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»Was sagst du?« Usia winkte den Wachen zu, die hinter ihnen das Tor zum Frachthof schlossen.

»Bandag nennt man in meiner Heimat einen rotbraunen Saft, mit dem man sich bemalt. Nach zwei Wochen verblassen die Bilder wieder.«

Der Frachtmeister deutete den Hang hinab. »Hunger? Unten am Schlangenmarkt kann man günstig essen. Und ich weiß auch, wo man dort einen passablen Wein bekommt.«

»Deine Entscheidung. Du zahlst den Wein«, erklärte Nodon. Er entschied, seine Pläne zu ändern und noch etwas Zeit mit Usia zu verbringen. Er wollte hören, was der Alte über diesen geheimnisvollen anderen Beobachter der Gärten zu erzählen hatte.

»Sagst wohl kein Wort zu viel. Mal sehen, ob ein guter Roter dir die Zunge löst.« Usia schlenderte die breiten Treppen hinunter. Er hatte es trotz des Regens nicht eilig. Es waren nur wenige Menschenkinder auf der Straße. Ab und an grüßte der Frachtmeister. Er schien in diesem Viertel wohlbekannt zu sein.

Der Schlangenmarkt war ein trostloser Ort, umringt von Bauten aus ungebrannten Ziegeln, denen der Regen Furchen in ihre lehmbraunen Gesichter geschnitten hatte. Der ungepflasterte Platz war ein einziger Morast. Sie mussten durch tiefe Pfützen waten, vorbei an Ständen unter ausgeblichenen Segeltuchplanen, wo sich Unglückliche an kleine Feuerstellen kauerten, in der Hoffnung, dass doch noch ein Hungriger zu ihren Köstlichkeiten finden würde. Es stank nach ranzigem Fett und angebranntem Fleisch. Nodon würde sich überwinden müssen, hier etwas zu essen. Warum machten die Menschenkinder nichts ordentlich? Warum bauten sie eine riesige Stadt aus hässlichen Häusern, statt eine kleinere aus guten festen Steinbauten, in denen man sich wohl fühlen konnte? Sie waren schlimmer als Kobolde.

Usia deutete zu einem Mann mit Mandelaugen, der aufgespießte Skorpione feilbot. »Da gehst du besser nie essen. Es ist unbeschreiblich, was die Ischkuzaia für einen Schlangenfraß anbieten. Der Kerl grillt halb verfaulte Ratten und bietet dir die kleinen Fleischstücke in Soße getaucht als Rinderlende an. Er kommt vom Seidenfluss. Das sind die Allerschlimmsten!«

Nodon, der nicht wirklich einen Unterschied zu den anderen Bratständen erkennen konnte, schwieg.

»Hier sind wir richtig, Junge.« Der Frachtmeister deutete auf eine tiefe Mauernische, in die sich einige Menschenkinder geflüchtet hatten und hinaus in den Regen stierten. Rauch zog unter der gewölbten Decke entlang. Es roch nach Gemüse und Fisch.

Usia verscheuchte einige Männer von ihren Plätzen und ließ sich an einem von drei wackeligen Tischen nieder. »Rabal! Bring mir Reis und Bohnen, und trag uns einen Krug von deinem verdammt besten Roten auf. Nicht diese saure, gepanschte Brühe, die du sonst frecherweise Wein nennst. Wir wollen den richtigen Stoff!«

Hinter einer niedrigen, gemauerten Feuerstelle stand ein unglaublich fetter Kerl mit tätowiertem Gesicht. »Usia, alter Pirat, bist du immer noch nicht von deinem verdammten Ankerturm gestürzt. Ich hatte wirklich gehofft, dass uns die Sturmwinde heute endgültig von deiner Anwesenheit auf dieser Welt der Seligen befreit hätten. Würdest du mir freundlicherweise die Münzen zeigen, mit denen du für die Schätze dieses edlen Hauses zu zahlen gedenkst?«

»Rabal kommt von den Schwimmenden Inseln«, erklärte der Frachtmeister Nodon gut gelaunt und hielt den kleinen Silberbarren hoch. »Rabal ist gar nicht sein richtiger Name. Anständige Leute können das Kauderwelsch, das die auf den Schwimmenden Inseln reden, nicht aussprechen, deshalb nennen wir alle ihn einfach so.«

Der dicke Wirt schob sich erstaunlich geschickt an seiner Feuerstelle vorbei und zwischen den Gästen hindurch. Er nahm Usias kleinen Silberbarren, der kaum so lang und dick wie ein Mittelfinger war, und leckte an dem Metall.

Ohne Vorwarnung zog er plötzlich eine Handaxt, die hinter seinem Rücken im Gürtel gesteckt hatte.

Die ersten Menschen

Nodons Hand tastete unter dem Tisch nach dem Messer in einem Gürtel.

