Выбрать главу

»Wo genau?«

»Hinter dem Holzstapel, dort, wo der Weg auf die Tannenallee stößt.«

»Können Sie den Mann beschreiben?«

Michalke zuckte mit den Achseln. »Groß, blond, um die 40, gut gekleidet. So leid es mir tut, Herr Kommissar, viel Zeit, mir sein Gesicht einzuprägen, hab ich nicht gehabt.«

»Und wieso?«

»Kaum war der Kerl verschwunden, ist die Chose erst richtig losgegangen. Und wissen Sie auch, warum? Da kam nämlich dieser feine Pinkel auf mich zu. Quer über den Rasen. Hätte mich beinahe über den Haufen gerannt, der Fatzke.«

Kein Wunder bei der Größe!, dachte Krokowski im Stillen, erschrocken, wie sehr er sich Sydow angepasst hatte. »Mit anderen Worten: Es handelte sich um einen vornehm gekleideten Mann.«

»Kann man so sagen – ja.«

»Alter?«

»Was weeß … was weiß ich, Mitte 50, würde ich sagen.«

»Sie behaupten, der Unbekannte habe Sie beinahe über den Haufen gerannt«, fuhr Krokowski fort. »Aus welcher Richtung ist er denn gekommen?«

»Von da drüben«, antwortete Michalke und deutete auf die vier Säulen, hinter denen sich der Eingang des Grabmals befand. »Aus dem Mausoleum.«

Krokowski folgte seinem Blick. Der Leichnam befand sich immer noch an Ort und Stelle, verhüllt durch eine Plane, unter der sich die Umrisse der Getöteten abzeichneten. Unmittelbar daneben lagerten die Gerätschaften der Spurensicherung, die dabei war, das nahe gelegene Waldstück zu durchkämmen. Auf Peters, den Gerichtsmediziner, würde Krokowski dagegen noch eine Weile warten müssen. Wie so häufig hatte er alle Hände voll zu tun, unter anderem als Dozent an der FU.[29]

Anwesend, oder vielmehr am Boden zerstört, war indessen eine korpulente und auf jung getrimmte Blondine Ende 40, die beinahe unentwegt in ihr Taschentuch schniefte. Mit ihr, der Kassiererin, würde sich Krokowski als Nächstes zu beschäftigen haben. Ob als Trostspender oder Ermittler, würde sich zeigen.

Aufgeschreckt durch ein Räuspern, mit dem Michalke auf sich aufmerksam machte, nahm Krokowski den Gesprächsfaden wieder auf. »Sind Sie in der Lage, ihn näher zu beschreiben?«

»Den Fatzke? Na klar!«, brüstete sich Rumpelstilzchen und kaute hingebungsvoll an seinem Daumennagel herum. »Typen wie den hab ick nämlich gefressen. Harmlose Leute anrempeln, ist ja wohl das Letzte!«

Krokowski, dessen Geduld zur Neige ging, verkniff sich den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, klappte den Schirm zu und begann zu Füßen der Freitreppe hin und her zu wandern.

»Sehe ich das richtig, Herr Michalke«, kehrte er geraume Zeit später zum Thema zurück, »Sie sind sich sicher, im Abstand von … stimmt – das hätte ich beinahe vergessen: Wie viel Zeit ist zwischen den Schüssen eigentlich vergangen? Und wenn wir gerade dabei sind, wie viele sind es insgesamt gewesen?«

»Zwei. Das hab ich Ihnen doch schon …«

»Sicher?«

Der Schlossgärtner lief vor Wut rot an. »Sehe ich vielleicht so aus, als ob ich zu blöd wäre, auf drei …?«

»Also zwei!«, fuhr Krokowski dazwischen, da er es nicht über sich brachte, die einzig mögliche Antwort zu geben. »Kurz nacheinander, richtig?«

Der Schlossgärtner zögerte. »So genau kann ich das nicht sagen, Herr Kommissar.«

Krokowski lächelte süffisant. »Noch kurz ein paar Worte zu dem Mann, der Sie angerempelt und anschließend das Weite gesucht hat. Wie hat er eigentlich ausgesehen?«

»Wie ein Fatzke eben so aussieht.«

»Nur keine Hemmungen, Herr Michalke, ich brenne darauf, dazuzulernen.«

»Lackschuhe, Anzug, Seidenschal, Panamahut – wenn das normal ist, weiß ich auch nicht mehr.«

»Sonst noch was?«

Michalke lachte verächtlich auf. »Wollen Sie das wirklich wissen, Herr Kommissar?«

»Ich kann’s kaum erwarten.«

»Er ist andersrum.«

Krokowski fehlten die Worte.

