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»Lass mich raten: Der BND hat ihr Zimmertelefon angezapft.«

»Du sagst es. Der Herr Geschäftsführer war auch klug genug, dies zuzugeben. Tja, so ist das eben: Wer hat schon Lust, sich mit dem BND anzulegen!«

»Ich.«

»Falsch. Wir beide.«

»Tust du mir einen Gefallen, Kroko?«

»Jeden.«

Ein flüchtiges Lächeln huschte über Sydows Gesicht. Auf Krokowski hatte er sich immer verlassen können und er hoffte, dass dies so bleiben würde. »Bist eben ein echter Freund.«

»Aber, aber, Tom! Wir wollen doch jetzt nicht sentimental werden.«

»Lieber nicht, das Wasser steht mir auch so bis zum Hals.« Vor Beobachtern auf der Hut, warf Sydow einen Blick in die Runde. Erst dann, vor Störungen sicher, zog er einen Umschlag hervor, lächelte und ließ ihn in die Tasche von Krokowskis Jackett gleiten. »Ein Foto, geschossen mit Sofortbildkamera.«

»Das Staatsgeheimnis Nummer eins?«

Sydow nickte. »Würdest du das bitte für mich aufbewahren? Natürlich nicht in deinen vier Wänden, sondern …«

»Für den Fall, dass du mich immer noch nicht kennst: Ich bin kein Anfänger mehr.«

»Das wollte ich damit nicht sagen, Kroko.« Sydow scharrte mit dem Fuß, und während sein Blick im Raum umherirrte, loderte Zorn in ihm empor. All jene, die so taten, als sei nichts gewesen, als habe es das Dritte Reich nie gegeben – er konnte sie einfach nicht mehr sehen. Konnte es nicht ertragen, wenn sie sich mit Lachs, Gourmetsalat, Havelzander, Garnelen, Parmaschinken, Rinderfilet, Crème Brulée und Eierkuchen vollstopften, bis sie platzten. Konnte es nicht mit anhören, wie sie ihren Small Talk pflegten, Zigarren rauchten und einander hochleben ließen, weit weg von der Tagespolitik und Lichtjahre entfernt von den Fragen, mit denen er sich das Gehirn zermarterte.

Er konnte es nicht mit ansehen, einfach nicht mit ansehen. »Zum Wohlsein, die Herren!« Das Sektglas, welches ihm ein Ober offeriert hatte, immer noch in der Hand, prostete er in die Runde und trank es auf einen Zug leer. Dann wandte er sich wieder seinem Kollegen zu. »Egal, was noch passiert, Kroko – danke für alles.«

»Du denkst doch nicht etwa daran, die Flinte ins Korn zu werfen?«

»Zuerst muss ich noch etwas erledigen. Danach sehen wir weiter.« Sydow ließ sich nachschenken und stürzte den Inhalt hinunter. »Besser, du bist nicht im Bilde. Für den Fall, dass etwas schiefgeht, meine ich.«

Krokowskis Blick wurde von Sorge überschattet, und er versuchte mit aller Macht, Zuversicht auszustrahlen. »Was soll denn schon passieren!«, redete er Sydow gut zu. »Ich nehme an, du weißt, was du tust.«

»So ähnlich hat sich Lea auch ausgedrückt!«, pflichtete Sydow seinem Partner bei und hielt Ausschau nach dem Ober, um sich erneut nachgießen zu lassen. »Aber ich fürchte, da muss ich einfach …«

»Da musst du durch, Tom. Das stimmt. Beziehungsweise wir.«

Es war Tannert, der ihn unvermittelt unterbrach, der jüngere der beiden Kollegen, die er zum Schutz von Rosenzweig angefordert hatte. An Deutlichkeit ließ das, worüber er ihm berichtete, nichts zu wünschen übrig, obwohl Sydow zunächst glaubte, er habe sich verhört. »Abgehauen? Was soll das heißen?«, fuhr er Tannert an, kurz davor, das Glas an die Wand zu schmettern. »Willst du mich veräppeln?«

»Nichts läge mir ferner«, antwortete Tannert, blutjung und gerade einmal drei Jahre im Dienst, der sich bereit erklärt hatte, die Hiobsbotschaft zu überbringen. »Das Dumme daran: Es ist unsere Schuld.«

Tannert hatte recht. Und auch wieder nicht. Es war seine, ganz allein seine Schuld. Hätte er Davids Absichten durchschaut, weiter Wache geschoben und sich nicht an die Pforte verdrückt, um auf das Eintreffen der Kollegen zu warten, wäre das alles nicht passiert. Es war töricht gewesen, auf die OP-Schwester zu vertrauen, und jetzt zahlte er den Preis dafür. »Irgendwelche Hinweise, wo er steckt?«

