Выбрать главу

»Hol' dich der Teufel, du Tölpel – weiter bist du nichts!«

Ilja fuhr auf – es ward ihm dunkel vor den Augen, als ob er einen Schlag vor den Schädel erhalten hätte, und mit geballten Fäusten trat er drohend auf Awtonomow zu. Aber Kirik hatte sich rasch von ihm abgewandt, ohne seine Bewegungen zu bemerken, und war an den Imbißtisch herangetreten. Ilja ächzte tief auf ...

Er stand in der Tür, sah die Rücken der Leute, die um den Tisch herumstanden, und hörte sie schmatzen. Die grelle Bluse der Gastgeberin übergoß gleichsam alles ringsum mit einem düstern Rot, das sich wie ein Nebel vor Iljas Augen legte.

»Mm!« machte Trawkin zufrieden. »Alles ganz vorzüglich! ... Großartig einfach!«

»Wollen Sie etwas Pfeffer dazu?« fragte die Gastgeberin liebenswürdig.

»Wart' – ich will dir gleich Pfeffer geben!« dachte Lunew mit kaltem Hohn. Die Sprungfeder in ihm hatte sich in ganzer Länge aufgerollt, er reckte den Kopf hoch empor und war mit zwei Schritten an dem Tische. Er ergriff das erste beste mit Rotwein gefüllte Glas, streckte es Tatjana Wlaßjewna hin und sagte mit scharfer Betonung, als wollte er sie mit seinen Worten töten:

»Laß uns trinken, Tanjka! ...«

Alles ward starr bei diesen Worten, und aller Blicke richteten sich auf den Sprecher. Die geöffneten Mundhöhlen mit den halbzerkauten Bissen darin erschienen wie häßliche Wunden auf den von Schreck und Bestürzung gelähmten Gesichtern.

»Na, mach' schon! Laß uns trinken! Kirik Nikodimowitsch, sag' doch meiner Liebsten, sie möcht' mit mir trinken! ... Was gehn uns die andern an? Warum immer im geheimen sündigen? Gehn wir doch offen vor! Ich hab' mir das so vorgenommen, siehst du – von jetzt an soll alles offen geschehen ...«

»Schurke!« schrie das Weib mit kreischender Stimme.

Ilja sah, wie sie mit dem Arm ausholte, und schlug den Teller, den sie nach ihm warf, mit der Faust zur Seite. Das Klirren des zerschlagenen Tellers erhöhte noch die Bestürzung der Gäste. Langsam, lautlos traten sie zur Seite und ließen Ilja allein, Aug' in Auge mit den Awtonomows. Kirik hielt ein Fischchen am Schwanze, blinzelte mit den Augen und schaute ganz blaß, ganz kläglich und stumpfsinnig drein. Tatjana Wlaßjewna bebte an allen Gliedern und drohte Ilja mit den Fäusten; ihr Gesicht hatte dieselbe Farbe wie ihre Bluse, und ihre Zunge brachte die Worte nur mit Mühe über die Lippen.

»Du ... lü–ügst ... lü–ügst!« kreischte sie, den Hals nach Ilja ausstreckend.

»Willst du vielleicht, daß ich sage, wie du nackt aussiehst?« sprach Ilja ruhig. »Hast mir ja selbst die Muttermale gezeigt ... Dein Mann wird's bestätigen können, ob ich lüge oder nicht ...«

Man hörte Ausrufe und unterdrücktes Lachen. Die Awtonomowa streckte die Arme in die Luft, faßte sich an die Kehle und sank lautlos auf einen Stuhl.

»Polizei!« schrie der Telegraphist. Kirik wandte sich nach ihm um und stürmte dann plötzlich, mit dem Kopfe voran, auf Ilja los.

Ilja hielt die Arme vor, gab ihm einen Stoß vor die Stirn und sagte grob:

»Wohin willst du denn? Du bist vollblütig ... Wenn ich dir eins vor den Schädel gebe, schlägst du lang hin ... Hör' lieber zu ... und ihr alle ... hört gleichfalls zu! ... Ihr kriegt sonst nie die Wahrheit zu hören ...«

Aber Kirik ließ sich nicht beirren, sondern neigte wieder den Kopf vor und machte einen neuen Angriff. Die Gäste sahen schweigend zu. Niemand rührte sich von seinem Platze, nur Trawkin ging leise, auf den Zehenspitzen, in eine Ecke, setzte sich dort auf eine Chaiselongue, faltete die Hände und schob sie zwischen die Knie.

»Nimm dich in acht – ich schlag' zu!« warnte Ilja den anstürmenden Kirik. »Ich hab' keinen Anlaß weiter, dir wehzutun, du bist dumm und unschädlich ... Hast mir nichts Böses getan ... Geh weg!«

Er stieß Kirik wieder fort, diesmal kräftiger als vorher, und suchte selbst an der Wand Deckung. Dort lehnte er sich mit dem Rücken an und fuhr fort zu sprechen, während er seine Augen über die Anwesenden hingleiten ließ.

