»Bekommst du von ihnen dein Fleisch?«
Lee hob drohend einen seiner Holzspieße. »Keine Beleidigungen bitte! Ich nehme nur erstklassige Ware, und das Fleisch von Drusniern, die ihr Hirn zwischen den Schenkeln tragen, gehört ganz sicher nicht dazu.«
»Ich stelle fest, du leugnest nicht, dass womöglich auf einigen deiner Spieße Menschenfleisch steckt«, entgegnete Eleborn trocken.
Lee grinste ihn an. »Ganz gleich, von wessen Knochen es geschält wird, es ist jedenfalls immer frisch, dafür verbürge ich mich.«
Der Elf betrachtete nachdenklich den letzten der Fleischspieße. Er würde sich nicht von diesem Giftzwerg verschaukeln lassen. Mit mehr Entschlossenheit als Appetit vollendete er sein Mahl.
»Tust du mir einen Gefallen?« Lee fächerte sich wieder frische Luft zu. Dicke Schweißperlen rannen seine Stirn hinab. »Achte darauf, dass du auf keinem Fleischspieß endest. Es gibt Garköche, die weniger Skrupel beim Einkauf ihrer Waren haben als ich.«
Eleborn schnippte ihm eine Kupfermünze als Trinkgeld hinüber. »Ich bin schwer umzubringen. Und es wird wohl nicht viele Frauen geben, die einen Mann verführen, der Bilder auf seinem Leib trägt, die die Farbe von Scheiße haben, nicht wahr?«
Lee lachte auf. »Recht hast du, Waldmann. Jede Frau mit Hirn wird einen weiten Bogen um dich machen.«
Um das Mahl zu verdauen, streifte Eleborn noch eine Weile über den Schlangenmarkt. Stickige Hitze lag über der Stadt. Der Himmel stand voller Wolken, die sich kaum noch von der Stelle rührten. Kein Luftzug fuhr durch die Häuserschluchten. Die wandernden Wasserverkäufer waren umlagert von Durstigen. Der Elf versuchte sich gegen die Gerüche zu verschließen, die Menschenkinder und Mauerwerk ausdünsteten. Die Goldene Stadt war überwältigend. Alles hatte hier das Maß verloren. Auch der Gestank! Er hatte mit Männern gesprochen, die glaubten, dass man krank wurde, wenn man sich zu häufig wusch. Sie waren allesamt verrückt!
Als er die Straße der Gerechtigkeit überquerte, betrachtete er kurz einige fliegenumschwärmte Leichname, die in goldenen Käfigen ausgestellt wurden. Es gab nicht einmal Schilder, auf denen stand, was diese Kerle verbrochen hatten. Wie sollte ihr Tod als Abschreckung dienen, wenn man nicht wusste, weshalb sie gerichtet worden waren!
Verärgert ging Eleborn weiter. Menschenkinder, welch tiefe Wahrheit lag in diesem Wort. Wie Kinder waren sie, mal unschuldig und das Herz berührend und dann, ohne dass ein Grund für den Stimmungswechsel erkenntlich war, grausam und unbarmherzig. Der Anblick der Gehenkten hatte seine gute Laune getrübt und die stickige Hitze und der Gestank taten das Ihre, ihn noch verdrießlicher zu stimmen. Finsteren Blicks schritt er weiter und merkte kaum, wie ihm die Menschen aus dem Weg gingen.
Wenn er sich nur durch einen Zauber Kühlung verschaffen könnte! Es wäre nur ein einziges Wort … Hier gab es ganz gewiss weit und breit keinen Devanthar, der auf ihn aufmerksam werden würde. Eleborn zögerte, sah sich um und drückte sich in einen Hauseingang, der nach ausgeleerten Nachttöpfen stank. Leise flüsterte er ein Wort der Macht, und augenblicklich umfing ihn die luftige Kühle eines Frühlingsmorgens. Kurz überlegte er, ob er sich auch von dem Gestank befreien sollte. Noch ein weiteres Wort und ihm würden nur Wohlgerüche in die Nase steigen.
Doch jeder weitere Zauber würde seine Aura heller strahlen lassen. Sollte es doch Menschenkinder geben, die empfänglich für Magie waren, würde ihnen nicht entgehen, dass er anders war – auch wenn sie seine Andersartigkeit vielleicht nicht zu benennen vermochten. Der Hitze entronnen zu sein reichte.
Seine Zungenspitze glitt über ein Stück Chitinpanzer, das sich zwischen zwei Zähnen verkeilt hatte. Nie wieder würde er einen Skorpion verspeisen. Versonnen betrachtete er die Menschenkinder, die auf der Straße vorübereilten. Es waren nur Männer. Obwohl die meisten von ihnen noch kein Silber im Haar trugen, waren fast alle ausgemergelt. Sie starrten blicklos vor sich hin, gefangen von ihren Träumen, obwohl sie längst ahnten, dass sie sich niemals erfüllen würden. Sie bestahlen Nangog, doch auch sie brachten ein Opfer. Wenn sie jemals in ihre Heimat zurückkehrten, waren sie alte, verbrauchte Männer, die niemand mehr würde haben wollen, sobald das letzte Kupferstück ausgegeben war, das sie sich auf dieser ungastlichen Welt verdient hatten.
