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Talawain blickte überrascht auf. »Das ist sehr weit fort von hier.«

Der Erste Schreiber lächelte selbstgefällig. »Zum Opferfest im Frühling werde ich zusammen mit den bedeutendsten Priestern dorthin reisen. Der Unsterbliche Ansur feiert ein Fest zur Einweihung des Weißen Selinunt. Ein Fest, wie es unsere Welt noch nicht gesehen hat. Alle Unsterblichen werden sich dort versammeln, und selbst die Götter werden anwesend sein, um mit uns zu feiern. Der Hofstaat des Unsterblichen Labarna hat schon begonnen, Vorbereitungen für die Reise zu treffen. Zur Mitte des Winters werde auch ich an den Hof abberufen werden, um mit meinen bescheidenen Gaben zu helfen. Aber zurück zu dem Bild. Ich werde dir eine große Tierhaut bringen lassen. Darauf sollst du mit deinen schönsten Farben Išta und den adlerköpfigen Devanthar der Valesier malen.« Wieder klopfte er auf die Lederrolle. »Ich bin sicher, mit diesem kleinen Meisterwerk hast du dir den Auftrag verdient, Šutarna. Und wer weiß, vielleicht wird auch der Unsterbliche auf dein Talent aufmerksam werden, denn Labarna höchstselbst wird jedes Geschenk begutachten, das wir nach Selinunt tragen.«

Talawain hatte Mühe, seine Aufregung zu verbergen. Ein Fest, bei dem alle Götter und alle sieben Großkönige zugegen waren. Das hatte es in der Tat noch nie gegeben. Es konnte nur eines bedeuten: Dort sollte ein Pakt geschlossen werden, und der konnte nur gegen Albenmark gerichtet sein!

Der Elf begleitete den Schreiber zur Tür und sah ihm nach, bis er am Ende der Gasse in die Prachtstraße zum Išta-Tempel abbog. Er musste so rasch wie möglich nach Albenmark. Aber wenn er die Blaue Halle aufsuchte, würden sie ihn nicht mehr gehen lassen. Dafür, dass er auf eine selbstmörderische Mission für einen Unsterblichen gehen wollte, um dessen Geliebte zu retten, hätte der Himmlische gewiss kein Verständnis. Ja, vielleicht würde er es sogar als Verrat betrachten. Selbst wenn die Himmelsschlange ihm wohlgesonnen wäre, würde sie ihn nicht mehr ziehen lassen.

Dies war vielleicht die wichtigste Information, die er in all den Jahren als Spitzel erhalten hatte. Und sie war ihm einfach so zugefallen …

Es war schon spät. Am Himmel zogen dunkle Wolken auf. Der Winter in Isatami brachte viel Regen. Talawain bemerkte, wie ihn die Händlerin, die ihn über Rowayns Schicksal aufgeklärt hatte, beobachtete. Mit dem abgerissenen Pilger, als der er zu ihr gegangen war, hatte Šutarna wenig gemeinsam. Er trug jetzt einen gepflegten, schwarzen Bart und – zumindest nach den Maßstäben der Händler in dieser Gasse – vornehme Gewänder.

Talawain trat auf die Gasse hinaus, klappte den schweren Holzladen vor das große Fenster, verriegelte dann sorgsam die Eingangstür und ging in den hinteren Teil seines Ladens, in dem er auch lebte. Er galt als Eigenbrötler, pflegte mit niemandem Umgang und war nicht sonderlich beliebt.

Eine Zeitlang sah er nachdenklich auf sein Bett. Eigentlich sollte heute der große Tag sein. Vielleicht auch der Tag seines Untergangs … Aber jetzt hatte sich binnen einer Stunde alles geändert. Wenn er sich irrte und heute durch seine Taten Išta auf sich aufmerksam machte, würde er sicherlich nicht mehr entkommen. Vielleicht war er der einzige Elf der Blauen Halle, der um diese Zusammenkunft der Herrscher wusste. Er kannte den Tag und den Ort. Er durfte nicht länger hierbleiben!

Und dennoch … Entschlossen schob er das Bett zur Seite und dann die große, aus Binsen geflochtene Schale, die das Loch im gestampften Lehmboden verbarg. Fünf Wochen lang hatte er an dem Tunnel zum Nachbarhaus gearbeitet. Ganz sicher gab es auf dem Fußboden keine magischen Siegel, redete er sich ein. Er konnte es wagen!

Er zwängte sich in den engen Tunnel. Acht Schritt war er lang und so niedrig, dass er sich nur auf allen vieren bewegen konnte. Überall in seinem kleinen Haus hatte er den roten Lehm versteckt, den Aushub des Tunnels. Am Ende des Tunnels entzündete er eine Öllampe. Daneben lehnte der messingbeschlagene Grabstock an der Erdwand, mit dem er sich Zoll um Zoll durch den zähen Boden gekämpft hatte. Er ähnelte einem Speer mit gebrochenem Schaft, war kaum länger als sein Unterarm und hatte ein schmales Stichblatt an seinem Ende.

