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Wieder herrschte lange Schweigen, und Artax konnte nur vermuten, dass die Devanthar miteinander in Gedanken sprachen. Auch kam es ihm vor, als würden sie sich in zwei Lager teilen. Es kam Bewegung in die Götter, der Tanz der Schattensäulen wurde schneller, selbst die Wände und die gewölbte Decke über ihm schienen zu zerfließen und sich neu zu formen. Nichts in diesem Raum war von Bestand. Ihre Architektur war genauso launisch und unstet wie die Götter, die sie erschaffen hatten.

»Du wirst nicht sterben«, raunte ihm der Löwenhäuptige zu. »Aber du hast mächtige Feinde, die von nun an nur darauf warten, dass du einen Fehler machst.«

Ein außerordentlich hässlicher Devanthar mit überlangen, muskulösen Armen löste sich aus der Gruppe der Götter und trat vor Artax. »Was brauchst du, um die Daimonen besser bekämpfen zu können?«

»Einigkeit«, antwortete er ohne Zögern. »Alle Unsterblichen sollen sich versammeln. Unsere Fehden müssen beigelegt werden. Wir müssen umeinander wissen, uns verstehen und vertrauen lernen. Wir …« Er stockte. Ihm war nur zu bewusst, dass sich der Unsterbliche der Zapote wohl kaum mit ihm an einen Tisch setzen würde. »Ihr Götter müsst dabei anwesend sein. Alle! Es wird Streit geben, den nur ihr schlichten könnt.«

Der Bär an Artax’ Seite brach in tiefes, dröhnendes Gelächter aus. War es so naiv anzunehmen, dass die Devanthar untereinander Frieden hielten und alle gemeinsam ein Ziel verfolgten?

»Ein solches Treffen will vorbereitet sein«, erhob der adlerköpfige Gott seine Stimme. »Die Unsterblichen werden Zeit brauchen. Und ein Hungerwinter steht vor der Tür. Vor dem Frühling ist keine große Zusammenkunft möglich. Ich unterstütze den Vorschlag Aarons von Aram. Wählen wir den Tag des Opferfestes zu Frühlingsbeginn. Und versammeln wir uns in Selinunt. Bis dahin wird die neue Hauptstadt des Unsterblichen Ansur vollendet sein. Feiern wir ein Fest der Menschen und Götter, um sie einzuweihen. Ein Fest, das der Beginn eines neuen Zeitalters sein wird«, endete er, und in seiner Stimme lag eine Euphorie, die Artax alles vorangegangene Ungemach vergessen ließ.

Er hatte es geschafft! Die Welt würde sich zum Guten verändern.

Russas Blitze

Talawain schritt die Prachtstraße mit den blau geklinkerten Mauern entlang, die auf die große Zikkurat von Isatami zuführte. Dutzende abgerissene Gestalten wie er gingen, auf ihre Stecken gestützt, dem Tempel entgegen.

Der Elf hatte sich die schwarzen Federn des Pilgers an seinen schäbigen Umhang gesteckt. Er gab sich als einer der zahllosen Išta-Pilger aus, die zum großen Heiligtum der Göttin strebten, um für die Heilung einer Krankheit, eine gute Ernte oder einfach eine glückliche Wendung ihres elenden Lebens zu beten. Aber sein Ziel war nicht der prächtige Tempel. Aus den Augenwinkeln musterte er die Häuser, die hinter der blauen Mauer lagen, bis er endlich jenes entdeckte, auf das mit verblassender, roter Farbe das Bild der Göttin auf bröckelnden, weißen Putz gemalt war. Von hier war es nicht mehr weit zu Rowayns Laden. Talawain musste nur noch die nächste Gasse, die nach links abzweigte, nehmen, und nach ein paar Schritten würde er vor dem Geschäft des Knochenschnitzers stehen.

Der Elf sah zum Tempel hinüber. Sich so nahe beim bedeutendsten Išta-Heiligtum Luwiens niederzulassen war schon tollkühn. Er erinnerte sich daran, wie er Rowayn dessen Arglosigkeit vorgehalten hatte, worauf sein Freund in Gelächter ausgebrochen war und ihm vorgehalten hatte, Hofmeister im Palast eines Unsterblichen zu sein wäre durch nichts anderes zu überbieten. Rowayn hatte recht gehabt – es war letztendlich nicht gut gegangen.

