Выбрать главу

Auf kleinen Terrassen entlang der Höhlenwände wuchsen Bäume, und an einer Stelle waren sogar Reisfelder angelegt worden. Wahrscheinlich ernährte all das nicht einmal Tarkons Männer. Der Piratenfürst würde nicht begeistert sein, wenn Hunderte Gläubige der Großen Göttin in der legendären Wolkenstadt Zuflucht suchten.

Kolja kam aus der Luke in der Mitte des Decks gestiegen. Der Söldner sah sich staunend um, dann eilte er an Barnabas Seite. »Soll ich das Schiff gefechtsbereit machen lassen?«

Der Priester schüttelte den Kopf. »Wir kommen in friedlicher Absicht.«

»Dann hoffe ich mal, dass die Bogenschützen dort hinten das auch wissen.«

»Die Große Göttin beschützt uns. Hab keine Sorge, mein Freund.«

»Ein ordentlicher Schild wäre mir lieber«, murmelte Kolja leise.

»Komm mit mir zum Bug, wir werden den Piratenfürsten empfangen.«

»Das halte ich für keine gute Idee, Priester. Ich war bei der Flotte, die unter der Führung des Unsterblichen Aaron und der Ischkuzaia-Prinzessin Shaya den Piratenfürsten in eine Falle lockte. Ich schätze, dass Tarkon sich noch an mich erinnert. Mein Gesicht vergisst man leider nicht so schnell. Vor allem, wenn man von mir ein Schwert in den Bauch gerammt bekommen und das wie durch ein Wunder überlebt hat.«

Barnaba traute seinen Ohren nicht. »Du hast was?«

»Den Kerl abgestochen«, sagte Kolja ohne das geringste Anzeichen von Reue. »Er hatte versucht, den Unsterblichen Aaron umzubringen, und ich gehörte zur Leibwache Aarons.« Der Hüne zuckte mit den Schultern. »Hab nur meine Pflicht getan.«

Barnaba seufzte. »Gibt es einen Krieg, in dem du nicht dabei gewesen bist?«

»In den letzten zehn Jahren nur wenige.« Kolja grinste ihn an. »Ich bin dann mal wieder unter Deck, bevor mich Tarkon sieht. Wollte nur wissen, ob hier oben alles klar ist.«

Der Priester sah dem Söldner mit gerunzelter Stirn nach. Der Kerl begann sich aufzuspielen, als sei er der Schiffsführer. Nachsehen, ob alles klar ist … Er sollte Kolja Gelegenheit geben, seinen Mut zu kühlen. Barnaba lächelte in sich hinein. Er wusste schon, wo dies sein würde – vorausgesetzt, Tarkon fand den Drusnier nicht.

Immer noch lächelnd ging Barnaba allein zum Bug und beobachtete, wie sich eines der kleinen Wolkenschiffe von seinem Ankerturm löste. »Geht unter Deck«, rief er seinen Jüngern zu. Vielleicht würden die Piraten sie doch mit einem Pfeilhagel empfangen.

Der Wolkensammler, der ihnen entgegenflog, gewann schnell an Höhe. Barnaba sah, wie ein einzelner Mann auf die Reling stieg und zu ihm hinübersah. Bald waren sie in Rufweite.

»Ich biete euch Frieden«, rief Barnaba mit der geübten Stimme eines Predigers. Als Antwort erhielt er nur Gelächter.

Plötzlich wurde der Mann auf der Reling von einem Tentakel seines Schiffs ergriffen, der sich um seinen Leib schlang und ihn über den Abgrund hinweg zu Wind vor regenschwerem Horizont trug. Über Deck löste sich die Umklammerung, und der Krieger landete leicht federnd auf den Planken, keine zehn Schritt von Barnaba entfernt.

»Wir kommen in Frieden«, sagte der Priester entschieden und hob beide Hände, sodass der Pirat sehen konnte, dass er unbewaffnet war.

»Das ist auch besser für euch«, entgegnete der Fremde selbstbewusst. Er hatte eine dunkle, sympathische Stimme. »Ihr seid also der Prediger.«

Barnaba war einigermaßen verblüfft. »Ihr kennt mich?«

»Du bist Barnaba, einst die rechte Hand des Abir Ataš, Hohepriester Arams, der einige sehr unschöne Dinge über mich verbreitet hat. Und ich schätze, du errätst, wer ich bin.« Der Pirat lächelte. Er hatte ein schmales, gut aussehendes Gesicht, das von dunklen Augen beherrscht wurde. Ein rotes Stirnband bändigte sein schulterlanges, ergrauendes Haupthaar. Er beherrschte die Sprache Arams fast ohne Akzent und schien gebildet zu sein, obwohl ihm eine gewisse Wildheit anhaftete. Jetzt erst bemerkte Barnaba, dass sein Gegenüber unbewaffnet war.

