Выбрать главу

»Du …« Išta wollte ihm an die Kehle, doch der Löwenhäuptige und der Bär stellten sich schützend vor ihn.

»Und was sind deine Visionen, Menschensohn?«, fragte eine wunderschöne Frau mit Haaren aus sich windenden Schlangenleibern.

Artax war überrascht, gefragt zu werden. Er hatte fest damit gerechnet, nun der Willkür Ištas ausgeliefert zu sein, doch die Göttin schien auch unter ihren Brüdern und Schwestern nicht nur Freunde zu haben. »Blicke ich auf die kurze Zeit, die ich die Ehre habe, der Unsterbliche Arams zu sein, so habe ich das Gefühl, wir werden belagert. Ich wurde Unsterblicher, weil mein Vorgänger im Himmel über Nangog auf seinem Palastschiff von einer Daimonin angegriffen und ermordet wurde. Ich selbst begegnete ihnen in den Wäldern Nangogs. Heute erfahre ich, dass ich ihnen unwissentlich geholfen habe, Nangog und all unseren Königreichen schweren Schaden zuzufügen. Und mir wird auch noch offenbart, dass mein engster Berater ein Daimon war. Ich fühle mich, als würde ich in einer Festung belagert. Einer Festung, in der es womöglich Verräter innerhalb der eigenen Mauern gibt.« Er blickte bei diesen Worten auf Išta und sah, dass die Göttin vor Wut schäumte. »Ich erfahre, dass zumindest eine von euch um den Verräter wusste, mir aber nichts sagte. Warum? Wie viel Schaden hätte abgewendet werden können, hätte ich früher um die Schlange gewusst, die ich an meinem Busen nährte! Wie viele andere Spitzel wie ihn gibt es? Warum zieht ihr eure Kinder, uns Menschen, nicht ins Vertrauen? Gebt uns Waffen in die Hand, die uns erlauben, Daimonen zu erschlagen, und ihr werdet sehen, auch wir verstehen es zu kämpfen.

Ich denke, ihr alle wisst, dass ich eigentlich nur ein einfacher Bauer bin. Aber selbst ich weiß, wer im Krieg nichts wagt, wer es immer den anderen überlässt, Ort und Zeit der Schlacht zu bestimmen, der wird untergehen. Seien wir nicht länger die Belagerten! Greifen wir an! Nehmen das Schwert in die Hand, drängen die Daimonen in ihre Welt zurück und besetzen alle Pforten, auf dass sie nie wieder zu uns gelangen können.

Ich bin auf der Hochebene von Kush mit einem Heer von Bauern den Kriegern des Unsterblichen Muwatta entgegengetreten. Muwattas Männer waren allesamt ausgesuchte Kämpfer, und sie hatten die besseren Waffen. Dennoch siegte ich. Dies mag uns auch gelingen, wenn wir gegen die Daimonen antreten. Schließen wir unsere Reihen, vergessen wir die kleinlichen Fehden von gestern! Sprechen wir mit einer Stimme! Lasst unsere Heere wie ein riesiges Schwert sein, geführt von einer einzigen Hand, und wir werden siegen!«

»Du bist wahrlich ein Mann nach meinem Geschmack«, brummte der Bär.

»Bitte, Bruder«, insistierte Išta, »vergessen wir über all die schönen Worte nicht, was er getan hat. Er führte die Elfen zu Nangog! Er ist die Wurzel allen Übels, mit dem wir uns herumzuschlagen haben.«

»Sprichst du da nicht eher von dir, Schwester?« Der Löwenhäuptige machte einen Schritt in Richtung der geflügelten Göttin. »War es nicht dein Rat, die Blaue Halle anzugreifen? Und waren die Ereignisse auf Nangog nicht die Antwort auf unsere Tat?«

Auf die Bemerkung folgte Schweigen, doch aus dem Mienenspiel einiger der Devanthar schloss Artax, dass sie noch immer miteinander sprachen, in Gedanken vielleicht oder auf irgendeine andere Art. Wahrscheinlich würden die Götter seine Gefühle als anmaßend empfinden, aber es ärgerte ihn, ausgeschlossen zu sein. In dem, was gerade geschah, spiegelte sich eines der grundsätzlichen Probleme: Die Unsterblichen waren für die Devanthar wie Kinder. Sie hatten nicht teil an den Entscheidungen, die getroffen wurden, sie waren lediglich die Ausführenden. Dennoch wagte er nicht, etwas zu sagen.

Die Devanthar waren einschüchternd, ein jeder von ihnen eine Naturgewalt. Und sie waren so unorganisiert und von unberechenbarer Willkür wie Naturgewalten. Wenn ihre Kräfte nur gebündelt wären, dachte Artax. Sie könnten gewiss alles erreichen! Stattdessen befehdeten sie einander und machten es den Daimonen leicht.

