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Bellman nickte und rieb sich das Kinn. »Ich wollte eigentlich nur hören, dass er sich anständig benimmt. Dass er … sich an die Spielregeln hält.«

»Soweit ich weiß, ja.« Der Fahrstuhl hielt an. »Von welchen Spielregeln reden wir eigentlich?«

»Es wäre mir lieb, wenn du ihn im Auge behalten würdest, Bratt. Truls Berntsen hat es nicht leicht gehabt.«

»Denkst du an die Verletzungen, die er durch die Explosion davongetragen hat?«

»Ich denke an … sein Leben, Bratt. Er ist etwas … wie soll ich das sagen?«

»Mitgenommen?«

Bellman lachte kurz und nickte in Richtung der offenen Fahrstuhltür. »Deine Etage, Bratt.«

Bellman betrachtete Bratts durchtrainierten Po, als sie sich über den Flur entfernte, und ließ seiner Phantasie freien Lauf, bis die Fahrstuhltüren sich wieder schlossen. Dann konzentrierte er sich wieder auf das Problem. Das eigentlich weniger ein Problem war als eine neue Möglichkeit. Trotzdem stand er vor einem Dilemma. Er hatte unter Wahrung höchster Diskretion eine Anfrage aus dem Büro des Ministerpräsidenten erhalten. Es war zu erwarten, dass es in der Regierung einige Veränderungen geben würde, unter anderem wurde vermutlich der Posten des Justizministers vakant. Die Anfrage bezog sich nun darauf, was Bellman – natürlich rein hypothetisch – antworten würde, sollte ihm dieses Amt angeboten werden. Anfangs war er einfach nur verblüfft gewesen, doch bei näherer Betrachtung war ihm klargeworden, dass die auf ihn gefallene Wahl vollkommen logisch war. Er hatte als Polizeipräsident nicht nur substantiell dazu beigetragen, dass der international als Polizeischlächter bekannt gewordene Täter dingfest gemacht werden konnte, sondern in der Hitze des Kampfes auch noch ein Auge eingebüßt, wofür man ihm über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung zollte. Ein Polizeipräsident mit Juraexamen, der sich gut ausdrücken konnte, erst knapp über vierzig war und die Hauptstadt erfolgreich gegen Mord, Drogen und Kriminalität verteidigte, war sicher auch für höhere Aufgaben geeignet. Und dass er gut aussah, war kein Handicap, man musste ja auch an die weiblichen Wähler denken. Also hatte er – rein hypothetisch – mit ja geantwortet.

Bellman trat in der obersten Etage aus dem Fahrstuhl und ging an der Reihe der Porträts der früheren Polizeipräsidenten vorbei.

Bis die Entscheidung definitiv war, durfte sein Lack keine Kratzer bekommen. Am meisten fürchtete er, dass Truls irgendeinen Mist baute, der auf ihn zurückfiel. Bellman dachte mit Schaudern an die möglichen Schlagzeilen: »Polizeipräsident hielt seine Hand schützend über korrupten Polizisten und Freund«.

Truls war in sein Büro spaziert, hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und gesagt, dass er sich – falls er jemals gefeuert werden sollte – damit trösten würde, einen ebenso schmutzigen Polizeipräsidenten mit in die Tiefe zu reißen. Es war Bellman deshalb ausgesprochen leichtgefallen, Truls’ Wunsch nachzukommen und ihm einen Posten im Dezernat für Gewaltverbrechen zuzuschustern. Insbesondere da dieser – wie Bratt ihm gerade bestätigt hatte – dort nicht so viel Verantwortung innehatte, dass er die Ermittlungen in einem konkreten Fall wirklich sabotieren konnte.

»Ihre hübsche Frau wartet drinnen«, sagte Lena, als Mikael Bellman in sein Vorzimmer kam. Lena war über sechzig, und als Bellman vor vier Jahren seine Stelle angetreten hatte, hatte sie als Erstes gesagt, dass sie auf keinen Fall als Assistentin bezeichnet werden wollte. Moderne Stellenbeschreibung hin oder her, sie sei eine Vorzimmerdame und wolle das auch bleiben.

Ulla saß auf dem Sofa der Sitzgruppe am Fenster. Lena hatte recht, seine Frau war hübsch. Sie war zierlich und noch immer attraktiv, daran hatten auch die drei Schwangerschaften nichts geändert. Noch wichtiger war aber, dass sie sich hinter ihn gestellt und erkannt hatte, dass sie ihn bei seiner Karriere unterstützen und ihm Ellbogenfreiheit geben musste. Und dass der eine oder andere Fehltritt im Privatleben nur menschlich war, wenn man dem Druck einer derart anspruchsvollen Stelle standhalten wollte.