»Die Große Göttin hat mich in meinen Träumen auf deine Ankunft hingewiesen, Priester.« Er blickte zu dem mächtigen Wolkensammler hinauf. »Allerdings hat sie einige Kleinigkeiten ausgelassen … etwa, wie du hier erscheinen würdest. Ich gestehe, das Erscheinen dieser Schiffe hat mir und meinen Männern einen gehörigen Schreck eingejagt.«

Mir hat Nangog auch nicht alles offenbart, dachte Barnaba und blickte zu der ärmlichen Siedlung der Piraten. Er hatte sich die Wolkenstadt prächtiger vorgestellt. »Ich nehme an, vor mir steht Tarkon Eisenzunge«, sagte der Prediger ein wenig konsterniert. Dass auch der Pirat ein Vertrauter der Großen Göttin zu sein schien, überraschte ihn. Gewiss, ohne ihren Schutz hätte er niemals so lange überlebt. Aber dass sie ihm Träume und Visionen schickte … Das sollte ihren Priestern vorbehalten sein! Er maßte sich ja auch nicht an, mit der Waffe in der Hand für die Göttin zu streiten. Aber vielleicht war sich Tarkon ja gar nicht bewusst, wie bevorzugt er war. Er musterte den großen, sehnigen Mann abschätzig. Tarkon war bartlos, was ungewöhnlich für einen Krieger war. Welchem Volk er wohl entstammte?

Auch der Piratenfürst taxierte ihn mit seinen schwarzen Augen. »Du bist vernarbt wie ein altes Maultier, Priester. Als ich in meinem Wolkensammler ruhte, wurde ich gänzlich wiederhergestellt. Mir scheint, dein Großer liebt dich nicht.«

»Ich bat ihn, meine Narben behalten zu können«, entgegnete Barnaba gereizt. »Eine jede erinnert mich daran, welche Gräuel noch ungesühnt sind.«

Tarkon wirkte plötzlich ernster. »Hört sich so an, als sei es nicht gut, dich zum Feind zu haben. Lass uns also ganz offen reden. Wir beide stehen auf derselben Seite. Aber ich begreife nicht ganz, warum du hierhergekommen bist. Auch das hat Nangog mir in meinen Träumen nicht verraten. Und sag mir, wofür du kämpfst. Ganz frei heraus und ohne irgendwelchen Phrasen.«

»Ich will den Tyrannen Aaron tot sehen. Und ich will, dass Nangog eine freie Welt wird, auf der die Unsterblichen und selbst die Devanthar keine Macht mehr haben.«

Tarkon packte ihn leidenschaftlich bei den Schultern, zog ihn heran und umarmte ihn, dass Barnaba fast die Luft wegblieb. »Du bist mein Mann, Priester. Das ist auch mein Kampf.«

Barnaba war erleichtert und zugleich auch enttäuscht. Er hatte hier eine Zuflucht für seine Jünger gesucht und einen Verbündeten. Allerdings hatte er einen mächtigeren Mann erwartet als den, der vor ihm stand. Überall wurde erzählt, dass Tarkon jeden Gefangenen vor die Wahl stellte, seinen alten Herrschern abzuschwören und ein freier Mann zu werden oder den Wolkentod zu sterben. Das war wohl auch nur eines der vielen Märchen, die sich um den Himmelspiraten rankten. In der Siedlung auf der Klippe lebten vielleicht fünf- oder sechshundert Menschen. Barnaba hatte darauf gehofft, hier zwei- oder dreitausend Piraten vorzufinden. Eine mächtige Festung, verteidigt von einem ganzen Heer, das sich der Freiheit verschworen hatte.

»Gut, dass wir uns in unseren Zielen einig sind«, sagte der Priester und löste sich aus Tarkons Umarmung. Seine Enttäuschung war ihm anzuhören. »Ich werde dir helfen, hier eine richtig große Gemeinde aufzubauen. Ich muss zunächst noch eine Reise antreten, doch wenn ich wiederkomme, werde ich mich ganz deiner Sache verschreiben. Und mach dir keine Sorgen: Unsere Schiffe haben Korn und Pökelfleisch geladen. Wir versorgen uns selbst. In meinem Gefolge reisen auch sehr viele Frauen. Das ist gut für die Moral. Wenn sich das herumspricht, dann werden mehr Männer von den gekaperten Schiffen zu dir überlaufen. Du wirst sehen, wir werden uns mit der Zeit ein richtiges kleines Königreich aufbauen. Ich bin dein Priester, und du wirst hier herrschen.«