»Jede Wette!«, versetzte Michalke, verschränkte die Arme und schnitt eine Grimasse, die Unklarheiten bezüglich seiner Meinung erst gar nicht aufkommen ließ. »So einen erkenne ich auf 100 Meter.«

»Sie sind wirklich zu beneiden, Herr Michalke«, flüchtete sich Krokowski in Ironie. »Um Ihre Menschenkenntnis, meine ich.«

Die Bemerkung verhallte ungehört. »Wenn das keine Tunte war, will ich Charlie Chaplin …«

»Wenn du dich da mal nicht irrst, Egon.«

Krokowski stutzte und gesellte sich zu der Kassiererin, die ihren Platz unter dem Vordach aufgegeben und sich ihm bis auf wenige Meter genähert hatte. »Wie darf ich das verstehen, gnädige Frau?«

Die Kassiererin senkte den Kopf und schwieg.

»Soll das heißen, dass Sie den Tatzeugen kennen?«

»Kennen ist vielleicht das falsche Wort, Herr Kommissar.«

»Augenblick, gnädige Frau. Ich bin sofort bei Ihnen.« Froh, ihn loszuwerden, wandte sich Krokowski an den Gnom und verkündete, er habe keine weiteren Fragen mehr. Danach wandte er sich aufs Neue der Kassiererin zu. »Tut mir leid, wenn ich Sie von der Arbeit abhalte, Frau …«

»Krüger. Heidemarie Krüger.«

»Gestatten – Krokowski, Kripo Berlin.« Der Kriminalkommissar räusperte sich. »Wie gesagt: Tut mir leid, Ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten, Frau Krüger. Aber ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Meinetwegen.«

»Ich habe Sie herbitten lassen, um mich nach verdächtigen Besuchern zu erkundigen.« Krokowski trat von einem Bein aufs andere, setzte die Brille ab und rieb sie am Ärmel seines Jacketts. »Frau Krüger: Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen, vor allem, was die Zeit zwischen neun und zwölf Uhr betrifft? Apropos – wie viele Eintrittskarten haben Sie denn verkauft?«

»Wenn’s hoch kommt, ein paar Dutzend.« Die Schlossbedienstete begann zu frieren, und das trotz des selbst gestrickten Pullis, den sie unter ihrer Wolljacke trug. Und klagte: »Liegt wahrscheinlich am Wetter.«

Krokowski schien die Bemerkung überhört zu haben. »Darf man fragen, woher Sie den Tatzeugen kennen?«

»Was heißt hier ›kennen‹, Herr Kommissar«, druckste die Kassiererin herum, zuckte die Achseln und wusste vor lauter Verlegenheit nicht, wo sie hinschauen sollte. »Wir sind ein paar Mal ausgegangen, sonst lief da nicht viel.«

Als Junggeselle mit einem überschaubaren Kontingent an amourösen Erfahrungen hätte Krokowski liebend gern erfahren, was unter ›lief da nicht viel‹ zu verstehen war. Wie nicht anders zu erwarten, behielt seine gute Kinderstube die Oberhand und er wandte sich wieder dem Gesprächsthema zu. »Das heißt, Sie können bezeugen, dass sich Ihr Bekannter zum fraglichen Zeitpunkt im Schlossbereich aufgehalten beziehungsweise eine Eintrittskarte gelöst hat.«

»Nicht nötig.«

»Wie meinen?«

»Er ist Reporter. Freier Eintritt für die Presse, Anweisung von j.w.o.[30]«

»Auch in der Freizeit?«

»Er war nicht zum Vergnügen hier«, betonte Heidemarie Krüger, ein wehmütiges Lächeln im Gesicht, aus dem die mit reichlich Rouge bedachten Wangen besonders hervorstachen. »Leider.«

»Sondern?«

»Das wollte er mir nicht sagen. Auf einmal hatte er es dann furchtbar eilig. Ein Lächeln, und weg war er!«

»Wann genau war das?«

»Um halb zwölf.«

»Hat er erwähnt, mit wem er sich treffen wollte?«

»Wo denken Sie hin, Herr Kommissar! Theo ist ein diskreter Mensch. Und überaus zuvorkommend.« Heidemarie Krüger geriet ins Schwärmen. »Jemanden wie ihn trifft man nicht alle Tage.«

Krokowski tat so, als sei er auf das Polieren seiner Brillengläser fixiert. Dann aber, auf ein Aufseufzen der Kassiererin hin, blickte er wieder auf und sagte: »Ihre Reminiszenzen in Ehren, Frau Krüger – aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir seinen Namen nennen könnten.«

»Ich kann es einfach nicht glauben, Herr Kommissar. Theo ist doch so ein herzensguter …«