Harris (dem der wahre Sachverhalt langsam aufdämmert), lachend: »Bei Gott! Ich bitte Sie um Entschuldigung. Natürlich – ich habe die beiden Lieder untereinander gebracht. Aber Jenkins war es, der mich in diese Verwirrung stürzte, wissen Sie. Gut also, fangen wir an.«
Singt; seine Stimme scheint aus dem Keller zu kommen und wie ein erstes dumpfes Grollen ein herannahendes Erdbeben anzuzeigen.
»Als ich vormalen jung war,
Da diente ich ein Vierteljahr
Bei einem Anwalt grau von Haar,«
(Beiseite zum Pianisten): »'s ist zu tief, alter Junge; wir wollen das noch einmal durchnehmen, wenn's Ihnen nicht drauf ankommt.«
Er singt die drei ersten Zeilen noch einmal, diesmal in hohem Falsett. Große Verwunderung von seiten der Zuhörerschaft. Eine nervöse alte Dame beginnt zu weinen und muß hinausgeführt werden.
Harris (fährt fort):
»Und ich fegte die Fenster, die Türe rein,
Und ich –
Nein – nein, ich wusch die Fenster der Vordertüre rein und der Boden mußte gewichst sein – nein, zum Teufel – bitte tausendmal um Entschuldigung – kurios, daß mir die Zeile auch gar nicht mehr recht einfallen will. Und ich – und ich – o, gut, wir singen nun eben den Chor, und zwar wie's kommt. (Singt):
Und ich diddel – diddel – diddel – diddel – diddel – de,
Und bin jetzt Herr über unsere Marine.
Frisch drauf, Chor – die letzten zwei Zeilen müssen wiederholt werden, wissen Sie.«
Allgemeiner Chor:
Und er diddel – diddel – diddel – diddel – diddel – de,
Ist jetzt Herr über unsere Marine.«
Und Harris kommt nie zur Einsicht, was für eine Rolle er spielt und wie er einen Haufen Leute langweilt, die ihm nie in ihrem Leben was zuleide getan. Er bildet sich wahr und wahrhaftig ein, er habe sie famos unterhalten, und sagt, nach dem Nachtessen singe er nochmal was Humoristisches.
Apropos – humoristische Gesänge und Abendgesellschaften – da fällt mir ein ziemlich eigentümlicher Vorfall ein, dessen ich einstmals Zeuge war, und der, da er auf die innersten Vorgänge des menschlichen Seelenlebens viel Licht wirft, in diesen Blättern verzeichnet zu werden verdient.
Es war eine elegante und feingebildete Gesellschaft. Wir waren im höchsten Wichs, sprachen so schön und waren alle so glücklich – ausgenommen zwei junge Menschen, Studenten, die eben aus Deutschland zurückgekommen waren. Diese jungen Alltagsmenschen schienen nicht gerührt von dem »allgemeinen Glück«. Sie machten Mienen, als komme ihnen alles, was vorgehe, recht hausbacken vor.
Die Wahrheit zu sagen, wir waren ihnen viel zu schöngeistig. Unsere glänzende, aber gewählte Unterhaltung und unser feiner Geschmack gehörten einer höheren Sphäre an als der dieser jungen Leute, die entschieden nicht in unsere Gesellschaft paßten. Sie hätten sich nie hineindrängen sollen, das war hinterher die allgemeine Ansicht. Wir spielten Stücke aus den alten deutschen Meistern. Wir erörterten philosophische und ethische Probleme. Wenn wir kokettierten, so geschah es mit »Anmut und Würde«. Wir scherzten sogar mitunter – aber nur im höheren Stil.
Nach dem Abendessen trug jemand ein französisches Gedicht vor, und wir fanden es wunderschön; dann sang jemand eine schwermütige Ballade in spanischer Sprache, die einige von uns zu Tränen rührte, so gefühlvoll war sie.
Und nun erhoben sich diese zwei jungen Leute und fragten uns, ob wir jemals Herrn Slossem Boschen[Fußnote: Anspielung auf die für Engländer sehr schwierige Aussprache des Deutschen.] (der eben angekommen sei und sich zurzeit unten im Speisesaal befinde) sein großes deutsches humoristisches Lied vortragen gehört hätten. Niemand von uns konnte sich erinnern, es jemals gehört zu haben.