Er verließ die breite Prachtstraße und bog in eine Gasse ein, die von kleinen Läden gesäumt wurde. Ihre Auslagen ähnelten sich: Es gab bunte Tontafeln, auf denen Išta abgebildet war, und andere, auf die Segenssprüche geschrieben waren, breitkrempige Strohhüte für Pilger, Sandalen und Ledertaschen sowie allerlei Amulette. Sogar kleine Nachbildungen der Zikkurat konnte Talawain entdecken und Bilder, die den Unsterblichen bei der Heiligen Hochzeit zeigten. Fassungslos blieb der Elf stehen. Wie konnte man Bilder von einem Gott beim Liebesakt verkaufen! Er würde die Menschenkinder niemals ganz verstehen, dachte er verstört.

»Und, schöner Mann, gefällt dir, was du siehst?« Eine junge Frau von vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahren beugte sich über die Auslage und schenkte Talawain ein bezauberndes Lächeln. »Das hier ist der Unsterbliche Muwatta«, sie strich mit der Hand über den nackten Gott, doch Talawain war nicht mehr von dem Bild, sondern von ihren hellgrünen Augen gefesselt. Sie waren mit Ruß umrandet, was sie noch größer und geheimnisvoller aussehen ließ.

»Er feiert die Heilige Hochzeit mit der Barbarenprinzessin Shaya«, erklärte die junge Frau und fuhr in verschwörerischem Ton fort. »Bei den Wilden musst du mit einer Prinzessin kämpfen, bevor du sie zum Weib nehmen kannst. Shaya hat mehr als ein Dutzend ihrer unglücklichen Freier erschlagen. Aber Muwatta konnte sie besiegen. Er hat sie niedergestreckt, mit seinem Gürtel gebunden und hierhergebracht.«

»Direkt zum Tempel?«

Die Verkäuferin lachte. »Natürlich nicht. Ich sagte doch, dass Shaya eine Barbarenprinzessin war. Sie musste erst ins Bad, denn die Wilden waschen sich nie, weißt du.« Sie lächelte keck. »Ich würde wetten, dass du nach einem Bad auch noch besser aussehen würdest.«

»Da halte ich nicht dagegen.« Talawain erwiderte das Lächeln. Die Verkäuferin hatte hohe Wangenknochen und schmale, schön geschwungene Lippen. Ihre Augen standen etwas zu weit auseinander. Auf den ersten Blick war sie keine klassische Schönheit, aber ihr Lächeln und die strahlenden Augen ließen dies schnell vergessen. Sie machte sicher gute Geschäfte.

»Suchst du etwas in meinem Laden oder in meinen Augen, schöner Fremder?«

Talawain räusperte sich verlegen. »Also, ehrlich gesagt, suche ich einen anderen Laden. Mein Bruder war zur Heiligen Hochzeit hier, und er hat bei einem Knochenschnitzer ein Bild der Išta in Auftrag gegeben, das sie mit einem flammenden Schwert zeigen sollte. Es hieß, Anfang des Herbstes wäre die Arbeit vollendet und man könnte …«

»Ich hoffe, dein Bruder hat den Knochenschnitzer nicht angezahlt«, unterbrach die Händlerin ihn.

»Warum?«

»Weil er seine Münzen nie wiedersehen wird.« Sie wies ein Stück die Gasse hinab auf ein Haus, über dessen Fenstern schwarze Rußzungen auf dem Mauerwerk zu sehen waren. »Das war das Geschäft von Zidanza. Er war der einzige Knochenschnitzer in dieser Gasse. Dort gibt es nichts mehr abzuholen, und niemand wird dir die Münzen deines Bruders zurückgeben. Du hast kein Glück, schöner Fremder. Aber ich könnte dir helfen.«

Talawain hörte kaum noch hin. Die Erinnerung an Rowayn beherrschte seine Gedanken. Fast hörte er dessen ausgelassenes Lachen. Er war so sorglos und fröhlich gewesen! Was war nur geschehen? »Wie ist er gestorben?«

»Wenn du Geschichtenerzähler suchst, Fremder, dann geh zum Kornmarkt, da lungern immer welche herum. Ich führe einen Laden.«

Hilflos blickte Talawain auf die Auslage. Mit diesem Plunder konnte er nichts anfangen.

»Das hier ist genau das, was du brauchst«, erklärte die Verkäuferin nun wieder lächelnd und nahm einen kleinen Lederbeutel, der von einer geflochtenen, roten Schnur hing, aus der Auslage und drückte ihn Talawain in die Hand.

»Was ist das?« Er spürte etwas Weiches in dem Beutel.