So gelangte ich zum ersten Mal in meinem Leben in ein Bordell. Leon hatte schon alles arrangiert. Bono mochte es, dabei zuzusehen, wenn ich mit anderen Männern zusammen war. Nur auf diese Weise stieg noch Saft in seine vertrocknete Dattel. In jener Nacht musste ich drei Männern beiliegen, die allesamt keine Ahnung hatten, dass uns mein Ehemann durch ein wohlverborgenes Guckloch in der Wand zusah.
Von nun führte Bono mich regelmäßig zu Leon, und ich verstand, wo das Geld Bonos geblieben war. Mein Mann war hier schon lange Kunde. Doch nun hatte sich das Blatt gewendet. Er ging mit gut gefüllter Börse heim, statt sein letztes Kupferstück in Leons Hurenhaus durchzubringen. Sieben Mal haben die beiden mich als Jungfrau versteigert. Ich musste mir die mit Blut gefüllten Eingeweide junger Täubchen einführen, damit dieses Wunder gelingen konnte.
Ich dachte, es könne nicht schlimmer kommen, doch Bono begann nun zu trinken, weil er sich plötzlich teuren Wein leisten konnte. Tagsüber an seinem Stand am Platz der tausend Zungen schlief er immer öfter ein. Er wurde dünner und dünner – sich all seine Träume erfüllen zu können zehrte ihn aus. Immer öfter beschwerte er sich, dass er es nicht mehr ertragen könne, meinen Bruder um sich zu haben. Einen Idioten, dem der Sabber aus dem Maul lief und dessen Anblick einem jeden Appetit raubte.
Eines Abends verkündete er mir, er habe unten beim Hafen ein Haus gefunden, in dem solche Ungeheuer wie mein Bruder ausgestellt würden. Am nächsten Morgen wollte er ihn dorthin bringen. In dieser Nacht habe ich Bono reichlich Wein zu trinken gegeben und ihn dann mit einem Seidenschal erdrosselt, einem Geschenk von Leon, denn Bono machte mir nie Geschenke. Niemand wunderte sich über das Hinscheiden eines alten Mannes, der schon lange krank und erschöpft gewirkt hatte, nachdem er sich ein viel zu junges Weib genommen hatte.«
Zarah beäugte ihn aufmerksam, um zu sehen, wie er die Geschichte aufnahm. Kolja belustigte ihr Verhalten. Er hatte nichts mit einem alten Mann gemein. Er würde sich niemals mit einer Seidenschnur erdrosseln lassen. Die Vorstellung amüsierte ihn vielmehr, wenn er daran dachte, auf welche Art man ihm in der Vergangenheit schon nach dem Leben getrachtet hatte. Er hatte sogar eine Begegnung mit Daimonen überlebt!
»Es gibt schlimmere Arten zu verrecken«, war alles, was er dazu zu sagen hatte. Einen Moment schweiften seine Gedanken ab, und er dachte an Volodi. Ob die Zapote ihn wohl schon umgebracht hatten? Es wäre besser, wenn sein ehemaliger Kamerad nicht mehr zu lange lebte, denn für die Geschäfte des Friedens und die Entscheidungen, die nötig waren, um Erfolg zu haben, war er nicht geschaffen. Mit seinen Moralvorstellungen wäre er eine Gefahr für seine Ziele geworden, das wusste Kolja.
»Ich war selbst überrascht, wie leicht ich ohne Bonos Schutz leben konnte. Leon bot mir an, auf mich und meinen Bruder aufzupassen. Dafür musste ich jeden zweiten Abend seine Gäste unterhalten. Auf dem Platz der tausend Zungen erhob niemand Einspruch, als ich das Geschäft von Bono weiterführte. Es fiel mir immer noch leicht, Sprachen zu erlernen. Nach nur drei Jahren beherrschte ich die sieben Zungen der sieben großen Reiche. Ich machte mir einen Namen unter den Übersetzern. Ich war die einzige Frau dort. Meine Talente als Dolmetscherin wurden gerne in Anspruch genommen, zumal als sich unter den gehobeneren Kunden herumsprach, dass ich auch noch ganz andere Dienste anbot, wenn man es sich leisten konnte. Bald hassten mich die anderen Übersetzer, denn ich ruinierte ihre Geschäfte. Doch Leon sorgte dafür, dass niemand auf die Idee kam, mir etwas anzutun.«
»Und wie lange ist das gut gegangen?« Kolja kannte den Platz der tausend Zungen. Er wusste, wie viele Männer dort ihre Dienste anboten. Ein einzelnes Weib unter ihnen … das konnte nicht gut gehen, zumal, wenn sie die besten Kunden bekam. Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendein betrunkener, verbitterter Konkurrent versuchen würde, ihr ein Messer in den Leib zu rammen.