Sie war so unverdorben, fast naiv, dass er alles in ihrem Gesicht lesen konnte. Und jetzt las er Verzweiflung. Das Erste, was Bellman dachte, war, dass einem der Kinder etwas passiert war. Er wollte schon fragen, aber dann bemerkte er den Anflug von Verbitterung in ihrer Miene und erkannte, dass sie etwas herausgefunden haben musste. Schon wieder. Verdammt! »Du siehst so ernst aus, Liebes«, sagte er ruhig und ging, die Uniform aufknöpfend, zum Kleiderschrank. »Ist etwas mit den Kindern?«

Sie schüttelte den Kopf. Er atmete erleichtert auf. »Nicht dass ich mich nicht freuen würde, dich zu sehen, aber ich mache mir immer gleich Sorgen, wenn du unangemeldet hier auftauchst.« Er hängte die Jacke in den Schrank und setzte sich ihr gegenüber auf den Sessel. »Und?«

»Du hast sie wiedergesehen«, sagte Ulla. Er hörte, dass sie sich die Worte genau zurechtgelegt und sich vorgenommen hatte, nicht zu weinen. Trotzdem standen ihr bereits wieder die Tränen in den blauen Augen.

Er schüttelte den Kopf.

»Du brauchst es gar nicht abzustreiten«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich habe dein Telefon überprüft. Du hast sie allein in dieser Woche dreimal angerufen, Mikael. Du hast versprochen …«

»Ulla.« Er beugte sich vor und wollte ihre Hand nehmen, aber sie zog sie zurück. »Ich habe mit ihr gesprochen, weil ich ihren Rat brauchte. Isabelle Skøyen arbeitet inzwischen als Kommunikationsberaterin in einem Unternehmen, das auf Lobbying und Politik spezialisiert ist. Sie kennt die Irrwege der Macht, sie hat sich selbst schon darin verlaufen. Und sie kennt mich.«

»Kennt?« Ullas Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.

»Wenn ich – wenn wir – diese Herausforderung annehmen wollen, muss ich jeden Vorteil, der sich mir bietet, nutzen, um am Ende wirklich eine Kopflänge vorne zu liegen. Diesen Job wollen noch andere Leute. Regierung. Ulla. Es gibt nichts Größeres.«

»Nicht mal die Familie?«, sagte sie.

»Du weißt ganz genau, dass ich unsere Familie niemals im Stich lassen würde …«

»Niemals im Stich lassen?«, rief sie mit einem Schluchzen. »Das hast du doch bereits …«

»… und ich hoffe, dass du das auch niemals tun wirst, Ulla. Nicht aus grundloser Eifersucht auf eine Frau, mit der ich nur aus Karrieregründen telefoniert habe.«

»Die Frau war doch nur Kommunalpolitikerin, und das noch nicht mal sonderlich lang. Was kann die dir schon sagen?«

»Unter anderem, was man nicht tun darf, wenn man als Politiker überleben will. Diese Erfahrung hat das Unternehmen mit eingekauft, als sie sich für sie entschieden haben. Unter anderem darf man nie gegen seine Ideale verstoßen. Die Pflichten verletzen und sich aus der Verantwortung stehlen. Und macht man Fehler, muss man um Vergebung bitten und versuchen, es beim nächsten Mal richtig zu machen. Man darf Fehler machen, aber niemanden betrügen, Ulla. Und das will ich versuchen.« Er griff wieder nach ihrer Hand, und dieses Mal schaffte sie es nicht, sie wegzuziehen. »Ich weiß, dass ich nach all dem, was vorgefallen ist, nicht zu viel verlangen darf, aber wenn ich das jetzt hinbekommen will, brauche ich dein Vertrauen und deine Unterstützung. Du musst mir vertrauen.«

»Wie soll das gehen?«

»Komm.« Er stand auf, ohne ihre Hand loszulassen, und zog sie ans Fenster. Stellte sich hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. Da das Präsidium auf einer kleinen Anhöhe lag, sah sie halb Oslo in der Sonne vor sich. »Willst du dabei sein und etwas bewegen, Ulla? Willst du mir helfen, die Zukunft unserer Kinder ein bisschen sicherer zu machen? Der Kinder unserer Nachbarn. Unserer Stadt. Unseres Landes?«

Seine Worte zeigten Wirkung. Mein Gott, sie gingen auch an ihm nicht spurlos vorbei. Er war geradezu gerührt. Die Worte stammten aus ein paar Notizen, die er sich mit Blick auf die Medien gemacht hatte. Wenn es mit dem Posten des Justizministers offiziell würde, hätte er nicht viel Zeit, bis Fernsehen, Radio und Zeitungen ein Statement von ihm wollten.