Tannert verneinte. »In seiner Wohnung jedenfalls nicht. Dort haben wir nachgesehen.« Der Kriminalinspektor in spe schüttelte den Kopf. »Sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.«

»Donnerwetter, die lassen nichts aus.«

»Wie meinst du das?«

»Vergiss es, Horst, war nur so dahergeredet.« Sydow und Krokowski sahen sich kurz an. »Sonst noch was?«

»Das Übliche«, antwortete Tannert, sichtlich verwirrt und im Begriff, sich am kalten Büfett zu stärken. »Fahrerflucht mit Todesfolge. So ein Funkwagen ist doch wirklich etwas Feines!«

»Hat das Opfer auch einen Namen?«, fuhr Sydow dazwischen, darauf hoffend, dass sich seine Ahnung nicht bestätigen würde.

Er hoffte vergebens. »Heidemarie Krüger.« Ein Lachsbrötchen in der Hand, schien Tannert nicht gewillt, sich den Appetit verderben zu lassen. »Ach so, wenn wir gerade dabei sind: Im Schlosspark hat es einen Unfall gegeben. Es leuchtet mir zwar nicht ein, wie es sein kann, dass ein Dachziegel einfach vom Himmel purzelt, aber …«

»… das nützt dem Schlossgärtner jetzt auch nichts mehr, hab ich recht?«

Sprachlos vor Überraschung, vergaß Tannert sein Brötchen und starrte Sydow mit offenem Mund an.

Bevor er die Sprache wiederfand, bahnte sich die Hauptperson des Abends einen Weg durch den Pulk der angeregt plaudernden Gäste und hielt auf die drei Beamten zu. Kriminalrat Kurt Augustin, Leiter der Kriminalinspektion I, war in Festtagslaune, und das merkte man ihm auch an. Lea, die sich in seinem Schlepptau befand, sah hingegen äußerst angespannt aus. »Hier stecken Sie also, Sydow!«, rief der zukünftige Pensionär schon von Weitem aus. »Ich habe überall nach Ihnen gesucht!«

»Nach mir? Wieso denn, Herr Kriminalrat?«

»Jetzt tun Sie mal nicht so, Sydow. Sie wissen doch genau, was wir mit Ihnen vorhaben.«

»›Wir?‹«

»Ein kleiner Versprecher, verzeihen Sie.« Augustin strahlte übers ganze Gesicht, anders als Lea, der schwante, was jetzt gleich passieren würde. »Ach, übrigens: Der Fall, an dem die Herren gerade arbeiten, wurde durch das LKA kassiert.«

»Ehrlich gesagt überrascht mich das kaum.«

»Jetzt spielen Sie nicht den Beleidigten, Tom. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie so nenne, oder?« Augustin strahlte über das ganze Gesicht, ungeachtet der Tatsache, dass Sydow keine Miene verzog. »So etwas kommt eben hin und wieder vor.«

»Gut ausgedrückt, Herr Kriminalrat.«

»Warum so einsilbig, Tom?«, fragte Augustin, nahm Sydow beiseite und flüsterte: »Interessiert es Sie denn gar nicht, wer zu meinem Nachfolger auserkoren worden ist?«

»Offen gestanden: nein.«

»Wie meinen?«

»Falls ich es bin, den Sie im Auge haben, vergessen Sie’s!«, erwiderte Sydow und hielt Ausschau nach seiner Frau, die ihn keinen Moment aus den Augen gelassen hatte. »Ihr Job interessiert mich nicht im Geringsten.«

Augustin erbleichte. »Nicht im Geringsten?«, echote er, unfähig, das Gehörte zu verstehen. »Aber warum denn?«

»Weil ich es mir leisten kann, darum!«, versetzte Sydow, in einem Tonfall, der weitere Fragen überflüssig machte. »Schönen Abend noch, Herr Kriminalrat. Und danke für die Einladung. Tschüss, Kroko, mach’s gut. Und du auch, Horst.« Ein Lächeln auf den Lippen, überwand Sydow die Skrupel, die ihn bis zuletzt geplagt hatten, suchte den Blick seines Vorgesetzten und sagte: »Ich kündige, Herr Kriminalrat. Mit sofortiger Wirkung. Komm, Lea, wir gehen!«

23

Berlin-Mitte bzw. Moabit, Grenzübergang Invalidenstraße │ 21:55 h

Zunächst hatte sie gedacht, man würde sie in ein anderes Gefängnis verlegen. Kurz drauf, nach schier endloser Wartezeit in dem fensterlosen B 1000, hatte sie sich zu fürchten begonnen. Wenige Minuten später wiederum war sie in Panik geraten.