Eine Weile kauerte Talawain am Ende des Tunnels und lauschte. Angeblich war, seit die Priester Rowayns Laden versiegelt hatten, niemand mehr dort gewesen, aber man konnte nie wissen. Es war so still unter der Erde, dass er sein Blut in den Ohren rauschen hörte.

Schließlich nahm er den Grabstock und rammte ihn gegen die Decke aus Lehm. Klumpen lösten sich und fielen in den Tunnel hinab. Feiner Staub brannte Talawain in den Augen.

Immer und immer wieder stieß er den Grabstock nach oben, bis er plötzlich ins Leere stach und rußbedeckte Erdklumpen in den Tunnel hinabstürzten.

Talawain nahm einen der Erdbrocken in die Hand. Die Geschichte der Händlerin stimmte also. Rowayn war verbrannt. Ein bisschen Ruß, das war alles, was von seinem Freund geblieben war.

Er ließ den Klumpen fallen. Mit energischen Stößen erweiterte er die Öffnung, bis er sich schließlich durch sie hindurchzwängen konnte. So wie sein Haus bestand auch Rowayns Laden nur aus einem einzigen Raum. Es war ein Ort der Finsternis! Alles war mit öligem Ruß bedeckt. Der schöne Tisch, an dem er gearbeitet hatte. Das Schnitzwerkzeug, das wohl noch genauso dalag, wie Rowayn es aus der Hand gelegt hatte. Gekrümmte Messer, verschiedene Feilen, ein kleiner Bohrer.

Unter dem Tisch lagen Knochensplitter auf dem Boden.

Talawain öffnete sein Verborgenes Auge. Sofort wurde offenbar, dass es hier drinnen keine magischen Siegel gab. Allerdings hatte sich der Abglanz eines machtvollen Zaubers erhalten. Immer noch vibrierten die Kraftlinien, die das Zimmer teilten.

»Das Meer verbirgt alle Geheimnisse«, sagte Talawain leise. Was hatte Rowayn ihm damit sagen wollen? War es nicht vermessen, darauf zu hoffen, dass er etwas fand, was Išta übersehen hatte? Ganz sicher hatte Rowayn sein Versteck nicht durch einen Zauber getarnt.

Talawain ging im Zimmer auf und ab. Er leuchtete in alle Winkel, schob das Bett zur Seite und untersuchte die Unterseite des Tisches. Nichts! Nur Ruß.

Er begann, ein zweites Mal das Zimmer zu durchsuchen. Langsamer, systematischer diesmal. Mit den Händen tastete er über die Wände. In der Bettnische entdeckte er etwas – hauchdünnes Pergament war auf die Wand geklebt. Es war ebenso rußgeschwärzt wie alles andere. Man musste mit den Fingerspitzen darüber tasten, um den Unterschied zu den Lehmwänden zu bemerken.

Vorsichtig wischte Talawain über die Wand. Der Ruß verschmierte, gab aber nicht preis, was sich unter ihm verbarg. Ungeduldig ging der Elf zum Tisch, auf dem die Werkzeuge lagen, nahm eines der Schnitzmesser und löste mit ihm ein handgroßes Stück Pergament von der Wand. Darunter verbarg sich nur grober Lehmputz wie an allen übrigen Wänden. Er drehte das Pergamentstück um. Auf der Rückseite war nichts. Die Nachricht, wenn es denn eine gab, musste sich unter dem Ruß verstecken!

Ungeduldig kroch er durch den Tunnel zurück in seinen Laden, stellte mehrere Lampen auf seinen Arbeitstisch, um genügend Licht zu haben, dann holte er die Ziegenlederflasche mit dem Branntwein. Vorsichtig goss er etwas davon in eine flache Schale, suchte ein paar Lumpen zusammen und begann, das Pergament mit alkoholgetränkten Stofffetzen abzutupfen.

Und endlich hob sich der schwarze Schleier. Talawain hatte eine stilisierte Welle freigelegt, wunderschön in verschiedenen Blautönen gehalten. Das Meer hatte er gefunden. Wo aber waren die Geheimnisse, die es verbarg?

Das verborgene Land

Bis zum Morgengrauen hatte Talawain sechs weitere Pergamentstreifen geborgen, in seine Werkstatt gebracht und gesäubert. Er hoffte, dass sich im Gesamtbild ein Hinweis verbarg. Er hatte die Muster der Wellen untersucht, ihnen Zahlen zugeordnet und versucht, daraus Buchstaben abzuleiten. An zwei Stellen hatte er sehr vorsichtig die Tusche des Bildes entfernt, um zu sehen, ob sich darunter etwas verbarg. Alles vergebens! Rowayns Meer wollte sein Geheimnis nicht preisgeben.