Man könnte meinen, du hättest noch nie eine Frau gesehen«, scherzte sie, nachdem sie eine Weile seine Blicke genossen hatte.
»Keine wie dich«, entgegnete er mit einer Leidenschaft, die jeden Gedanken daran verbannte, dass dies nur eine Floskel sein könnte. Er legte die Satteltaschen auf den Boden und holte mehrere Blendlaternen heraus.
»Du wusstest, dass ich nachts zurückkehren würde?«
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich wusste, du würdest zurückkehren. Das war alles. Ich habe mich darauf vorbereitet, dass es etwas dauern könnte. Ich weiß ja seit einer Weile schon, dass du nur selten tust, womit alle rechnen.« Er sagte das nicht vorwurfsvoll, sondern so herzlich, dass Nandalee nicht anders konnte, als neben ihm niederzuknien und ihn leidenschaftlich zu küssen. Es wurde ein langer Kuss. Gonvalon zog sie so fest in seine Arme, als seien sie ein Jahrhundert lang getrennt gewesen. Schließlich war sie es, die sich löste. Sie war neugierig, endlich das Bild auf ihrem Rücken zu sehen.
»Wartest du schon lange auf mich?«
Er zuckte mit den Schultern, als bedeute es nichts. »Zwei Tage. Es waren noch andere hier. Nodon und die übrigen Drachenelfen aus der Bergfeste. Du hast lange geschlafen, nachdem Nachtatem gegangen war.«
Es lag ihr auf der Zunge zu fragen, wohin die Himmelsschlange verschwunden war, doch sie fürchtete, Gonvalon damit zu verletzen. »Wie lange war ich in der Pyramide?«
»Elf Tage«, sagte Gonvalon knapp, und diesmal lag ein Hauch von Bitternis in seiner Stimme. Er sah nicht zu ihr auf, sondern begann, die Lichter in den Blendlaternen zu entzünden. Dann stellte er sie auf einen der mächtigen Steinquader, die aus der Seitenwand der Pyramide gebrochen waren.
Nandalee hatte gedacht, dass sie noch länger beim Dunklen geblieben war. Sie hatten so vieles geteilt. Elf Tage nur …
»Komm!« Gonvalon winkte sie zu sich und zog etwas, das in ein dickes, rotes Wolltuch gehüllt war, aus der Satteltasche. Vorsichtig schlug er das Tuch zurück; darin verbarg sich ein fast einen Schritt langer Spiegel.
»Wo hast du den her?« Nandalee drehte sich davor und konnte nun wenigstens einen Teil des Bildes auf ihrem Rücken sehen.
Gonvalon zog noch einen Handspiegel aus der Satteltasche. »Nimm den hier. Benutze ihn, um das andere Spiegelbild zu betrachten.« Er lachte. »Ich hab einige Übung darin, so siehst du am meisten. Die Spiegel stammen übrigens vom verehrten Schwertmeister Nodon. Er ist eitler, als ich gedacht hätte. Er hat sie hierher mitgebracht und mir unter der Androhung überlassen, mir sämtliche Glieder abzuhacken, wenn auch nur eine Schramme auf die Spiegel kommt.«
Nandalee hörte ihm kaum zu. Sie hatte den Handspiegel genommen und drehte ihn, bis sie durch den zweiten Spiegel ihren ganzen Rücken sehen konnte. Zwei Drachen waren darauf tätowiert. Sie glichen jenen aus ihrem Fiebertraum in der Wüste. Ein Silberner und ein Schwarzer. Beide rangen miteinander, oder war es ein Liebesspiel? Im Hintergrund war eine gehämmerte Silberscheibe zu sehen. Davor, mit der Spitze nach unten, ihr Schwert, Todbringer.
»Was mag das bedeuten?«, fragte sie Gonvalon.
Der Schwertmeister schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Das Schwert steht zwischen den Drachen, aber es scheint sie nicht daran zu hindern, einander zu befehden. Die Silberscheibe …? Ein Rätsel. Soll es der Mond sein? Und die beiden Drachen …? Der Schwarze könnte Nachtatem sein. Aber der Silberne …? Es hat nie eine Himmelsschlange von dieser Farbe gegeben. Jede Tätowierung ist ein Spiegel deines Schicksals. Meine zeigte die Verbundenheit mit dem Goldenen und dem Schwert. Für lange Zeit war ich sein Auserwählter, sein Schwertmeister, der Erste unter seinen Mördern. Du hast mir geholfen, einen anderen Weg zu finden. Doch der Goldene bedroht mich nun. Auch wenn er mir meine Tätowierung genommen hat, so bin ich sicher, dass ich eines Tages entweder durch ihn oder durch das Schwert fallen werde. Diese beiden Kräfte bestimmen mein Leben.«
»Willst du sagen, auch mein Leben wird durch das Schwert bestimmt?«
Gonvalon sah sie verwundert an. »Du bist eine Drachenelfe. Du hast dich für den Weg des Schwertes entschieden. Ich weiß nicht, ob das Schwert dich symbolisiert. Ich hoffe nicht, denn es ist nicht gut, zwischen zwei Drachen zu stehen.«
Nandalee betrachtete die Tätowierung lange durch den Spiegel. »Es ist nur ein Bild«, sagte sie schließlich. »Über meinen Lebensweg entscheide allein ich. Gar nichts ist vorherbestimmt!«
Gonvalon war klug genug, nicht zu widersprechen, aber sie sah ihm an, dass er anders darüber dachte. »Findest du, dass mich die Tätowierung entstellt?«