Die jungen Herren sagten, es sei das komischste Lied, das jemals geschrieben worden sei, und wenn wir es gerne hören wollten, so würden sie Herrn Slossem Boschen, der ein guter Bekannter von ihnen sei, veranlassen, es zu singen. Sie sagten, es sei so lustig, daß einstmals, nachdem Herr Slossem Boschen es vor einem deutschen Fürsten gesungen, derselbe – nämlich der Fürst – habe weggetragen und ins Bett gebracht werden müssen. Niemand, sagten sie, könne das Lied so wiedergeben wie Herr Slossem Boschen. Er bleibe so ernsthaft während des ganzen Vortrags, als ob er eine Tragödie vortrüge, und das mache die Sache natürlich noch viel komischer. Weder durch Ton noch durch Miene, sagten sie, gebe er zu verstehen, daß er etwas Komisches singe, das würde der Sache Eintrag tun. Gerade seine feierliche Miene und sein ernsthafter Ton, der sich oft bis zum Pathos steigere, habe eine so unwiderstehliche Wirkung auf die Lachmuskeln. Wir sagten ihnen, wir brennten vor Begierde, ihn zu hören, und möchten uns gern einmal durch ein recht herzhaftes Lachen erfrischen; da gingen sie denn hinunter, um Herrn Slossem Boschen heraufzuholen.
Er schien sofort bereit; denn er kam sogleich herauf und setzte sich, ohne sich weiter bitten zu lassen, ans Klavier.
»O, wie wird es Sie belustigen, wie werden Sie lachen!« flüsterten die beiden jungen Leute uns zu, während sie durch das Zimmer gingen und bescheiden einen Platz hinter des Professors Rücken einnahmen.
Herr Slossem Boschen begleitete sich selbst. Das Präludium verriet nicht gerade, daß etwas Humoristisches nachfolgen würde. Es war eine eigentümlich seelenvolle Melodie; sie machte einem förmlich die Haut schauern: aber das sei so die deutsche Art, flüsterten wir uns zu und gaben uns Mühe, die Sache heiter zu nehmen.
Was mich anbetrifft, so verstehe ich nicht Deutsch. Ich lernte es zwar in der Schule, hatte aber nach zwei Jahren, nachdem ich die Schulbänke verlassen, glücklich wieder alles vergessen und mich seitdem viel wohler befunden. Dennoch fühlte ich gerade kein Bedürfnis, jetzt meine Unwissenheit an die große Glocke zu hängen; da kam mir ein nach meiner Meinung gescheiter Gedanke. Ich behielt die zwei Studenten immer im Auge und tat genau wie sie. Kicherten sie, so kicherte ich auch; lachten sie laut auf, so brach ich in ein wieherndes Gelächter aus; und obendrein lachte ich dann und wann ganz auf eigene Faust leise vor mich hin, als ob ich eine kleine Pointe entdeckt hätte, die den anderen entgangen. Ich tat mir was zugut auf diese Schlauheit.
Im weiteren Verlauf des Vortrags glaubte ich zu bemerken, daß ein großer Teil der Anwesenden die beiden jungen Leute ebenfalls ins Auge gefaßt hatte. Sie kicherten auch, wenn die jungen Leute kicherten, und lachten laut auf, wenn sie laut auflachten oder gar in ein höllisches Gelächter ausbrachen. So ging die Sache eine Weile ganz flott. Und dennoch schien dem deutschen Professor etwas zu seiner Glückseligkeit zu fehlen. Als wir zuerst zu lachen anhuben, zeigten seine Mienen maßloses Erstaunen, als ob er eher des Himmels Einfall als unser Gelächter erwartet hätte. Das kam uns sehr komisch vor, wir sagten, sein ernsthaftes Aussehen gebe dem Spaß erst die rechte Weihe. Wenn er auch nur mit einem Augenzucken die Komik angedeutet hätte, so wäre der ganze Spaß verdorben gewesen. Da wir nun zu lachen fortfuhren, machte sein Erstaunen einem verdrießlichen und ärgerlichen Ausdruck Platz, und er schoß wütende Blicke auf uns alle, ausgenommen auf die beiden jungen Leute, die er nicht sehen konnte, weil sie dicht hinter ihm standen.
Das war das Signal zu einem markerschütternden Gelächter. Wir glaubten, vor Lachen sterben zu müssen. Schon der Text, sagten wir, könnte einen in Lachkrämpfe versetzen, und nun obendrein sein komischer Ernst, o, es war überwältigend!
Beim letzten Verse aber, da übertraf er sich selbst. Er blickte mit solch wilder Wut um sich, daß wir – wären wir nicht zuvor auf die deutsche Art, etwas Humoristisches zu singen, vorbereitet gewesen – gewiß Nervenzufälle bekommen hätten. Das eigenartige Musikstück endete dann mit solch hinsterbendem Klageton, daß wir gewiß in Tränen ausgebrochen wären, hätten wir nicht gewußt, daß es ein lustiges Stück sei.