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Buch

Hamburg 1835. Mit dem Export von Eis sind Katya und die anderen Eisbarone zu Vermögen gelangt. Das Geschäft floriert, doch in Katyas Ehe kriselt es, und ihr Kinderwunsch ist unerfüllt geblieben. Im Hamburger Gängeviertel trifft sie eines Tages auf die kleine Betje, die sie sofort in ihren Bann zieht – nicht nur wegen ihres brandroten Haars. Das Mädchen ist erstaunlich geschäftstüchtig und stellt sich beim Betteln und Feilschen deutlich geschickter an als die anderen Kinder. Katya beschließt, Betje bei sich aufzunehmen und ihr vielleicht sogar eines Tages das Geschäft zu überlassen. Doch Habgier und Eifersucht drohen alles zu zerstören …

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Nicole C. Vosseler

Die Eisbaronin

Durch Sturm und Feuer

Roman

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Originalausgabe Dezember 2020

Copyright © 2020 by Nicole C. Vosseler

Copyright © dieser Ausgabe 2020

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Buch wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: akg-images/historic-maps/

»Hamburg Kleine Alster 1840«, © Ildiko Neer/Trevillion Images

Redaktion: Ilse Wagner

LS · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-24163-6

V001

www.goldmann-verlag.de

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Wir irren uns, wenn wir bei Schnee und Eis an Einsamkeit denken.

Ein Staubkorn. Ein Schmutzpartikel. Irgendeine winzige Unvollkommenheit ist nötig, um die Saat für einen neuen Eiskristall zu legen.

Wie magnetisch ziehen Eiskristalle einander an. In Turbulenzen mit solcher Wucht, dass Funken fliegen; Blitze entzünden sich, und Donner kracht.

Noch unwiderstehlicher ist das Verlangen, einander in der Stille des Himmels zu umwerben, bis eine Schneeflocke geboren wird.

Der Weg durch die Wolken prägt das Muster einer jeden Schneeflocke. Keine zwei Schneesterne nehmen je denselben Weg, deshalb sind sie alle einzigartig, komplexe Solitäre.

Mit ausgestreckten Armen taumeln und trudeln sie aufeinander zu, fangen sich auf und finden Halt im freien Fall.

I Treibeis

Ostfriesland, 1835

Treibeis , deutsch; drift ice , englisch. Vom Wind oder der Strömung über das Meer getriebene Eisschollen, teils scharfkantig und schroff, teils morsch und im Verfall begriffen. Drängt es sich in Massen zusammen, spricht man von Packeis: zerbrochene Trümmer, die festgefroren sind und Seewege blockieren.

Beim Zusammenprall kann Treibeis gewaltige Zerstörungskräfte entfesseln. Und immer besteht die Gefahr, darin zu stranden und von Eisschollen zermalmt zu werden.

1

»Krüppeltrine!«

Schadenfroh stieg der Singsang aus dem Gras auf, der Spottruf einer Lachmöwe.

Betje musste sich nicht umdrehen. Es war immer Clas, der Sohn des Müllers, der den Anfang machte. Und wie immer eiferten Eike und Gunne ihrem Leithammel sofort nach.

»Flögellamme Henn!«

»Kruvelkrumm wie ’ne Wurst!«

Das Päckchen Salz an sich gepresst, stapfte Betje auf bloßen Füßen entschlossen voran; in der Schürzentasche klimperten neben dem Strang Zwirn die Viertelstüver des Wechselgelds.

Sie hatte darum gebettelt, später zum Krämer gehen zu müssen. Nicht über Mittag, wenn die anderen Kinder des Kirchspiels in den Marschwiesen herumlungerten, bis die Glocke sie wieder ins Schulhaus rief. Die Tante war hart geblieben, auch wenn sie das Salz sicher erst für das Abendbrot brauchte und früher auch nicht dazukommen würde, abgerissene Knöpfe anzunähen. Gleich sollte Betje gehen, und ja nicht trödeln.

För nix anners to bruken , hatte die verkniffene Miene der Tante gesagt.

In die Jungenstimmen mischten sich angeekelte Rufe.

»Mall wie de Nacht!«

»Ik mutt kotzen!«

Helles Kichern sprudelte auf, und Betje warf nun doch einen Blick hinter sich.

Zwei Mädchen hatten sich zu den Jungen gesellt, die Gesichter frisch wie Sahne, die Zöpfe glänzend wie Sommerbutter. Mit dem Hof und fünf eigenen Kindern hatte die Tante keine Zeit, Betjes störrisches Haar zu flechten; unterhalb der Ohren abgehackt, umloderte es ihren Kopf wie ein Osterfeuer.

Kruse Haar, kruse Sinn, dar sitt de Düvel midden in.

Wäre sie mehr wie Swantje oder Inken, würden die Leute sicher eher über ihren lahmen Arm und die verwachsene Schulter hinwegsehen. Dann wollte vielleicht auch ein Mädchen ihre Freundin sein, mit ihr in den Wiesen zusammenglucken und lachen und Ketten aus Gänseblümchen flechten, und Clas und die anderen Jungen wären nicht immer so gemein zu ihr.

»Feuerkröt!«

»Kacksprenkel!«

Betjes sommersprossige Wangen glühten.

»Dösbaddels!«, schrie sie über die Wiese. »Aaskerls!«

Obwohl es sinnlos war, sie zog doch immer den Kürzeren. Dem Recht der Starken und Gesunden hatte sie nichts entgegenzusetzen.

»Grote Mund, grote Kunt!«, bellte Clas zurück.

Betje wusste nicht genau, was das bedeutete. Es musste etwas Schmutziges sein, das schloss sie aus dem hämischen Aufheulen von Eike und Gunne, dem Quieken der beiden Mädchen.

Vor Scham lief sie bis unter die Haarwurzeln rot an.

Clas warf etwas nach ihr, einen Stein oder eine alte Kartoffel, und verfehlte sie knapp. Eike zielte besser und traf sie hart an der Schulter. Das Päckchen Salz unter den rechten Arm geklemmt, griff Betje sich die nutzlose Linke und presste sie an sich. Ihr Kniff, damit der Arm nicht herumschlenkerte und ihr den Schwung nahm. Dann spurtete sie los.

»Bangbüx!«

»Düvelsbrut!«

Hinter ihr rauschte das Gras, trommelten schnelle Schritte über den Boden. Die Hatz war eröffnet.

Verbissen trieb Betje sich weiter an, um jedes Fitzelchen ihres Vorsprungs auszunutzen. Mit etwas Glück würde sie dieses Mal Fausthieben und Tritten entkommen.

Das nächste Geschoss krachte gegen ihren Rücken und prügelte ihr den Atem aus dem Leib. Ihr Arm, dieser verwünschte Arm, rutschte aus der Umklammerung, schlackerte hin und her. Der Boden unter ihr kippte, und Betje stürzte der Länge nach hin. Der Aufprall war ein harter Schlag, der ihr durch das Rückgrat jagte, bis in den Schädel hinein.