»Meine Brüder und Schwestern streiten darüber, wie die bisherigen Ereignisse zu bewerten sind«, erklärte plötzlich der Löwenhäuptige mit leiser, dunkler Stimme. Hatte der Devanthar in seinen Gedanken gelesen? Artax hatte in den vergangenen Monden viel darüber nachgedacht, was geschehen war. Er räusperte sich. Plötzlich fühlte er sich unbedeutend und klein. Es kostete ihn all seine Willenskraft, überhaupt ein Wort herauszubringen.

»Ich sehe in den Dingen, die geschehen sind, ein Muster.« Er sah zu Boden, um nicht von den bohrenden Blicken der Götter abgelenkt zu sein und klarer seinen Gedanken folgen zu können. »Ich glaube, der Mord an meinem Vorgänger war ein Versuch herauszufinden, wie sterblich wir Unsterblichen sind, und was geschieht, wenn einer von uns unter einem Daimonenschwert fällt. Danach scheinen sie Späher nach Nangog geschickt zu haben. Sie haben die Welt erkundet. Als Nächstes folgten die Katastrophen. Die Ordnung, die wir errichtet haben, ist erschüttert. Unseren Königreichen drohen in diesem Winter Hungersnöte, denn wir sind abhängig vom Korn Nangogs. Vielleicht wird es zu Aufständen der Hungernden kommen.« Artax machte eine kurze Pause, um seinen nächsten Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Sie haben uns auf vielfache Weise geschwächt. Es ist offensichtlich, was folgen wird: die Invasion Nangogs. Alles, was bislang geschah, läuft darauf hinaus.«

Jetzt hob Artax seinen Blick, und was er sah, erschreckte ihn zutiefst. Seine Worte hatten Betroffenheit ausgelöst! Waren die Götter denn so sehr in ihren Intrigenspielen gefangen, dass sie nicht mehr sehen konnten, was vor sich ging? Oder waren sie nur erschrocken über seine Dummheit. Hatte er etwas übersehen? Auch ihm war bewusst, dass sich nicht alle Mosaiksteine in das Bild fügten, das er entworfen hatte. Die Frau, die ihm geholfen hatte, als er erblindet war, musste eine Daimonin gewesen sein. Warum hatte sie das getan? Wenn sie Chaos stiften wollten, war ihnen mit einem blinden Unsterblichen doch eher geholfen.

»Spricht da nicht nur ein ängstliches Herz?«, zischte die Geflügelte Schlange. »Wie weit ist es mit uns gekommen, Brüder und Schwestern, wenn wir nun auf die Phantasien eines ängstlichen Mannes hören? Wissen wir nicht besser, was wirklich geschehen ist? Wir kennen den Grund, warum die Himmelsschlangen ihre Elfen nach Nangog schickten. Wenn wir von nun an Frieden bewahren, dann wird es keine weiteren Kämpfe geben. Bringen wir Ordnung in unser eigenes Haus! Strafen wir diesen Tempelschänder, der es den Elfen erleichtert hat, so viel Unheil zu stiften. Ich verlange sein Herz! Er soll auf dem Altar jenes Tempels sterben, den er entweiht hat!«

»Unsere Schwester hat recht!«, pflichtete ein Devanthar mit Adlerkopf bei. »Hören wir nicht auf ein Hasenherz! Schlimm genug, dass wir uns so weit erniedrigten, ihn hier vor uns sprechen zu lassen. Sein Gestammel erinnert mich an einen Blinden, der versucht, Farben zu beschreiben.«

Artax spürte, wie die Stimmung erneut kippte und sich gegen ihn wandte. Wenn er die Götter jetzt nicht für sich gewann, dann war er ein toter Mann. »Die Invasion hat bereits begonnen!«, sagte er mit fester Stimme.

»Wovon redest du da?«, herrschte ihn der Ebermann an, dem er schon einmal in dem unheimlichen Berg unweit der Kupfermine Um el-Amand begegnet war.

»Davon, was mir vor drei Tagen gezeigt wurde: ein Daimon halb Mann, halb Krokodil. Er hatte die Fischer auf dem Großen Fluss angegriffen, ihre Boote zerfetzt und seine unglücklichen Opfer hinab in die Fluten gezogen. Er war kaum kleiner als Ihr es seid, Göttlicher. Zwei Wochen wurde er gejagt. Und als meine Krieger ihn stellten, hat er fünf von ihnen getötet und sieben weitere schwer verwundet. Jeden Tag gibt es neue Berichte über Daimonen. Ganze Dörfer wurden schon aufgegeben, weil die Menschen Angst haben. Mir wurde von geflügelten Frauen berichtet, die mit Adlerfängen die Bauern auf den Feldern zerreißen, von Hundemännern, lebenden Bäumen und selbst von Toten, die sich wieder aus ihren Gräbern erhoben haben sollen. Ich rede hier nicht über Ängste. Dass die Invasion begonnen hat, ist eine Tatsache!«