Zarah ließ sich auf dem Bett zurücksinken. Ihre Beine streiften ihn. Ihre Brustwarzen zeichneten sich deutlich durch ihr Seidenkleid ab. Sie setzte ein sicherlich eingeübtes und dennoch hinreißendes Lächeln auf. »Das muss dir doch klar sein, Kolja. Eine Frau wie ich erweckt Begehrlichkeiten. Leon war plötzlich verschwunden. Ebenso seine Männer, die unauffällig über mein Haus gewacht haben. Ich hätte zu Arcumenna, dem Statthalter von Valesia, gehen können, doch dann hätte ich ihm allein gehört, und er hätte ganz sicher keine anderen Gäste geduldet. Auf kurz oder lang wäre Eurylochos auf mich aufmerksam geworden, auch wenn nur wenige Auserwählte den Weg zu mir finden. Also entschied ich, zu ihm zu gehen und mich unter seinen Schutz zu stellen. Er war immer sehr zufrieden mit mir.«
Kolja fragte sich, ob der Steuermann mehr als nur Gold von ihr bekommen hatte. Er spürte den Dorn der Eifersucht. Er wusste, dass dies eine der Waffen der Seidenen war. Er durfte sich solchen Gedanken nicht hingeben! Und doch fühlte er sich wehrlos. Sein Begehren würde ihn schwach machen.
Der Drusnier trat vom Bett zurück. Er sah den Triumph im Blick der Seidenen. »Du hast recht, Zarah, wenn man mich in deinem Haus sieht, dann wird das der Illusion schaden, dass du mehr als eine von vielen Huren dieser Stadt bist. Deshalb wirst du morgen in der Stunde der Dämmerung zu mir kommen. Wirst du nicht pünktlich sein, werde ich dir ein Ohr von Joram schicken, damit du dich künftig daran erinnerst, dass du meinen Befehlen umgehend zu gehorchen hast. Und damit es nicht zu Missverständnissen kommt, erkläre ich dir jetzt ganz klar, was ich morgen von dir erwarte: Du wirst mir mehr als deinen Leib geben. Du wirst mir einen Traum verkaufen. Und sollte dir das nicht gelingen, lasse ich dir den Schwanz deines Bruders schicken. Ich hoffe für ihn, dass er dir noch etwas bedeutet, auch wenn du ihn aus deinem Leben hast wegsperren lassen. Solltest du an meinen Worten Zweifel hegen, sieh dir den Finger an. Oder höre dich um. Ich bin Kolja, den sie auch den Schlächter nennen, und ich stehe immer zu meinem Wort.«
Verlorene Geschichten
Lyvianne war beeindruckt. Sie glitt tiefer in die Schatten, als der grobschlächtige Menschensohn die hölzerne Stiege hinabkam und das Haus der Seidenen verließ. Die Elfe hätte darauf gewettet, dass er Zarah schlagen würde. Dieser Fleischberg war viel klüger, als seine plumpe Visage vermuten ließ. Jetzt würde Lyvianne darauf wetten, dass er morgen bekommen würde, was er sich wünschte. Vielleicht liebte Zarah ihren Bruder wirklich … Und sollte sie sich Koljas Wunsch verweigern, war ihr sicher bewusst, dass es nicht lange dauern mochte, bis der Schlächter ein Stück von ihr abschnitt, um sie gefügig zu machen.
Misstrauisch sah sich die Elfe um, lauschte in die Nacht und wurde eins mit der Finsternis. Es war niemand mehr im Innenhof. Die Wachen des Schlächters waren gemeinsam mit ihrem Herrn abgezogen, und die Dienerschaft ihrer Gastgeberin hatte sich in ihre Gemächer verkrochen. Eine Taube oben auf dem Dach war das einzige andere Lebewesen, das sie wahrnehmen konnte. Vorsichtig zog sie sich in das große Gästezimmer zurück, das ihnen zugewiesen worden war.
Ohne ihre Gefährten zu beachten, trat sie auf einen Zuber aus rotem Kupfer zu, der das Gemach beherrschte. Sie streifte ihre schmutzigen Gewänder ab. Wie sie den groben Stoff hasste! Sie steckte einen Finger in das Wasser. Natürlich war es längst kalt. Bunt schillerndes Öl trieb in Inseln über das dunkle Badewasser. Lyvianne griff nach dem Schwamm, der auf dem Boden lag, und begann damit, sich mit dem kalten Wasser abzureiben. Die Menschenkinder hatten eigentümliche Vorstellungen von Reinlichkeit, wenn sie glaubten, sie würde das Badewasser nutzen, das bereits ihre Gefährten genossen hatten.
