Выбрать главу

Der Goldene spürte, wie sich seine Brüder endgültig von Nachtatem abwandten. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass diese dunkle Zukunft niemals eintrifft. In diesem Fall ist es wirklich einfach. Schicken wir Gonvalon und Nandalee als unsere Todesboten, und vernichten wir die Devanthar.

Alle stimmten für seinen Vorschlag. Nur Nachtatem nicht.

Im Schatten der Stierköpfe

Talawain richtete sich aus dem tiefen Stand des Schwertkämpfers auf, verneigte sich vor dem fiktiven Partner der Übung und schob die Klinge mit fließender Geste in die Scheide. Ihm war sehr wohl bewusst, wie lächerlich seine Kampfeskünste im Vergleich zu denen der Drachenelfen waren, aber dass er für die Menschenkinder immer noch ein schrecklicher Gegner war, hatte sich in der Schlacht bei Kush gezeigt. Für seine Pläne wäre es besser, wenn er ohne Blutvergießen zu Shaya vordringen konnte. Aber er wollte auf alles vorbereitet sein.

Er strich über den Knauf der Klinge. Es war eine erstklassige Waffe. Das Abschiedsgeschenk seines Vaters. Er straffte sich und blickte nach Norden zu den Stierköpfen. Ein seltsamer Name für die hohe Gebirgskette, die den Osten Luwiens von den weiten Grassteppen Ischkuzas trennte. Er war weit von hier durch einen Albenstern gegangen und lange über einsame Ebenen gewandert, ganz darauf bedacht, wo immer möglich, den Menschenkindern aus dem Weg zu gehen.

Rowayns Karte hatte ihm geholfen, seinen Weg zu finden. Talawain hatte sie so lange studiert, bis er ihr Bild in Gedanken erstehen lassen konnte, mit all den unzähligen Details, die sein Freund aufgezeichnet hatte. Rowayn musste viel gereist sein. Davon hatte er nie erzählt.

Vor drei Tagen war Talawain auf eine verlassene Schäferhütte gestoßen und hatte dort Quartier bezogen. Es war mühselig gewesen, durch den hohen Schnee zu wandern. Dabei hatte er noch nicht einmal die Vorgebirge der Stierköpfe überwunden. Sein Blick wanderte langsam von Gipfel zu Gipfel der gezackten Gebirgskette und blieb an einem Berg haften, der mit seinen fast senkrechten Flanken entfernt an einen Turm erinnerte. In seinem Schatten befand sich das Tal, in dem das Haus des Himmels errichtet worden war. Inmitten der Einsamkeit, fast unerreichbar.

Es würde ein harter Marsch dort hinauf werden. Talawain lächelte. Die Jahre im Palast hatten ihn weich gemacht. Er würde die Einsamkeit nutzen, seinen Leib zu stählen und seine Seele auf das vorzubereiten, was ihn dort oben in den Bergen erwartete. Ihm blieb noch reichlich Zeit.

Manchmal dachte er an den Ersten Schreiber. Der Priester hatte ihm eine große, fein gegerbte Tierhaut gebracht, um wie vereinbart das Götterbild darauf zu malen. Doch stattdessen hatte Talawain die Karte Rowayns darauf kopiert und war aus Isatami geflohen. Den Tunnel zu Rowayns Haus hatte er sorgfältig wieder mit Erde verfüllt und in der Nacht seiner Flucht in seinem eigenen Laden Feuer gelegt, um alle Spuren zu verwischen. Ob der Erste Schreiber Ärger bekommen hatte, weil er dem fremden Maler vertraut hatte? Ein Pergament dieser Größe und Qualität war sicherlich sein Gewicht in Gold wert. Aber der Tempel war reich. Sicherlich saß der übergewichtige Erste Schreiber jetzt in einem Gästehaus in Selinunt und hatte irgendein anderes Geschenk gefunden.

Das Opferfest war nicht mehr fern. In sechs Tagen schon fand die Versammlung der Unsterblichen und der Götter statt. Talawain schob den Gedanken weit von sich. Dies war nicht mehr sein Kampf. Erinnerungen an Aarons Palast in Akšu stiegen in ihm auf. An das schöne Haus mit dem kleinen Garten, wo er so lange gelebt hatte. Ob der Kirschbaum dort schon blühte? In den fruchtbaren Ebenen Arams war das Klima viel milder. Sicher hatte dort schon der Frühling begonnen. Doch hier in den Bergen würde der Winter seine Herrschaft noch lange nicht aufgeben. Erst gestern hatte es stundenlang geschneit.

Bis dort oben im Tal, nahe dem Felsturm, der Frühling einzog und die Kirschblüte begann, würden noch Wochen vergehen. Ihm blieb noch viel Zeit, sich auf die Befreiung Shayas vorzubereiten.