»Auch Leon hat sich Sorgen gemacht. Deshalb habe ich dort nach drei Jahren meinen Abschied genommen. Ich verkündete, mich in meine Heimat nach Aram zurückzuziehen, verkaufte meinen Stand unter den Säulengängen. Ich gab ein großes Abschiedsfest und zog mit allem Pomp durch das Goldene Tor. Einen Mond später kehrte ich in aller Heimlichkeit zurück. Leon hatte mir ein schönes Haus besorgt. Dieses Haus hier. Und er hatte Gerüchte ausstreuen lassen über eine geheimnisvolle, immer in Seide gekleidete Konkubine, die in den Künsten der Liebe bewandert sei wie keine zweite und die Männer erwählte, die bei ihr liegen durften. Die Gerüchte wuchsen von ganz alleine immer weiter. Bald wurde behauptet, ich sei die verstoßene Tochter eines Unsterblichen.« Zarah lachte. Es war ein harter, spöttischer Laut.
»Leon war selbst überrascht, wie die Legende um mich wuchs. Bald hieß es, ich empfinge nur an besonderen Tagen Gäste, und dass meine Gunst nie mehr als einem meiner Liebhaber an so einem Tag gälte. Oder dass ich den Statthalter der Zapote als zu barbarisch zurückgewiesen habe. Jedes dieser Gerüchte mehrte meinen Ruhm. Bald überboten sich die Reichen der Stadt darin, einen Abend mit der Seidenen verbringen zu dürfen. Und ich gab mir alle Mühe, meinem Mythos gerecht zu werden. Vorbei waren die Zeiten, in denen Männer nur hastig ihre niedersten Bedürfnisse erfüllt sehen wollten. Ich verkaufte nicht mehr nur meinen Leib. Ich verkaufte eine Illusion. Und je vollkommener diese Illusion wurde, desto schwindelerregendere Höhen erreichten die Gebote meiner Liebhaber.«
Kolja nickte. Auch er hatte diese Erfahrungen gemacht. Ein guter Fick war Silber. Aber einen Traum zu verkaufen, das war etwas anderes! Für Träume gab es keine Grenzen. Auch nicht, was die Bezahlung anging. Er wusste nun, dass er Zarah wollte. Von diesen Träumen kosten wollte. Vergessen, dass er ein hässlicher Krüppel war. Auch er würde dafür fast jeden Preis zahlen. Aber das würde er Zarah natürlich niemals sagen.
»Ich habe die letzten Jahre meines Lebens damit verbracht, diese Illusion immer vollkommener zu machen. Mein Wert für dich besteht darin, dass ich weiterhin Träume verkaufe.« Sie sah ihn herausfordernd an. »Deshalb kann ich nicht mit dir schlafen. Und es wäre auch unklug, wenn man dich in Zukunft noch einmal dieses Haus betreten sähe. Natürlich ist das rein geschäftlich.«
Kolja unterdrückte den Impuls, sie zu ohrfeigen. Stattdessen trat er so dicht vor sie, dass ihr Wohlgeruch ihn fast überwältigte. Lange hatte er keine Frau mehr so sehr begehrt wie sie. Es war gerade ihr Widerstand, der ihn aufstachelte. Er beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf ihren schlanken Hals. »Ich glaube, du hast etwas ausgelassen. Wie gelangte dein Bruder in dieses lichtlose Gefängnis?«
Die Sehnen an Zarahs Hals spannten sich. »Auch er durfte die Illusion nicht zerstören. Er konnte nicht in diesem Haus leben. Es war eine Bedingung Leons. Er hat vorgeschlagen, ihn dort unterzubringen … Ich ging Joram oft besuchen.«
Kolja hörte am Klang ihrer Stimme, dass dies halbherzige Ausflüchte waren. Er hatte sie ertappt. Sie war nicht so großherzig, wie sie tat. Sie hatte ihre Besucher und das Leben in einem stattlichen Haus ihrem Bruder vorgezogen. Sie war nicht besser als all die anderen Huren, denen er bislang begegnet war.
»Glaube nicht, dass du auch nur eines deiner Geheimnisse vor mir verbergen könntest. Ich habe hier lange auf dich gewartet. Sehr lange. Ich habe mir dein Haus genau angesehen. Häuser verraten viel über die Menschen, die darin wohnen. Ich frage mich, wohin du wohl gehst, wenn du das Regal an der Südwand deines Weinkellers zur Seite schiebst. Dahinter liegt ein aufgegebener Abwasserkanal, der mit etlichen anderen Tunneln verbunden ist.«
»Manchmal verlasse ich das Haus heimlich, um meinen Mythos nicht zu gefährden«, entgegnete Zarah ruhig. »Zum Beispiel, wenn ich verschleiert meinen Bruder besuchen gehe.«
Kolja war nicht überzeugt. Er war ein Stück in die Tunnel vorgedrungen und hatte sich die Fußspuren im Schmutz angesehen. Es war nicht nur die Seidene, die dort entlangging. Vielleicht hatte sie ja einen heimlichen Liebhaber? »Mir fehlt in deiner Geschichte auch, wie du an Eurylochos geraten bist.«