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Tarkons Lächeln war anfangs immer breiter geworden, doch bei den letzten Worten verblasste es schlagartig. »Du hast es doch nicht begriffen, Priester. Es kann nicht unser Ziel sein, einen Tyrannen durch einen anderen zu ersetzten. Und jeder Herrscher wird irgendwann zum Tyrannen. Ich will keine Krone, und du kannst mir auch kein Königreich schenken. Es gibt längst ein Reich der Freien, verborgen vor den Unsterblichen. Und ich bin der Schild, der es schützt.«

Barnaba schluckte. Er sah zu der kleinen Siedlung und dann wieder zu Tarkon. Der Piratenfürst hatte offensichtlich den Sinn für die Realitäten verloren. Der Priester nickte ernsthaft. »Der Schild der Freien. Das ist gut.«

»Warum so ironisch?«

Barnaba hob abwehrend die Hände. »So habe ich das nicht gemeint. Bitte entschuldige, wenn es dir so erschien. Ihr habt da eine schöne Stadt gebaut. War sicher schwer, hier in der Höhle, so ganz ohne Mittel.« Er brauchte Tarkon. Er durfte ihn nicht verärgern, auch wenn er ganz offensichtlich irre war.

Der Pirat kniff die Augen zusammen und sah ihn misstrauisch an. »Du nennst das da schon eine Stadt?« Bei seinen Worten nickte er in Richtung der Siedlung. »Das ist ein Dreck. Mehr hat die Bande von Halsabschneidern, die mit mir auf Kaperfahrt geht, nicht zuwege gebracht. Das sind keine Bauern und Handwerker, musst du wissen. Sag mal … dieses Vieh da …« Er deutete auf das Vogelweib, das nicht weit von ihnen auf dem Deck kauerte. »Kann das kämpfen?«

»Sie hat einen Wolkenschiffer aus unserer Takelage gepflückt.« Barnaba ging zu der armen Kreatur und strich ihr sanft über das Haar. Tarkon sollte sehen, dass er Macht über die neuen Geschöpfe Nangogs besaß. Zumindest hoffte Barnaba, dass auch die anderen Kreaturen, die Nangog ihm in seinen Visionen gezeigt hatte, zahm wurden, wenn er auf sie zuging.

Tarkon versuchte sie nun auch zu berühren, aber das Vogelweib schnappte sofort mit dem Schnabel nach ihm. Eilig trat der Pirat zwei Schritte zurück.

Barnaba sprach beruhigend auf sie ein, dann wandte er sich wieder an den Piraten. »Es sieht so aus, als hätte diese Bestie Gefallen an Menschenfleisch gefunden. Sie wird uns sicher helfen. Aber zurück zum Wesentlichen. Wirst du mein Gefolge hier in deiner Höhle aufnehmen und beschützen?«

»Hier?« Tarkon wirkte irritiert. »Ich glaube nicht, dass dies …« Plötzlich weiteten sich seine Augen. Dann begann er zu lachen. »Du weißt es nicht! Sie hat es dir nicht gezeigt, richtig?«

»Wovon redest du?«

»Sie sind alle hohl, die Tafelberge. Alle, an denen du vorübergeflogen bist. Die Säulen der Großen Göttin, sie waren für ihre Kinder geschaffen. Die Kinder, die ihr abschließendes Schöpfungswerk sein sollten. Jene nie vollendeten Leiber, deren Seelen zu den Grünen Geistern wurden. Sie hat uns ihre Säulen geschenkt! Sieben Städte haben wir gegründet und dreiundvierzig Dörfer. Mehr als dreißigtausend haben hier, im verborgenen Refugium der Freien, Zuflucht gefunden. Die Geschichten über die Wolkenstadt habe ich mit Bedacht ausgestreut, um unsere Feinde in die Irre zu führen. Sie werden uns niemals in den Bergen suchen. Dort liegt die wirkliche neue Welt! Eine Welt ohne selbstverliebte Satrapen, fette Handelsherren und grausame Gutsbesitzer. Hier fängt ein jeder ohne Vergangenheit neu an. Alle sind gleich, ob Fürstensohn oder Bettlerkind. Hier zählt nur der Mensch. Und über uns allen wacht Nangog. Hier hat die Erde nicht gebebt. Hier sind keine Schreckenskreaturen wie dieses Vogelweib erschienen, und die Frauen, die hier leben, können Kinder gebären.«

Barnaba war sprachlos. Das war mehr, als er sich je erträumt hatte. Zugleich blieb er misstrauisch. Was er in diesem Berg sah, passte so ganz und gar nicht zu den Geschichten des Piraten. Vielleicht war er doch verrückt. »Warum hast du hier dein Lager aufgeschlagen? Warum nicht bei einer der Städte?«

