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Raistlin sah die Dunkelheit auf sich zukommen. Er klammerte sich an die Hände.

Was enthalten die Bücher wirklich? wisperte er.

Dann wußte er es, und mit diesem Wissen stürzte die Dunkelheit über ihm zusammen wie die Welle eines Ozeans.

In einer Höhle in der Nähe des Wagens, im Schatten verborgen, gewärmt von der Hitze ihrer Leidenschaft, lagen sich Tika und Caramon in den Armen. Tikas rotes Haar klebte in kleinen Locken an ihrem Gesicht und an ihrer Stirn, ihre Augen waren geschlossen, ihre Lippen geöffnet. Ihr weicher Körper in ihrem bunten Rock und ihrer weißen puffärmeligen Bluse preßte sich an Caramon. Ihre Beine waren um ihn geschlungen, ihre Hand liebkoste sein Gesicht, ihre Lippen berührten seine.

»Bitte, Caramon«, flüsterte sie. »Das ist Quälerei. Wir begehren uns doch. Ich habe keine Angst. Bitte liebe mich!«

Caramon schloß seine Augen. Sein Gesicht glänzte vom Schweiß. Der Schmerz seiner Liebe erschien ihm unmöglich zu ertragen. Er könnte dem ein Ende bereiten, alles in süßer Ekstase beenden. Einen Moment lang zögerte er. Tikas duftendes Haar war an seiner Nase, ihre weichen Lippen an seinem Hals.

Es wäre so einfach... so wunderschön...

Caramon seufzte. Er schloß seine starken Hände fest um Tikas Handgelenke. Dann zog er sie von seinem Gesicht weg und schob das Mädchen beiseite.

»Nein«, sagte er, seine Leidenschaft machte ihm zu schaffen.

Er rollte sich herum und erhob sich. »Nein«, wiederholte er.

»Es tut mir leid. Ich wollte es nicht so – daß die Dinge sich so entwickeln.«

»Ich aber!« weinte Tika. »Ich habe keine Angst! Nicht mehr.«

Nein, dachte er und preßte seine Hände gegen seinen pochenden Kopf. Ich fühle dich in meinen Händen wie einen gefangenen Hasen zittern.

Tika begann die Kordel an ihrer weißen Bluse aufzuziehen.

Da sie durch ihre Tränen nichts sehen konnte, riß sie so wild an ihr, daß sie zerriß.

»Nun! Sieh nur!« Sie warf die silberne Schnur weg. »Jetzt habe ich meine Bluse ruiniert! Ich muß sie flicken. Sie werden natürlich alle wissen, was passiert ist! Oder sie glauben es zu wissen! Ich... ich... oh, was hat das für einen Sinn!« Vor Enttäuschung weinend, bedeckte Tika ihr Gesicht mit ihren Händen.

»Es ist mir egal, was sie von mir denken!« sagte Caramon. Er tröstete sie nicht. Er wußte, wenn er sie wieder berührte, würde er seine Leidenschaft nicht mehr zurückhalten können. »Außerdem denken sie überhaupt nichts. Es sind unsere Freunde. Sie kümmern sich um uns...«

»Ich weiß!« weinte Tika. »Es ist Raistlin, nicht wahr? Er mag mich nicht. Er haßt mich!«

»Sag das nicht, Tika.« Caramons Stimme war fest. »Wenn er das täte und auch wenn er stärker wäre, wäre das egal. Es wäre mir egal, was jemand sagen oder denken würde. Die anderen möchten, daß wir glücklich sind. Sie verstehen nicht, warum wir – wir kein Paar sind. Tanis sagte mir direkt ins Gesicht, ich wäre ein Narr.«

»Er hat recht.« Tikas Stimme war durch ihr tränennasses Haar gedämpft.

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«

Irgend etwas in Caramons Stimme ließ das Mädchen aufhören zu weinen. Sie sah zu ihm hoch, als Caramon sich ihr zuwandte.

»Du weißt nicht, was mit Raist in den Türmen der Erzmagier geschehen ist. Keiner von euch weiß das. Keiner von euch wird das je erfahren. Aber ich weiß es. Ich war dabei. Ich habe es gesehen. Sie machten mich sehen!« Caramon erschauderte, legte beide Hände über sein Gesicht. Tika blieb still. Als er sie dann wieder ansah, holte er tief Atem. »Sie sagten, daß ›seine Kraft die Welt retten wird‹. Welche Kraft? Innere Kraft? Ich bin die äußere Kraft! Ich... ich verstehe es nicht, aber Raist sagte mir in dem Traum, daß wir zusammen eine Person wären, von den Göttern verflucht und in zwei Körper gesteckt. Wir brauchen uns gegenseitig – zumindest jetzt.« Das Gesicht des Mannes verdüsterte sich. »Vielleicht wird sich das eines Tages ändern. Vielleicht wird er eines Tages die äußere Kraft finden...«

Caramon verstummte. Tika schluckte und fuhr sich mit der Hand über ihr Gesicht. »Ich...«, begann sie, aber Caramon ließ sie nicht aussprechen.