»Deine Frau hat sich mir selbst an den Hals gehängt. Ein schlaues Weibsbild ... aber so verworfen! Keine Verworfenere gibt's in der ganzen Welt. Doch auch ihr – ihr alle seid ein verworfenes Pack. Ich war heute im Gericht ... da hab' ich richten gelernt! ...«

Er hatte so viel zu sagen, daß er nicht imstande war, seine Gedanken zu ordnen, und sie wie Steine hinausschleuderte.

»Ich will auch Tanja gar nicht beschuldigen ... Die Sache machte sich so ... von selbst, kann ich sagen ... Bei mir ist, solange ich lebe, alles immer von selbst gekommen ... wie von ungefähr ... Sogar einen Menschen hab' ich wie von ungefähr erwürgt ... Hab's gar nicht gewollt – und hab' ihn doch erwürgt ... Und denk' dir, Tanjka: mit demselben Geld, das ich ihm raubte, betreiben wir beide unser Ladengeschäft! ...«

»Er ist verrückt!« rief Kirik in plötzlicher Freude, sprang im Zimmer umher, immer von einem zum andern, und rief ängstlich und froh zugleich:

»Hören Sie? Er hat den Verstand verloren! ... Ach, Ilja! ... Ach, du! Wie du mir leid tust, Bruder!«

IIja lachte laut auf. Es war ihm noch wohler und leichter ums Herz geworden, als er das von dem Morde gesagt hatte. Er stand da und fühlte den Boden nicht unter seinen Füßen, und es war ihm, als ob er immer höher, immer höher emporschwebte. Breitschultrig, stämmig stand er vor allen diesen Leuten, warf sich in die Brust und reckte den Kopf in die Höhe. Die schwarzen Locken umrahmten seine hohe, blasse Stirn und die Schläfen, und seine Augen schauten voll Hohn und Bosheit.

Tatjana erhob sich, schwankte zu Felizata Jegorowna hin und sagte zu ihr mit zitternder Stimme:

»Ich hab's längst kommen sehen ... er machte schon lange ... so wilde, schreckliche Augen ...«

»Wenn er verrückt geworden ist – dann muß man die Polizei rufen«, sprach Felizata in überzeugtem Tone, während sie Lunew ins Gesicht sah.

»Verrückt! Natürlich ist er verrückt!« schrie Kirik.

»Er wird uns noch alle blutig schlagen«, flüsterte Gryslow und sah sich unruhig im Zimmer um. Sie fürchteten sich, das Zimmer zu verlassen.

Lunew stand dicht neben der Tür, und wer hinaus wollte, mußte an ihm vorüber. Er lachte in einem fort. Es war ihm angenehm, zu sehen, daß diese Leute ihn fürchteten, und als er ihre Gesichter betrachtete, bemerkte er, daß sie mit ihren Gastgebern durchaus kein Mitleid hatten und mit Vergnügen die ganze Nacht zugehört hätten, wie er sich über sein Liebchen lustig machte, wenn sie nicht zugleich Angst vor ihm gehabt hätten.

»Ich bin nicht verrückt«, sagte er und zog streng die Brauen zusammen. »Ich möchte nur, daß ihr hier bleibt und zuhört. Ich lass' euch nicht fort – und wenn ihr mir nahekommt, schlag' ich zu ... wenn's auch das Leben kostet ... Ich bin stark ...«

Er hob seinen langen Arm mit der kräftigen Faust empor, schüttelte ihn in der Luft und ließ ihn wieder sinken.

»Sagt einmal,« fuhr er dann fort – »was seid ihr für Menschen! Wozu lebt ihr eigentlich? Solche Knicker ... Solches Gesindel! ...«

»Du, hör' mal – halt dein Maul!« schrie ihn Kirik an.

»Halt selber 's Maul! Ich will jetzt reden ... Ich schau' euch an – wie ihr freßt und sauft, euch gegenseitig betrügt ... und keinen Menschen liebt ... Was wollt ihr eigentlich hier auf Erden? Ich hab' nach einem sauberen, anständigen Leben gestrebt ... es gibt keins! Nirgends gibt's ein solches! Bin nur selbst dabei beschmutzt und verdorben worden ... Ein guter Mensch kann unter euch nicht leben – er muß verkommen. Gute Menschen martert ihr zu Tode ... Und ich ... ich bin böse, unter euch aber bin ich wie eine schwache Katze im dunklen Keller, unter lauter Ratten ... Ihr – seid überall! Ihr richtet, ihr regiert, ihr macht die Gesetze ... Ekles Geschmeiß ...«

In diesem Augenblick sprang der Telegraphist behend an Lunew vorüber und schlüpfte aus dem Zimmer.