Tarkon war seine Enttäuschung anzusehen. »Du glaubst mir nicht? Ein Priester ohne Glauben.« Der Pirat schüttelte den Kopf. »Dies hier ist der einzige Berg, in den Wolkensammler hineinfliegen können. Sieh dich um!« Er weitete die Arme. »Siehst du hier einen Ort, an dem man eine Stadt errichten könnte? Die steilen Hänge, der tiefe See. Wo würdest du eine Stadt bauen? Weil ich meine Wolkenschiffe hier im Berg verstecken kann, haben mich die Häscher der Unsterblichen nie gefunden. Es gab Zeiten, da haben mehr als sechzig Schiffe an allen Himmeln nach mir gesucht. Die Zugänge zu den anderen Bergen sind klein. Sie liegen verborgen im Dschungel oder in unzugänglichen Tälern. Du willst eine der Städte sehen? Gehen wir. Die nächste liegt drei Tagesmärsche entfernt. Unsere schönste Stadt liegt sieben Tagesmärsche von hier. Du solltest sie sehen, Priester, sie ist wirklich …«

Barnaba hob abwehrend die Hände. »Ich glaube dir.«

Es war im Augenblick gleichgültig, ob das Reich der Freien nur in Tarkons Kopf existierte oder ob es Wirklichkeit war. Ganz sicher war es ein schöner Traum. Aber Barnaba konnte ihn noch nicht mit dem Piraten teilen. Nicht jetzt! »Ich werde mit diesem Schiff schon morgen deinen Hafen verlassen müssen. Nangog will es so. Ich werde nach etwas suchen, womit wir die Himmel erobern und die Tyrannen endgültig besiegen. Wenn ich es finde, dann werden die Freien sich nicht mehr in Höhlen verstecken müssen. Es wird die Welt verändern! Es wird alle frei machen. Nangog hat mich auserwählt, das Traumeis zu finden.« Barnaba dachte an die Visionen, die er im Leib des Wolkensammlers gehabt hatte, als seine Wunden heilten und die Große Göttin ihm nahe gewesen war. Er hatte eine Ebene aus Eis gesehen, die von Horizont zu Horizont reichte. Sie würden viele Tage über das Eis fliegen, bis sie den Ort erreichten, an dem der größte Schatz Nangogs lag.

»Ich werde ins ewige Eis aufbrechen, Tarkon. Dorthin, wo nachts grüne Lichtbögen über den Himmel tanzen. Es ist ein Ort von strenger Schönheit. Ein Ort für Götter und Geheimnisse.«

Tarkon sah ihn ernst an. »Du willst an einen Ort, an dem Träume zu Eis werden? Das ist nicht klug. Dort wirst du nur eines finden, Priester, den Tod.«

Zu viele Kriege

»Du bist sicher, dass du das schaffen kannst? Es ist eine sehr gefährliche Aufgabe, Lamgi.« Plötzlich überkamen Artax Zweifel, ob er dem schlaksigen Kerl mit dem rasierten Schädel diese Pflicht auferlegen sollte. Lamgi hatte tapfer auf der Ebene von Kush gekämpft und war einer der Scharführer in seiner neuen Leibwache geworden, aber was er nun von ihm verlangte, war im höchsten Maße selbstmörderisch.

Der Bauernkrieger nickte selbstbewusst. »Es heißt, Tarkon stellt jeden Gefangenen vor die Wahl, sich ihm anzuschließen oder den Wolkentod zu sterben. Niemand wird sich wundern, wenn ich mich dafür entscheide zu leben, Herrscher aller Schwarzköpfe.«

»Aber du weißt auch, dass noch nie jemand aus dem Versteck Tarkons geflohen ist. Ich möchte dich nicht überreden …«

»Es gibt immer ein erstes Mal«, entgegnete Lamgi erstaunlich selbstbewusst. »Ich werde Euch nicht enttäuschen, Erhabener.«

»Dein außerordentlicher Mut soll mit einer ebenso außerordentlichen Belohnung geadelt werden. Dir steht ein Wunsch frei, wenn du wiederkehrst, Lamgi. Wenn ich dank dir Tarkon Eisenzunge besiegen kann, wirst du viele Menschen gerettet haben.«

Lamgi verneigte sich demütig. Er bewegte sich erstaunlich gewandt für einen großen, knochigen Mann. »Ich möchte Euch nicht brüskieren, Erwählter, aber wenn Ihr erlaubt, weiß ich schon jetzt, was ich einst sein möchte.«

»Sprich.«

»Macht mich zu einem der Hauptleute unter den Kushiten, wenn ich zurückkehre, Herrscher aller Schwarzköpfe. Es ist mein größter Wunsch, Euch zu dienen und Euch immer nahe zu sein.«