»Und?«
Natürlich war es Nandalee, die in ihrer Neugier nicht warten konnte, bis sie mit ihrem Bad fertig war. Lyvianne ignorierte die Jüngere und strich weiter mit dem Schwamm über ihre langen Beine. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass Nodon etwas zu angestrengt zur Seite blickte und Bidayn errötete. Gonvalon hingegen war sie offensichtlich egal, was sie ein wenig ärgerte.
Nandalee trat noch einen Schritt näher und starrte sie durchdringend an. »Was wollte der Kriegsherr?«, wiederholte sie.
Wie kam Nandalee dazu, diesen Zuhälter Kriegsherr zu nennen? Lyvianne presste den Schwamm gegen ihre Scham. Wasser troff auf den Boden. Sie ließ sich Zeit. Öffnete einige der kleinen Fläschchen, die neben dem Badezuber auf dem Boden standen. Vulgäre Parfüms! Sie waren zu stark oder in ihren Duftfacetten schlecht aufeinander abgestimmt. Zuletzt entschied sie sich, ein wenig Rosenöl zu benutzen. Sie gab drei Tropfen in ihre offene Hand, tupfte den Mittelfinger ihrer Rechten in das Öl und strich es auf ihren Hals, ihre Brüste und die Innenseiten ihrer Schenkel. Es bereitete Lyvianne Freude, Nandalee vor Neugier schier vergehen zu sehen. Erst als sie wieder gekleidet war, ließ sie sich dazu herab zu berichten, was oben geschehen war, und welchem Gewerbe ihre Gastgeberin nachging.
»Er heißt also Kolja«, sagte Gonvalon, nachdem Lyvianne geendet hatte.
Die Elfe sah ihn überrascht an. »Kennst du ihn?«
»Nandalee war es, die seinen Arm abtrennte. Wir sind ihm bei unserer ersten Reise nach Nangog begegnet. Damals gehörte er zur Leibwache eines Unsterblichen.«
Lyvianne lachte auf. »Er ist einer der Leibwächter eines der mächtigsten Menschenkinder und betreibt hier ein Bordell? Ich liebe diese Sterblichen! Sie sind so unendlich viel überraschender als wir.«
»Vielleicht wurde er aus der Leibwache ausgeschlossen, weil er nun ein Krüppel ist«, sagte Nodon. Er saß als Einziger an dem runden Tisch, auf dem Teller mit verschiedenen Speisen aufgetragen waren, und tunkte ein Stück Fladenbrot in eine safrangelbe Sauce. Nachdem er ein kleines Stück abgebissen hatte, fügte er hinzu: »Ich würde keinen Krieger in der Wache Nachtatems dulden, der verstümmelt ist. Ganz gleich, wie ruhmreich er einst gekämpft hat.«
»Wird er uns wiedererkennen?«, fragte Bidayn, die sich in die dunkelste Ecke des Zimmers zurückgezogen hatte.
Lyvianne sah zu ihrer Schülerin. Bidayn trug als Einzige noch ihren langen Umhang. Ihr Gesicht war im Schatten der Kapuze verborgen. Solange sie nicht lernte, zu sich zu stehen und ihre Narben nicht zu verstecken, würde sie nie zu wahrer Größe aufsteigen, ganz gleich, wie talentiert sie als Zauberweberin auch sein mochte. Lyvianne dachte an den Menschensohn. So wie er sollte Bidayn werden. Er stand zu sich, ja, er nutzte sein furchterregendes Aussehen. »Der Krieger hat erklärt, dass er nicht mehr in dieses Haus kommen will. Ich glaube, eine weitere Begegnung mit ihm brauchen wir nicht zu fürchten. Was wir hingegen entscheiden müssen, ist, wie wir weiter vorgehen werden.«
»Wir werden nicht einfach in den Krater hinabsteigen«, erklärte Nandalee. »Ihr erinnert euch, was ich euch über die Sieben erzählt habe. Die ersten Meister der Weißen Halle, die spurlos verschwunden sind.«
»Es heißt, sie warten irgendwo in der Einsamkeit der Berge«, platzte Bidayn heraus und Lyvianne hörte ihr an, wie sehr ihre Schülerin diese Geschichte glauben wollte. »Sie werden wiederkehren, wenn Albenmarks dunkelste Stunde naht.«
»Ich glaube, sie haben ihre dunkelste Stunde hier in Nangog erlebt«, entgegnete Nandalee hart. »Sie sind längst tot.«
»Dann hätten ihre Waffen in die Weiße Halle zurückkehren müssen«, wandte Gonvalon ein, der bisher schweigend zugehört hatte. »Dein Schwert Todbringer gehörte einst meiner Schülerin Talinwyn, die hier in Nangog starb. Ihre Klinge kam zurück in die Weiße Halle, obwohl sie auf einer fremden Welt starb.« Er sah zu Bidayn. »Auch ich glaube, dass unsere alten Meister noch leben.«
Nandalee wollte etwas erwidern, doch Gonvalon legte ihr die Hand auf den Arm, und sie schwieg.