Nachdenklich passierte Eleborn den Markt der Silberspinner. Hier wurden die Seidenkokons gehandelt, die mutige Jäger aus den weiten Wäldern mitbrachten. Im Gegensatz zu den Kokons aus Albenmark, die immer nur von silbrigem Weiß waren, gab es hier auch Purpur und ein strahlendes Rot. Gewänder, die daraus gewoben wurden, verloren niemals ihre Farbe und waren das Hundertfache ihres Gewichtes in Gold wert. An jedem Stand gab es mindestens einen schwer bewaffneten Söldner, der aufmerksam über die Waren wachte und jene Männer beobachtete, die die hauchzarten Fäden der Kokons abrollten und auf Spindeln aus gelben Knochen wickelten.
Sänften wurden von schwitzenden Sklaven über den Markt getragen. An manchen Ständen zeigten sich ganz offen Frauen, die prüfend über die kostbaren Stoffe strichen oder Seidenspindeln kauften. Eleborn hatte gehört, dass auch die berühmteste Hure der Stadt hierherkam. Angeblich kleidete sie sich einzig in die kostbare rote Seide. Gesehen hatte er diese Frau noch nicht, obwohl er oft hier war. Wahrscheinlich war sie einem der Märchen entsprungen, die die Wolkenschiffer auf ihren langen Reisen ersannen.
Der Elf legte den Kopf in den Nacken. Die Wolkentürme waren von Westen herangezogen und bedeckten nun fast den ganzen Himmel. Die Dämmerung tauchte die Wolkenränder in warmes, bernsteinfarbenes Licht. Über dem riesigen Krater war bereits erstes Donnergrollen zu vernehmen. Nicht mehr lange, und das Gewitter würde die Goldene Stadt erreichen.
Plötzlich hatte Eleborn das Gefühl, beobachtet zu werden. Er wandte sich langsam um. Mindestens drei Leibwächter von edlen Damen, die hier das Geld ihrer Liebhaber durchbrachten, hielten ihn aufmerksam im Blick. Doch nicht sie waren es, die er gespürt hatte. Im Schatten eines unscheinbaren Marktstandes, an dem nur weiße Seidenkokons angekauft wurden, entdeckte er eine zierliche Frau mit langem, schwarzem Haar. Ein bunter Federmantel lag über ihren Schultern. Als er sie ansah, lächelte sie voller Verheißung.
Langsam schlenderte er zu ihr hinüber. Wie all dies enden sollte, stand zwar jetzt schon fest, aber er wollte es ihr nicht zu leicht machen.
Sie war mehr als einen Kopf kleiner. Der offene Mantel gewährte freien Blick auf ihren Körper. Um die Hüften hatte sie ein rotes Seidentuch geschlungen, das ein Vermögen wert sein musste. Ansonsten war sie nackt. Auf ihren goldbraunen Leib waren weiße Schlangenlinien und stilisierte Tiere gemalt. Unter ihren Brüsten erhob ein großer Skorpion drohend seinen Stachel.
»Heute ist wohl mein Tag der Skorpione«, sagte Eleborn lächelnd.
Sie zog den Mantel zusammen und nickte leicht zur Seite, als wolle sie ihm andeuten, ihr zu folgen.
»Verstehst du meine Sprache?«
Sie sah zu ihm auf. Ihr Lächeln ließ alle Fragen vergessen. Was für eine Frau! Wieder nickte sie zur Seite. Diesmal machte sie auch einen Schritt.
»Ich komme«, sagte Eleborn in der Zunge der Zapote. In den sieben wichtigsten Sprachen der Menschenkinder hatte er je etwa dreihundert Wörter gelernt. Gerade genug, um in etwa zu verstehen, worum es ging, wenn er eine Unterhaltung auf der Straße belauschte.
»Du beherrschst meine Sprache?« Verblüfft blieb sie stehen, und Eleborn hatte das Gefühl, zum ersten Mal ihr wahres Gesicht zu sehen und nicht die sorgsam einstudierte Maske. Der Elf hob lächelnd die Hand und zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen kleinen Spalt. »Wenig.«
Sie lächelte noch hinreißender als zuvor. Um ihre Augen bildeten sich kleine Fältchen, und die Farbe, mit der sie auch ihr Antlitz bemalt hatte, bekam feine Risse. »Es wird ein Vergnügen sein, dich tief kennenzulernen. Du siehst sehr angespannt aus. Ich glaube, ich kann dich lockerer machen.« Bei diesen Worten lachte sie kokett.