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Er sah die Angst in ihren braunen Augen. Sie würde alleine zurechtkommen. Sie fürchtete sich nicht vor Wölfen oder Bären, es war das wenige, was sie über die Winter in Drusna gehört hatte, das ihr Todesangst einjagte. Sie fror schon jetzt, dabei waren die Temperaturen noch recht angenehm. Der Winter war ein Feind, den sie nicht einschätzen konnte. Und Volodi wusste, wenn er keinen besseren Platz fand, dann würde sie vor dem nächsten Frühling sterben. Sie würde die langen, klaren Frostnächte, in denen es so kalt wurde, dass einem selbst in einem schützenden Langhaus der Atem im Bart gefror, wenn man sich ein paar Schritt von der Feuergrube entfernte, nicht überleben. Er hätte mit ihr nicht hierherkommen dürfen!

»Also gut, Junge. Eine Schlacht. Du hast es gehört, vor dem ersten Schnee haben wir uns in der Jagdhütte einquartiert, von der du erzählt hast.«

Fedor legte feierlich die Hand auf sein Herz. »Das schaffen wir leicht«, erklärte er voller jugendlichem Überschwang.

Volodi hatte kein gutes Gefühl, als er nach dem Essen das Pferd des toten Steuereintreibers Alba sattelte. Quetzalli schenkte ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Es war offensichtlich, dass ihr die Worte fehlten, um sich auszudrücken. Sie hielt seine beiden Hände. »Gut zurückkommen.«

»Ganz sicher«, sagte er mit belegter Stimme und strich ihr eine Strähne aus dem schmalen Gesicht.

Sie hauchte ihm noch einen Kuss auf die Lippen, dann zog sie sich in die Laubhütte zurück. Er wusste, dass sie Abschiede ebenso hasste wie er.

Zwei Tage lang ritt er mit Fedor durch den Wald. Es war regnerisch, und der Wind klatschte ihnen nasse Herbstblätter ins Gesicht. Fast die ganze Zeit über dachte Volodi an Quetzalli. Er hätte nicht gehen sollen. Nicht mit diesem jungen Burschen, der von der Wirklichkeit des Krieges keine Ahnung hatte.

Schließlich erreichten sie einen Lagerplatz in einem lichten Eichenhain. Ein dutzend Pferde stand angepflockt unter einem Baum, mächtig wie ein Turm. Eine Gruppe junger Männer kauerte um ein Feuer zwischen den Wurzeln. Volodi kannte Gestalten wie diese nur zu gut. Frischlinge mit brennenden Augen und ohne jede Erfahrung.

Er schwang sich vom Pferd und genoss es, wie er angegafft wurde. »Ihr seid also die Späher von Fedors Heer.«

»Ist das Volodi?«, fragte ein Rotschopf. »Es heißt doch, er sei ein Hüne.«

Auch Fedor war inzwischen abgesessen. »Er ist es, glaubt es mir. Ich habe ihn kämpfen sehen.«

Volodi blickte zu den Pferden. Sie waren allesamt alt und ihr struppiges Fell schlecht gepflegt. »Los, aufsitzen, Jungs. Lasst uns zu eurem Heerlager weiterreiten.«

»Was meint der?«, fragte der Rotschopf. »Gibt es noch ein Heer?«

»Ein paar meiner Männer sind noch unterwegs und suchen nach dir«, erklärte Fedor.

»Ist das hier dein Heer?« Volodi sah sich fassungslos das Trüppchen durchnässter, erbärmlicher Gestalten an.

»Gib mal nicht so an, Alter.« Der Rothaarige baute sich bedrohlich vor Volodi auf. Er war groß und kräftig. »Ich bin Radik vom Rabenberg, und auch ich bin ein erfahrener Kämpfer. Wir alle hier sind schon in die Schlacht gezogen.« Er deutete auf einen Haufen Knochen unweit des Lagerfeuers. »Letzte Woche erst haben wir den Söldnern aus Valesia zwei fette Schweine abgejagt. Welchen Kampf hast du letzte Woche gewonnen, Großmaul.«

»Radik, das ist wirklich …«, versuchte Fedor, seinen Kameraden aufzuhalten.

Volodi hatte genug gesehen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie zwei der Halbstarken nach Speeren griffen. Offenbar hatten sie begriffen, dass Radik kurz davor stand, sich um Kopf und Kragen zu reden. »Was ich letzte Woche so getan habe?«, sagte er gedehnt und strich sich über den Bart. »Ich hab mein Weib für mich kochen lassen, hab jedes Reh im Wald entkommen lassen, das meinen Weg kreuzte. Ach ja, an einem Tag ging es mit dem Scheißen nicht so gut. Die Probleme alter Männer, weißt du. Ich geh dann mal wieder. Ich glaube, eure Spielchen sind nichts für mich.«

»Nein, wir können dich nicht gehen lassen«, sagte Fedor mit einer Entschlossenheit, wie Volodi sie von dem Jungen bisher noch nicht kannte. Im selben Augenblick griffen auch die übrigen jungen Männer nach ihren Speeren.

