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Išta war erstaunt, welchen Prunk der Elf hier versammelt hatte: goldene Weinbecher, eine wunderschön gefertigte Truhe, das große Bett. Verrat war augenscheinlich ein einträgliches Geschäft. Er schwelgte im Luxus, wo alle darbten. Dieser Zustand konnte nicht länger geduldet werden. Sie würde die Tür zuschlagen, die von den Alben und den Himmelsschlangen in aller Heimlichkeit in ihre Welt geöffnet worden war.

Sie trat an das Bett, und ein gehauchtes Wort der Macht ließ das Seidentuch zur Seite fließen. Zierliche Schultern und langes, schwarzes Haar schälten sich aus dem fürstlichen Gelb des Tuchs. Die Devanthar hielt inne. Es lag sonst niemand im Bett. Niemand anderes war im Zelt. Der Elf trieb also seine Spielchen, hatte sich davongeschlichen … Der Hofmeister musste gewusst haben, wie viele Devanthar Zeugen des Zweikampfs zwischen Muwatta und Aaron gewesen waren und hatte geahnt, das ihnen auch seine wahre Herkunft nicht verborgen geblieben war. Deshalb war er geflohen. Er wusste, dass seine Zeit abgelaufen war!

Išta musterte das Mädchen. Ihr Atem ging regelmäßig. Zart, wie ein gehauchter Kuss, berührte sie mit den Fingerspitzen das Haupt des Mädchens und las in ihren Erinnerungen. Ihr Schlaf war tief. Sie kam gerne hierher. Eine Nacht mit einem freundlichen Liebhaber in einem sauberen Bett war inmitten des Heerlagers eine seltene Gunst des Schicksals. Sie träumte von einem Park voll blühender Kirschbäume. Ein plötzlicher Windstoß hüllte sie in tausend wirbelnde zartrosa Blütenblätter. In ihrem Traum war sie noch ein Kind. Ihr Lachen klang hell und unbeschwert. Ein Lachen, von dem nichts mehr geblieben war, verloren in der Zeit, ebenso wie die seidenen Blütenblätter jenes lang vergangenen Nachmittags in ihrer Kindheit.

Die Devanthar ließ von der jungen Frau ab und sah sich erneut im Zelt um. Betrachtete den großen Tisch voller Tontäfelchen. Bemerkte, dass das Kleid des Mädchens verschwunden war und allein Gewänder des Hofmeisters herumlagen. Am Rand eines schmalen Tisches standen kleine Schminktiegel. Daneben lag ein Handspiegel aus polierter Bronze mit einem langstieligen Griff, der eine nackte Frau zeigte, deren ausgestreckte Arme den unteren Teil des Spiegels einfassten. Da begriff Išta, was geschehen war.

Sie trat zu dem Tischchen, strich über den Spiegel und sah, was die glatte Bronzefläche als Letztes gesehen hatte. Datames, wie er sein Antlitz veränderte, seine Züge denen des Mädchens anpasste und sich schminkte. Er war ihr entkommen, diesmal. Išta überflog nachdenklich die Tontafeln. Dieser Elf war das Herz des Reiches Aram geworden. Er war mehr als nur ein Spitzel … Er tat dies hier aus Leidenschaft. Und er würde wiederkommen.

Die Devanthar strich über die kalte Bronze des Spiegels und hinterließ einen Gruß für Datames. Dann wandte sie sich dem Mädchen zu. Es gab andere Wege, den Hofmeister zu vernichten, als langsam das Leben aus ihm herauszuschneiden. Noch in dieser Nacht würde eine kleine Schar Devanthar Krieg nach Albenmark tragen, den die Himmelsschlangen und ihre Herren begonnen hatten. Und sie war eine der Auserwählten, die für Daia kämpfen würde.

Das Feld der Fliegen

Barnaba drückte dem Toten die Augen zu. Das Silber des ersten Morgenlichts ließ dessen Antlitz unnatürlich fahl aussehen. Mit fahriger Geste wischte sich der gefallene Priester mit seinem Handrücken über die Stirn und stemmte sich hoch. Obwohl er die dreißig noch nicht erreicht hatte, stützte er sich wie ein alter Mann auf einen knochenbleichen Stab aus verwachsenem Holz. Gatha, der hagere Schamane, der den Steinrat von Garagum beherrschte, hatte einen speckigen Lederbeutel und einen Streifen roten Stoffs daran gebunden. Die Zeichen eines heiligen Mannes – auch wenn Barnaba sich sicher war, dass die meisten Krieger hier auf der Ebene ihre Bedeutung nicht kannten.

Er ließ den Blick über das weite Schlachtfeld schweifen. Erst hatte er nicht kommen wollen. Es war Gatha, der ihn gedrängt hatte. Es sei die Pflicht der Heiligen Männer, den Sterbenden beizustehen, hatte er gesagt. Und Gatha hatte recht damit gehabt.

Barnaba wusste nicht mehr, wie vielen Kriegern er in dieser Nacht Trost gespendet hatte. Es mussten Dutzende gewesen sein. Manche weinten, erzählten schluchzend von ihren Kindern und Weibern, andere verfluchten ihr Schicksal oder wimmerten vor Schmerz. Frieden kehrte auf einem Schlachtfeld auch dann nicht ein, wenn die Waffen ruhten.

Barnaba war fassungslos, wie viele Verwundete einfach liegen geblieben waren, während ihre Kameraden im Lager ihren Sieg feierten.

Dumpfes Jammern, Schmerzensschreie und Hilferufe oder einfach nur das leise Flehen um Wasser waren das Lied des nächtlichen Schlachtfeldes. Und das Tuscheln der Leichenfledderer, meist ältere Frauen, die sich sonst als Köchinnen und Näherinnen im Lager verdingten. Auch das Knurren der Hunde, die um die besten Happen stritten, all das konnte Barnaba ertragen … es waren Geräusche, die aufbrandeten und wieder verstummten. Doch eines blieb die ganze Nacht. Es war immer da, leise und eindringlich: das Summen der Fliegen. Sie waren ohne Zahl. Und wenn sie die Eier ablegten, aus denen binnen einer einzigen Nacht Maden schlüpften, unterschieden sie nicht zwischen Toten und Sterbenden. Ihre Brut nährte sich auch von denen, die zu schwach waren, noch mit der Hand zu wedeln, um die Fliegen zu verscheuchen.

Erst vor ein paar Tagen hatten ihn die Jäger von seiner geliebten Ikuška getrennt und gnadenlos zusammengeschlagen. Danach war er kaum mehr in der Lage gewesen, einen Arm zu heben. Er ballte die Fäuste und kämpfte gegen das Schluchzen an, das seine Kehle hinaufstieg. Tränen standen ihm in den Augen. Ikuška! Die Xana aus dem einsamen Tal hatte ihm das Leben gerettet. Der Traum seiner Kindheit war wahr geworden. Gegen jede Wahrscheinlichkeit. Es war nichts Daimonisches an ihr gewesen. Sie hatte vielmehr Angst gehabt vor dieser Welt, den Menschen und den übermächtigen Devanthar. Und dennoch hatte sie ihn gerettet. Mit ihr war er so glücklich gewesen, dass er es für einen Traum gehalten hatte.

Dann war Gatha mit den Jägern und Hirten der Berge gekommen und hatte alles zerstört. Sie hatten Ikuška ermordet und ihn verschleppt. Auf eins ihrer kleinen, stinkenden Pferde gebunden, war er hierhergekommen, auf diese trockene Ebene, die zwei eitle Unsterbliche zum Schlachthaus ihrer Völker auserkoren hatten. Fliegen hatten Barnaba damals auf dem ganzen Weg von den Bergen zur Ebene umkreist. Sie waren ihm in die Augenwinkel und Nasenlöcher gekrochen, gierig nach jedem Hauch von Feuchtigkeit. In seine schwärenden Wunden hatten sie ihre Eier gelegt. Und er hatte sich nicht wehren können, war auf ein Pferd gebunden und war den ersten Tag lang dem Tod näher als dem Leben gewesen. Schon vor der Schlacht hatte er die Fliegen fürchten gelernt. Ihr tiefes, leises Summen war ihm ein Grauen. Er musste es nur hören und bildete sich schon ein, ihre kleinen schwarzen Beine wieder auf seinem Gesicht zu spüren.

Schwer auf seinen Stab gestützt, wanderte er weiter, den Blick auf den Boden gerichtet. Einige der toten Leiber waren schon aufgedunsen. Leicht süßlicher Verwesungsgeruch begann den Gestank nach Fäkalien zu überlagern. Wenn man den Odem des Todes lange genug einatmete, hinterließ er einen üblen Geschmack im Mund, der sich nur mit saurem Wein oder Essigwasser hinunterspülen ließ.

Barnaba strich sich erneut mit einer fahrigen Geste über das Gesicht. Es waren keine Fliegen dort! Heute kamen sie zu den Toten, nicht zu den Lebenden. Er betrachtete seine Hand, die sich nicht mehr seinem Willen fügte. Sie war mit Schorf überzogen und noch immer geschwollen von den Schlägen. Das dunkle, fast schwarze Blau der Prellungen begann an den Rändern zu einem leicht grünlichen Ton zu verblassen. Er musste sich diese Geste wieder abgewöhnen. Musste er? Was sollte dieser Anflug von Eitelkeit? Die Jäger und Hirten der kargen Berge Garagums hielten ihn ohnehin für verrückt. Er war ein Mann, den die Götter berührt hatten. Einer, den sie sich nicht mehr nehmen ließen. In seinen Gedanken hallten ihre hasserfüllten Schreie wider. Barnaba schloss die Augen und sah noch einmal, wie Ikuška von ihren Pfeilen durchbohrt wurde.