Ein leichter Auftrag

Mit sicheren Schritten balancierte Nandalee über den federnden Birkenstamm, der über einen kleinen Gebirgsbach führte. Die Schneeschmelze hatte das Wasser so anschwellen lassen, dass die gurgelnden weißen Fluten fast bis unter den Stamm reichten.

Mit einem Sprung landete sie sicher am anderen Ufer. Sie blickte zu Gonvalon zurück, der mit ebensolcher Leichtigkeit wie sie den Stamm überquerte. Die fast sechs Monde, die sie mit ihm in den Bergen des Jadegartens verbracht hatte, hatten sie ihre Vorurteile über Palastelfen vergessen lassen. Zumindest was ihn anging. Fast jeden Tag hatte er sie aufs Neue überrascht. Er vermochte mit bescheidensten Mitteln in der Wildnis köstliche Mahlzeiten zu zaubern, wusste, welche Wurzeln und Kräuter schmackhaft waren und wo er sie in den Bergen finden konnte. Er war zäh und ausdauernd, so wie sie. Nur als Jägerin war sie ihm voraus, obwohl auch er ein fast schon beängstigendes Talent besaß, sich lautlos anzuschleichen.

Vor allem aber war er ein aufmerksamer Gefährte. Sie war sprachlos gewesen, wie gut er sie kannte, wie er über ihre Marotten mit einem Lächeln hinwegging und nicht müde wurde, ganze Nächte mit ihr am Lagerfeuer zu reden. Er hatte so vieles gesehen. Steckte so voller Geschichten. Deutlich hatte sie spüren können, wie gut es ihm getan hatte, über seine Zeit als Drachenelf zu sprechen. Sich die dunklen Taten von der Seele zu reden. Sie hatte nie über ihn geurteilt, sondern einfach nur zugehört. Nur eines hatte ihr manchmal einen Stich versetzt. Er war ein zu guter Liebhaber. Wenn sie beieinanderlagen, hatten sie es genossen, doch wenn sie danach manchmal schlaflos zu den Sternen blickte, hatte sie sich immer wieder gefragt, wie viele Frauen es wohl vor ihr gegeben hatte. Darüber schwieg er sich aus oder entgegnete nonchalant, dass sie die Eine sei, die seine verzweifelte Suche nach der vollkommenen Liebe zu einem glücklichen Ende gebracht hatte.

Gonvalon hatte sicher den Wildbach überquert und lächelte sie herausfordernd an. »Du dachtest, ich nehme ein unfreiwilliges Bad und du hättest einen großen Auftritt als meine Retterin.« Er kannte sie so gut!

Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort. Nandalee genoss die kühle, klare Luft der Berge. Sie war eine angenehme Abwechslung zur trockenen Hitze des Jadegartens und erinnerte sie an die Heimat ihrer Kindheit. Der dichte Fichtenhain links am Hang hätte auch in Carandamon stehen können. In den Schatten, dort, wo die Sonne nicht hinkam, lag noch ein wenig Schnee.

An ihrem ersten Tag hier in diesen Bergen hatte sie für Gonvalon ein kleines Schneehaus gebaut, wie sie es früher so oft während ihrer einsamen Jagdausflüge getan hatte. Sie waren hoch in den Bergen, mehr als siebzig Meilen von Selinunt entfernt, durch einen minderen Albenstern getreten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Gonvalon hatte die Nacht im Schneehaus zähneklappernd und fast ohne Schlaf hinter sich gebracht. Dabei war es drinnen deutlich wärmer als am Berghang gewesen. Die Temperatur im Schneehaus hatte kaum unter dem Gefrierpunkt gelegen, und sie waren gut vor den eisigen Winden geschützt gewesen. In jener einen Nacht hatte er sich doch als Palastelf erwiesen. Nandalee musste bei der Erinnerung daran lächeln. Sie würde ihn noch lange damit aufziehen, wie verfroren er war.

Sie passierten einen aufgegebenen Lagerplatz. Ein einziger Blick auf die Asche und Holzkohle, die zu einer schwarzen Fläche innerhalb eines kleinen Steinkreises geworden war, verriet Nandalee, dass dieses Lager schon vor dem Winter aufgegeben worden war. In den Bergen waren Holzfäller unterwegs gewesen. Doch anders als auf Nangog hatten sie sich besonnen verhalten und nur etwa ein Fünftel der Bäume geschlagen. Nirgends hatten sie in der Fläche gerodet, sondern immer nur einzelne Bäume gefällt. So blieb genug Wurzelwerk übrig, um die Erde zu halten, die sonst unweigerlich vom Regen und der Schneeschmelze davongespült wurde, bis nur noch Geröll oder blanker Fels blieben. Die Menschenkinder wussten also auch, wie man weise mit den Schätzen der Natur verfuhr.