Das Licht der Freiheit

»Los, alter Mann, es wird bald dunkel, beeil dich.« Um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, stieß Fedor Volodi mit dem stumpfen Ende seines Speers in den Rücken.

Einer der beiden Reiter, die sie seit einer Weile eskortierten, kicherte. »Nach den Geschichten, die man so über ihn hört, hatte ich ihn mir größer vorgestellt.«

Ihre Begleiter waren wohlgenährte Krieger auf kräftigen Pferden. Sie trugen Brustpanzer aus zähen Lederschuppen und hohe Bronzehelme. Der hintere der beiden machte sich ab und an einen Spaß daraus, Volodi ebenfalls mit dem Speer zu stoßen.

Die Hände auf den Rücken gebunden, kämpfte sich der Drusnier einen steilen Weg hinauf. Es goss in Strömen, und der Boden war durch unzählige Hufe und Karrenräder in zähen Schlamm verwandelt worden, in dem er bis über die Knöchel versank. Bei jedem Stoß musste er aufpassen, dass er nicht mit dem Gesicht voran im Schlamm landete. Blut troff ihm von den aufgeschlagenen Lippen und vermischte sich mit dem Regen, der über sein Gesicht rann.

Endlich erreichten sie die Hügelkuppe, und Volodi blickte über weites Weideland, das von einer Erdfestung beherrscht wurde: ein unregelmäßiges Quadrat, jede Seite mindestens fünfhundert Schritt lang. Die Wälle waren aus Erde errichtet und wurden von einer Brustwehr aus miteinander verflochtenem Geäst gekrönt. Ein breiter Graben voll schlammigen Wassers umgab das Lager. Nur ein einziger Weg führte hinein. Er wurde von einem hölzernen Turm beherrscht, der sich über dem weiten Tor erhob.

Links hinter dem Tor lagen Viehgatter, in denen sich Hunderte Rinder drängten. Dahinter erhoben sich lange Holzschuppen, die wohl als Lagerhäuser und Kasernen dienten. Soweit Volodi wusste, war die Festung am Winterstein mit mindestens fünfhundert Valesiern belegt. Dazu kamen noch die Steuereintreiber des Unsterblichen Iwar.

Die Beute aus allen Fürstentümern im Umkreis von über hundert Meilen wurde hier gesammelt. Alle zwei Wochen brach eine schwer bewachte Karawane nach Westen auf – angeblich wurden die meisten Vorräte nach Selinunt geschafft, um all die Arbeiter zu ernähren, die dem Unsterblichen Ansur eine neue Hauptstadt ganz aus Marmor errichteten.

»Wir reiten voraus und werden den hohen Besuch ankündigen«, erklärte der vordere der beiden Reiter. »Du wirst für einigen Wirbel im Heerlager sorgen, Junge.« Mit diesen Worten preschten sie den Hügel hinab.

Volodi wandte sich um. Hinter ihnen kämpfte sich ein zweirädriger Karren den schlammigen Weg zur Hügelkuppe hinauf. Weit im Osten preschte eine mit Speeren bewaffnete Patrouille aus dem Wald.

»Los, bringen wir es hinter uns.« Fedor sprach mit belegter Stimme. Seine Anspannung war ihm deutlich anzuhören.

Volodi schritt den Hügel hinab. Gerade passierte ein schwer beladener Zug Maultiere das Festungstor. Die beiden Reiter drängten sich daran vorbei und verschwanden aus Volodis Blickfeld.

Als er und Fedor das Tor erreichten, war es fast schon dunkel. Über ihnen, auf der Plattform des Turms, schlugen hohe Flammen aus einer Feuerschale, an der sich drei Krieger wärmten. Die beiden Wachen unten am verschlossenen Tor hatten es nicht so gut. Frierend und in durchnässten Kleidern standen sie auf ihre Speere gestützt. Der Kleinere der beiden, ein ausgemergelter, blonder Mann, wandte sich an Fedor. »Lass ihn hier, und hau ab, Junge. Wenn du die Belohnung einforderst, wird dir das nicht gut bekommen. Die nehmen dir deine kostbaren Schwerter ab und vielleicht noch mehr.«

»Quatsch nicht, Schenya«, mischte sich der Zweite ein. »Du wirst schon bekommen, was du verdienst. Hör nicht auf diesen Schwarzseher. Mach dir keine Sorgen.«

Das Tor öffnete sich. Zwei Männer mit Fackeln standen im Durchgang. Schon an der Art, wie sie sich bewegten, und an ihren Blicken erkannte Volodi, dass es Veteranen waren. Obwohl es nichts zu befürchten gab, waren sie auf der Hut, blickten zu dem Karren, der den Hügel hinabkam, und musterten Fedor genau.