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»Ach – einen hab' ich entspringen lassen!« sagte Ilja und hob den Kopf empor.

»Ich hol' die Polizei!« schrie der Telegraphist aus dem anstoßenden Zimmer.

»Meinetwegen hol' sie! Mir ist alles gleich! ...« sagte Ilja.

Auch Tatjana Wlaßjewna ging an ihm vorüber – wankend, wie im Schlaf, ohne ihn anzusehen.

»Die hat's bekommen!« fuhr Lunew fort, und wies mit einem höhnischen Kopfnicken nach ihr hin. »Aber sie verdient es ... die Schlange ...«

»Halt's Maul!« rief Awtonomow aus seiner Ecke. Dort kniete er am Boden und suchte etwas in der Kommodenschublade.

»Schrei nicht, du gutes dummes Kerlchen!« antwortete ihm Ilja, während er auf einem Stuhle Platz nahm und die Hände über der Brust kreuzte. »Was schreist du? Ich hab' doch mit ihr gelebt, muß sie also kennen ... Auch einen Menschen hab' ich ermordet ... den Kaufmann Poluektow ... Ich hab' so manchmal von Poluektow mit dir gesprochen, erinnerst du dich? Eben darum tat ich's, weil ich ihn erwürgt hatte ... Und sein Geld steckt in unserem Ladengeschäft ... bei Gott!«

Ilja sah sich im Zimmer um. An den Wänden standen schweigend erschrockene, jämmerliche Menschen umher. Er hatte für sie nur Verachtung, ärgerte sich, daß er vor ihnen von dem Morde gesprochen hatte, und rief:

»Ihr denkt vielleicht, daß ich bereue, daß ich hier vor euch Buße tun will? Da könnt ihr lange warten! Ich mache mich lustig über euch – versteht ihr?«

Aus seiner Ecke sprang jetzt Kirik hervor, ganz zerzaust und rot im Gesichte. Er fuchtelte mit einem Revolver in der Luft, rollte wild die Augen und schrie:

»Jetzt sollst du mir nicht entgehen! Aha–a! Du hast also gemordet!?«

Die Damen begannen zu schreien. Trawkin, der immer noch auf der Chaiselongue saß, zappelte mit den Beinen und ächzte:

»Herrschaften! Ich halt's nicht länger aus! Lassen Sie mich gehen ... Das ist hier eine Familienangelegenheit ...«

Doch Awtonomow hörte nicht auf ihn. Er hüpfte vor Ilja auf und ab, zielte nach ihm und schrie:

»In die Zwangsarbeit! Wart', dir wollen wir's anstreichen! ...«

»Hör' mal – dein Pistolchen ist doch nicht etwa geladen?« fragte Ilja ihn gleichgültig, während er ihn mit seinen müden Augen ansah. »Was tollst du denn herum? Ich lauf' doch nicht weg! ... Wüßte nicht, wohin ich gehen sollte ... Mit Zwangsarbeit drohst du mir? Meinetwegen – mir ist auch Zwangsarbeit recht ...«

»Anton! Anton!« erscholl die laute Stimme der Trawkina – »so komm doch schon!«

»Ich kann ja nicht, Mütterchen ...«

Sie nahm seinen Arm, und nun schritten sie beide, eng aneinander geschmiegt, die Köpfe auf die Brust gesenkt, an Ilja vorüber. Im anstoßenden Zimmer saß Tatjana Wlaßjewna, ganz in Tränen aufgelöst, wimmernd und schluchzend.

In Lunews Brust wuchs und wuchs die dunkle, kalte Leere, und wie der bleiche Mond am herbstlichen Himmel, stand vor seiner Seele die Frage: »Was nun weiter? Mein ganzes Leben ist vernichtet!«

Awtonomow stand vor ihm und schrie triumphierend:

»Aha! Jetzt möchtest du uns weich machen! Es wird dir nicht gelingen! ...«

»Keineswegs will ich das ... Hol' euch alle der Teufel! Auch bedauern kann ich euch nicht, lieber will ich einen Hund bedauern. Wenn ich so könnte, würde ich euch allen miteinander den Hals umdrehen ... Geh fort, Kirik – dein Anblick ist mir zuwider ...«

Die Gäste schlichen ganz leise aus dem Zimmer, die ängstlichen Blicke auf Ilja richtend. Er sah nur ein paar graue Flecke vorüberhuschen, die in ihm keinen Gedanken, kein Gefühl anregten. Die gähnende Leere in seiner Seele wuchs und verschlang alles. Er schwieg ein Weilchen, hörte sich Awtonomows Geschrei an und schlug ihm plötzlich im Scherz vor:

»Komm, Kirik, – wir wollen miteinander ringen!«

»Eine Kugel jag' ich dir in den Schädel!« brüllte Kirik.

