Das Tor zum Stadthaus der Hure schwang auf, noch bevor angeklopft wurde. Sie musste die große Sänfte verlassen, da sie nicht durch den engen Eingang getragen werden konnte. Kolja betrachtete die ganz in Rot gekleidete, verschleierte Frau. Sie war kleiner, als er erwartet hatte. Die Gäste der Seidenen blieben im Eingang stehen, dort, wo die abendlichen Schatten am tiefsten waren. Etwas an ihnen beunruhigte Kolja. Sie standen nicht im Schatten, weil sie sich fürchteten. Wieder musste er an die Jaguarmänner der Zapote denken. Dieses Gefolge der Seidenen war unheimlich.
»Es freut mich, dass auch ich nun die Gunst deiner Aufmerksamkeit genießen werde, Zarah, Freundin der Hohepriester und Statthalter. Ich bin nur ein Mann der Straße. Der Auswurf der Gosse. Doch auch ich genieße die Gesellschaft schöner Frauen.« Mit diesen Worten stieg Kolja die hölzerne Treppe zum Innenhof hinab.
Sollte sein Erscheinen die Seidene erschreckt haben, so ließ sie sich nichts anmerken. Ruhig wandte sie sich zu ihm um. Ihr Gesicht blieb hinter einem roten Gazeschleier verborgen. Er ließ seinen Blick über ihren Körper wandern. Langsam. Sie sollte reichlich Zeit haben, sich auszumalen, woran er gerade dachte, der Mann, der so hässlich war, dass seine eigene Mutter ihn nicht wiedererkennen würde. Die halb durchscheinenden seidenen Gewänder ließen ihre Gestalt erahnen. Um ihre Brüste und Hüften lagen sie eng an, weckten Begehrlichkeit, ohne wirklich etwas zu enthüllen.
»Du musst Kolja sein«, stellte sie ruhig fest.
»Es freut mich, dass du um mich weißt, obwohl wir einander noch nicht begegnet sind.«
»Dein Antlitz, werter Freund, ist so unverwechselbar, dass man dir nicht begegnet sein muss, um zu wissen, wen man vor sich hat.« Sie sprach das Drusnische mit einem leicht singenden Akzent, der ihren Worten jedoch nichts von ihrer Härte nahm. »Da du und deine Spießgesellen mir in meiner Gastfreundschaft zuvorgekommen seid und, wie ich annehme, bereits die Vorzüge meines Hauses erkundet habt, überlasse ich dir die Wahl des Zimmers, in das wir uns für unsere geschäftlichen Gespräche zurückziehen.«
Kolja verspürte ein angenehmes Pulsieren zwischen seinen Schenkeln und kratzte sich dort ausgiebig. Auch wenn die Seidene nicht ganz eindeutig geworden war, lag doch die Verheißung schöner Stunden in ihren Worten. So also bekam sie selbst Fürsten herum. Er versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Sie war nur eine Hure. Und sie gehörte ihm wie alle Huren der Stadt. Sie war ein Werkzeug, und er entschied, wann und wie es zu nutzen war, nicht sie! Er würde bestimmen, wann sie sich zurückzogen, auch wenn man ihm sein Begehren sicherlich ansehen konnte. »Wer sind die Fremden in deinem Gefolge?«, stieß er unwirsch hervor.
»Sie haben für mich die Dschungel im Westen bereist und nach den Schätzen der Wälder gesucht, über die so viel geredet wird.«
Kolja betrachtete die Gestalten im Schatten. Er sollte auch mit ihnen einmal plaudern. Er hatte seinen Plan, nach der Kristallhöhle zu suchen, bei der sie nach dem Sieg über den Himmelspiraten Tarkon Eisenzunge gegen Daimonen gekämpft hatten, noch immer nicht aufgegeben. Aber erst galt es, seine Macht in der Goldenen Stadt zu festigen, bevor er sich diesen kühnen Ideen widmete.
»Du bist die erste Hure, die ich kennenlerne, die ihr Geld nicht allein für Schmuck und Kleider ausgibt«, sagte er und nickte in Richtung der Holztreppe, die er gerade erst hinabgestiegen war. »Dort oben habe ich ein Zimmer mit schöner Aussicht und einem großen Bett gesehen. Ich würde vorschlagen, wir setzen unsere Unterhaltung dort fort. Ich bin neugierig, womit du mich noch überraschen wirst.«
Die Seidene wandte sich zu ihrem Gefolge um und sprach leise mit dem Mann, der ihr am nächsten stand. Ein drahtiger Kerl, der Kolja aus großen, schwarzen Augen musterte. Es war ein Blick, der keine Furcht kannte. Ein Blick, der Unheil verhieß. Man musste wohl aus einem ganz besonderen Holze geschnitzt sein, wenn man sich in die großen Wälder hinauswagte, in denen die Grünen Geister und andere, schreckliche Kreaturen ihr Unwesen trieben. Furchtsame Gemüter überlebten dort nicht lange. Nun war sich Kolja sicher: Er würde sich diese fünf Kerle bald genauer ansehen. Bei der Suche nach der Kristallhöhle könnten sie ihm gewiss nützlich sein. Er lächelte versonnen. Ganz gewiss könnte er sie besser bezahlen als die Seidene. Und indem die arrogante Schlampe für ihn die Beine breitmachte und ihm die Börse füllte, würde sie auch noch das Gold verdienen, mit dem er ihre nützlichsten Diener abwarb.
Gut gelaunt stieg Kolja die Treppe hinauf. Die Seidene folgte ihm.
Das Zimmer mit dem großen Bett hatte dem Drusnier auf den ersten Blick gefallen. Über dem Bett hing ein breiter Fächer aus gelber Seide, der offenbar vom darübergelegenen Zimmer über einen Zugmechanismus bewegt werden konnte. Es war ein schwüler Abend. Die Vorstellung, wie unsichtbare Diener seinem Arsch Kühlung zufächelten, während er sich vergnügte, ließ ihn schmunzeln. Solche Fächer sollte er auch in einigen der besseren Häuser einbauen lassen, in denen seine Mädchen arbeiteten.
Die Seidene stand in der Tür und sah ihn aus grünen, mit schwarzen Linien umrandeten Augen an. Ein Hauch von Grün lag auch auf ihren Lidern. Warum nahm die Schlampe nicht ihren Schleier ab? Gehörte das zu ihrem Spielchen? Ein wenig würde er sie noch gewähren lassen.
»Nun, Kolja, mein Gebieter, hast du einen besonderen Wunsch?«
»Bei deinem Ruf hätte ich erwartet, dass du mir meine Wünsche vom Gesicht ablesen kannst.«
»Nun, in deinem Antlitz zu lesen ist nicht so leicht.«
Kolja setzte sein falsches Lächeln auf, das üblicherweise auch die Tapfersten verschreckte, doch Zarah senkte ihren Blick nicht. Verdammter Schleier! In ihren Augen stand keine Angst, und mehr war nicht zu sehen. Langsam begann Kolja ihre arrogante Art zu ärgern.
Der Drusnier ließ sich breitbeinig auf dem Bett nieder. Jetzt kam sie auf ihn zu. Ihre Hüften schwangen. Er malte sich aus, wie der Körper, der unter dem zarten Stoff verborgen war, aussehen mochte. Stellte sich vor, in ihr festes Fleisch zu greifen. Ihre kleinen Brüste mit seinem mächtigen Händen zu umschließen. Nun stand sie vor ihm. Sie roch gut. Ihre Hand strich über seine vernarbte Wange, wanderte über seinen sehnigen, kurzen Hals, streifte das grobe Tuch seiner Tunika und glitt tiefer. Und dann, ohne zu zögern, griff sie unter den Saum seines Gewandes. Er hatte bei vielen Frauen gelegen, aber selten war er so erregt gewesen, obwohl noch nicht einmal wirklich etwas geschehen war.
Zarah zupfte mit der Linken an ihrem Schleier. Endlich glitt das Tuch zurück, und er sah ihr ganzes Gesicht: sinnliche, üppige Lippen, die ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen beherrschten. Kolja hatte schon schönere Frauen gesehen, und doch war an der Seidenen etwas, das ihn schwindelig machte. Ihre großen, grünen Augen hielten seinen Blick gefangen, als sie niederkniete. Dabei blieb ihre Rechte unter dem Saum seiner Tunika verborgen, massierte und verhieß Verlockungen.
»Küss mich«, stieß er hervor.
Sie verstand und schob die Tunika zurück. Nun griff ihre Linke nach seinen Juwelen. Er stöhnte auf und ließ sich auf das Bett zurücksinken.
»Es ist doch immer wieder erstaunlich zu sehen, dass die Größe eines Mannes so gar nichts mit der Größe seines liebsten Schatzes zu tun hat.«
Kolja glaubte, nicht richtig zu hören. Er stemmte sich auf den Ellbogen hoch und spürte, wie die Kraft seiner Lenden erlahmte. Noch nie hatte ihm ein Weib gesagt, er sei zu klein geraten! »Hast du vergessen, wer ich bin, verdammte Schlampe!«
»Glaubst du, es spielt für mich eine Rolle, was für ein Mann hinter dem Schwanz steht, den ich in den Mund nehme? Du willst, dass ich deine Hure bin, also behandle ich dich auch so.«
Kolja griff in ihr langes, schwarzes Haar, zerrte sie hoch und hob die Faust.
»Schlag mich, und jeder Hieb kostet dich eine Börse voller Gold. Du verkaufst meine Schönheit, hast du das vergessen? Bist du nur ein schlechter Liebhaber oder auch ein schlechter Geschäftsmann?«