»Einen Fingerbreit«, sagte Usia, als sei es das Normalste der Welt, dass ein tätowierter Barbar mit zum Schlag erhobener Axt vor ihm stand.

Rabal nickte.

»Aber einen von meinen Fingern«, fügte Usia hastig hinzu.

»Wenn du den Mut hast, ihn auf den Barren zu legen, alter Mann.«

In der Garstube war es totenstill geworden. Alle beobachteten nun das Treiben an ihrem Tisch. Der Garkoch legte den Silberbarren auf das zerfurchte Holz und bedachte Usia mit einem Lächeln, das nadelspitz zugefeilte Schneidezähne bloßlegte. Doch der Frachtmeister hob seelenruhig den verstümmelten Arm und legte den Griffel, der in die Ledermanschette eingelassen war, auf das äußere Ende des Silberbarrens.

»Das ist kein Finger«, grollte Rabal.

»Ich nenn ihn immer meinen Schreibfinger. Wir hatten doch nicht vereinbart, welchen Finger ich nehme. Und solltest du mir nicht glauben, frag irgendjemanden auf meinem Ankerturm. Alle wissen das!«

Die Axt sauste nieder und verfehlte den Griffel nur um Haaresbreite. »Einmal Pirat, immer Pirat«, murrte der Koch und betrachtete die tiefe Kerbe, die sein Hieb in dem Barren hinterlassen hatte.

»Das ist gutes Silber aus Fernwald«, behauptete Usia. »Spiel dich also nicht so auf.«

Das Lächeln auf dem Gesicht des Kochs erstarb. Wieder sauste die Axt herab.

Nodon registrierte, dass Rabal ganz genau in dieselbe Kerbe geschlagen hatte. Er war gut mit der Axt und erstaunlich schnell für einen Mann mit dem Körperbau eines Walrosses. Der Koch nahm das abgetrennte Silberstück an sich und zog sich ohne ein weiteres Wort hinter seine Feuerstelle zurück.

»Netter Kerl«, bemerkte Nodon.

»Wir sind ein paar Jahre zusammen auf demselben Schiff gefahren. Die Liebt Mondlicht im Winterwald ist meist auf der Nord-Süd-Route gesegelt. Wir waren oft in Fernwald. Er ist kein übler Kerl. Aber er vermisst seine Heimat und die Weiber, wie wir alle auf Nangog. Nur wenn er trinkt, sollte man Rabal besser aus dem Weg gehen. Die meisten Männer von den Schwimmenden Inseln vertragen weder Wein und noch Bier. Und schon gar nichts Gebranntes!«

»Der Barren kommt nicht aus Fernwald«, sagte Nodon nun.

Usia nahm das Silber mit seiner gesunden Hand und steckte es in seine Geldkatze. »Was macht das schon? Es ist gutes Silber. Das sieht man an der Farbe, und schmecken kann man es auch. Und da wir gerade darüber reden, was woher kommt … Von wo stammst du eigentlich, Roter? Einen wie dich habe ich noch nie gesehen.« Usia nickte in Richtung des Garkochs. »Und du hast ja gesehen, ich kenne eine Menge seltsame Männer.«

»Ich komme aus Drusna.«

Der Frachtmeister schüttelte den Kopf. »Drusna? Du siehst nicht aus wie ein Drusnier. Das sind Männer wie Bären, mit struppigen Bärten aus Gold oder Feuer. Deine Wangen aber sind blank wie ein Kinderarsch. Drusnier rülpsen, furzen und saufen wie echte Barbaren. Nicht so wie Rabal, der zwar gerne die Axt schwingt, aber in Wahrheit eine empfindsame Seele ist. Wenn es spät wird und nur noch wenige Gäste in dieser Höhle hocken, dann trägt er selbst erdachte Gedichte vor. Also nochmal. Woher kommst du, Roter?«

»Drusna«, beharrte Nodon.

Usia schnaubte ärgerlich. »Wenn du Geschichten von mir hören willst, dann höre ich erst eine von dir. Und zwar eine wahre Geschichte! Wenn du dich daran nicht halten magst, dann trinkst du den Wein, den ich dir versprochen habe, und gehst. Und jetzt nimm deine verdammte Kapuze ab. Hier drinnen regnet es schließlich nicht, und ich sehe den Männern, mit denen ich mich unterhalte, gerne in die Augen.«

»Du willst nicht in meine Augen sehen.«

»Ich glaube, ich will nicht mal einen Wein mit dir trinken. Hältst du mich für einen altersschwachsinnigen Greis, weil mir ein paar graue Haare im Bart sprießen? Meinst du, ich weiß nicht, dass du mich aushorchen willst? Ich bin ein gutmütiger Kerl. Ich erzähle gern ein paar Geschichten. Aber ich möchte wissen, wem. Und die Währung, in der man Geschichten bezahlt, sind eigene Geschichten, Roter. Entweder hältst du dich daran, oder du suchst besser das Weite.«