»Warte eine Minute«, sagte er. »Laß mich zu Ende reden. Ich liebe dich, Tika, so wahr wie ein Mann eine Frau in der Welt lieben kann. Ich würde gern Liebe mit dir machen. Wenn wir nicht in diesen idiotischen Krieg verstrickt wären, würde ich dich heute heiraten. In dieser Minute. Aber ich kann nicht.

Denn wenn ich es tue, dann gehe ich dir gegenüber eine Verpflichtung ein, der ich mich mein ganzes Leben lang widmen möchte. Du mußt an erster Stelle in all meinen Gedanken sein.

Du verdienst nicht weniger als das. Aber ich kann diese Verpflichtung nicht eingehen, Tika. Meine erste Verpflichtung gilt meinem Bruder.« Tikas Tränen flossen wieder – dieses Mal nicht um sich selbst, sondern um ihn. »Ich muß dich freigeben, damit du jemanden findest, der...«

»Caramon!« Ein Schrei brach durch die süße Stille des Nachmittags. »Caramon, beeil dich!« Es war Tanis.

»Raistlin!« sagte der Krieger, und ohne ein weiteres Wort rannte er aus der Höhle.

Tika stand einen Moment da und sah ihm nach. Dann versuchte sie seufzend ihr feuchtes Haar zu kämmen.

»Was ist los?« Caramon platzte in den Wagen. »Raist?«

Tanis nickte, sein Gesicht war ernst.

»Ich fand ihn so vor.« Der Halb-Elf zog den Vorhang zurück.

Caramon schob ihn beiseite.

Raistlin lag auf dem Boden, seine Haut war weiß, sein Atem flach. Blut tröpfelte aus seinem Mund. Caramon kniete nieder und hob ihn in seinen Armen auf.

»Raistlin?« flüsterte er. »Was ist passiert?«

»Das ist passiert«, sagte Tanis grimmig zeigend.

Caramon sah hoch, sein Blick kam bei der Kugel der Drachen zum Stehen – die jetzt die Größe hatte, die Caramon in Silvanesti gesehen hatte. Sie lag auf dem Gestell, das Raistlin gebaut hatte, ihre Farben wirbelten ohne Unterbrechung, während er hinsah. Caramon hielt vor Entsetzen den Atem an.

Furchtbare Visionen über Lorac durchfluteten ihn. Lorac wahnsinnig, sterbend...

»Raist!« stöhnte er und umarmte seinen Bruder.

Raistlins Kopf bewegte sich schwach. Seine Augenlider flatterten, und er öffnete seinen Mund.

»Was?« Caramon beugte sich über ihn, der Atem seines Bruders fühlte sich an seiner Haut eiskalt an. »Was?«

»Mein...«, flüsterte Raistlin. »Zaubersprüche... der uralten.. . mein... mein...«

Der Kopf des Magiers hing schlaff herab, seine Worte erstarben. Aber sein Gesicht war ruhig, glatt und entspannt. Sein Atem kam regelmäßiger.

Raistlins dünne Lippen teilten sich zu einem Lächeln.

4

Weihnachtsgäste

Nach der Abfahrt der Ritter nach Palanthas machte sich Fürst Gunther auf, um Weihnachten zu Hause zu feiern. Es war ein anstrengender, mehrtägiger Ritt. Die Straßen waren knietief mit Schlamm bedeckt. Sein Pferd brach mehr als einmal zusammen, und Gunther, der sein Pferd beinahe genausosehr liebte wie seine Söhne, ging zu Fuß, wann immer es notwendig war. Als er sein Schloß erreichte, war er erschöpft, durchnäßt und zitterte am ganzen Leib. Der Stallknecht trat heran, um sich um das Pferd zu kümmern.

»Reib ihn gut ab«, sagte Gunther, während er steif absaß.

»Heißer Hafer und...« Er fuhr mit seinen Anweisungen fort, während der Stallknecht geduldig nickte, als hätte er sich noch nie zuvor in seinem Leben um ein Pferd gekümmert. Gunther wollte sogar selbst sein Pferd in den Stall führen, als sein uralter Gefolgsmann erschien, der ihn gesucht hatte.

»Herr.« Wills zog Gunther zur Seite. »Ihr habt Gäste. Sie sind vor wenigen Stunden angekommen.«

»Wer?« fragte Gunther ohne viel Interesse, Besucher waren nichts Neues, besonders während der Weihnachtszeit. »Fürst Michael? Er konnte nicht mit uns reisen, aber ich bat ihn, auf seinem Weg nach Hause vorbeizukommen...«