»Hast ja gar keine Kugel drin!« versetzte Lunew spöttisch und fügte zuversichtlich hinzu: »Ich würde dich beim Ringen schön in den Sand legen!«

Dann wandte er sich den noch anwesenden Gästen zu und sagte gleichmütig:

»Wenn ich doch ein Mittel wüßte, um euch alle auszutilgen! ... Ich weiß leider keins!«

Darauf sprach er kein Wort mehr, sondern saß da, unbeweglich, nichts mehr erwartend ...

Endlich kamen zwei Polizisten mit dem Stadtteilaufseher. Gleich hinter ihnen erschien Tatjana Wlaßjewna – sie wies mit der Hand nach Ilja und sprach in atemloser Hast:

»Er hat uns gestanden ... daß er den Geldwechsler Poluektow ermordet hat ... damals, erinnern Sie sich?«

»Können Sie das bestätigen?« fragte barsch der Stadtteilaufseher.

»Meinetwegen! Ich kann's ja bestätigen ...« antwortete Lunew in ruhigem, müdem Tone.

Der Stadtteilaufseher setzte sich an den Tisch und begann irgend etwas zu schreiben, die beiden Polizisten pflanzten sich links und rechts von Lunew auf; er schaute sie an, stieß einen schweren Seufzer aus und ließ den Kopf auf die Brust sinken.

Es war still im Zimmer, man hörte die Feder auf dem Papier kratzen; draußen, auf der Straße, richtete die Nacht ihre undurchdringlich schwarzen Mauern auf. An dem einen Fenster stand Kirik und schaute in das Dunkel hinaus. Plötzlich warf er den Revolver in eine Zimmerecke und sprach zu dem Stadtteilaufseher:

»Ssaweljew! Gib ihm eins ins Genick und laß ihn laufen – er ist verrückt...«

Der Beamte sah auf Kirik, dachte nach und antwortete dann:

»Es geht nicht mehr ... die Anzeige liegt vor! ...«

»Ä–äh!« seufzte Awtonomow.

»Bist 'n guter Kerl, Kirik Nikodimytsch!« sagte Ilja geringschätzig lächelnd. »Es gibt solche Hunde – man schlägt sie, und sie lecken einem noch die Hände. Aber vielleicht bist du gar nicht gut? ... Vielleicht fürchtest du nur, daß ich auf dem Gericht von deiner Frau reden könnte? Hab' keine Angst ... das wird nicht geschehen! Ich schäme mich schon, an sie nur zu denken, viel weniger von ihr zu reden ...«

Awtonomow ging rasch ins andre Zimmer und setzte sich dort geräuschvoll auf einen Stuhl.

»Na, wie ist's –« begann der Polizeibeamte, zu Ilja gewandt – »können Sie das Schriftstück hier unterschreiben?«

»Das kann ich ...«

Er nahm die Feder, und ohne das Protokoll zu lesen, schrieb er mit großen Buchstaben hin: »Ilja Lunew.«

Als er den Kopf emporhob, bemerkte er, daß der Beamte ihn mit Erstaunen ansah. Ein paar Sekunden blickten sie einander schweigend an – der eine neugierig und mit irgend etwas zufrieden, der andre – gleichgültig und ruhig.

»Das Gewissen hat wohl nicht schweigen wollen?« fragte der Stadtteilaufseher halblaut.

»Es gibt kein Gewissen«, antwortete Ilja fest.

Sie schwiegen beide. Dann ließ sich aus dem anstoßenden Zimmer Kiriks Stimme vernehmen:

»Er ist verrückt geworden ...«

»Wir wollen gehen«, sagte der Beamte achselzuckend. »Die Hände will ich Ihnen nicht fesseln ... aber machen Sie keinen Fluchtversuch!«

»Wohin sollt' ich denn fliehen?« versetzte Ilja kurz.

»Schwören Sie, daß Sie nicht fliehen ... sagen Sie: bei Gott!«

Lunew schaute in das runzlige, von Mitgefühl bewegte Gesicht des Stadtteilaufsehers und sagte finster:

»Ich glaube nicht an Gott ...«

Der Aufseher zuckte die Achseln.

»Vorwärts, Kinder!« sprach er zu den Polizisten.

Als das Dunkel und die Feuchtigkeit der Nacht Lunew umfingen, seufzte er schwer, blieb stehen und schaute zum Himmel empor, der ganz schwarz war und sich tief zur Erde herabsenkte, so daß er der verräucherten Decke eines dumpfen, engen Zimmers glich.

»Gehen Sie weiter!« sagte einer der Polizisten.

Und er ging ... Die Häuser ragten gleich Felsen zu beiden Seiten der Straße empor, der nasse Kot gluckerte unter den Füßen, und der Weg zog sich irgendwohin bergab, wo das Dunkel noch dichter war ... Ilja stolperte über einen Stein und wäre beinahe gefallen. In der trostlosen Leere seiner Seele regte sich wieder der zudringliche Gedanke: