Выбрать главу

Also egal, was hier noch passiert und wer Olga ersetzt, wenn sie zu ihrem Dieter geht: alles, bloß keine Kinder in der Hochallee 106a! Heilige Ölsardine, BITTE keine Kinder!

Erst ein Ende. Dann ein Anfang.

Und was für einer!

Falls es einen Katzengott gibt, hat er meine Gebete nicht erhört. Denn natürlich geht meine Geschichte mit KINDERN weiter. Und mit Olgas Abschied. Ein schwerer Schlag für einen treuen Kater wie mich!

Ein paar Tage später steht Olga nämlich mit ihren Koffern an der Tür, während Dieter neben ihr bereits ungeduldig von einem Bein aufs andere tappt. Ich beäuge ihn misstrauisch.

Wie ich von langen Fernsehabenden mit Werner weiß, bilden Menschen gern Paare. Ein Mann verliebt sich zum Beispiel in eine Frau und dann sind sie ein Paar und bleiben zusammen. So jedenfalls wünschen es sich die meisten Menschen. Viele der Filme, die ich gemeinsam mit Werner geschaut habe, handeln von den Problemen, die sich ergeben, wenn das mit der Liebe nicht richtig klappt. Das kann dann oft ziemlich kompliziert werden, und ich habe mir schon häufiger gedacht, dass die Menschen weniger Stress hätten, wenn es dieses Liebesding gar nicht gäbe. Werner zum Beispiel hat den ganzen Ärger nicht. Und das liegt eindeutig daran, dass er nicht mit einer Frau, sondern mit mir in der Hochallee lebt. Mann und Kater passen einfach besser zusammen als Mann und Frau. Olga wird das vermutlich auch noch merken, wenn sie diesen Dieter erst mal den ganzen Tag am Hals hat. Da wird der Traummann schnell zum Albtraum. Und dann wird sie sich wünschen, sie wäre hiergeblieben und würde sich noch um Winston und Werner anstatt um Dieter kümmern. Uns verlässt man eben nicht so einfach!

Olga greift in ihre Hosentasche und zieht einen Schlüsselbund heraus.

»Hier ist mein Wohnungsschlüssel.«

Werner nickt. Er lächelt nicht mehr, sondern guckt so traurig, wie ich mich gerade fühle. Nach ein paar Jahren als Haustier kann man ziemlich viel am menschlichen Gesicht ablesen. Ich jedenfalls weiß nach einem Blick auf Werner meistens sofort, wie er gerade gelaunt ist. Das kann sehr praktisch sein, etwa wenn ich etwas ausgefressen habe. Ein Blick auf sein Gesicht und ich erkenne, ob es richtig Ärger gibt oder Werner darüber lacht. Und je nachdem kann ich mich schnell verkrümeln oder eher ein bisschen mit ihm kuscheln.

»Tja, dann heißt es jetzt Abschied nehmen, richtig?«, will Werner wissen. Ob er auch hofft, dass es sich Olga in letzter Sekunde noch anders überlegt?

»Richtig«, sagt Olga und macht einen Schritt den Flur hinunter. »Anna«, ruft sie dann laut, »Dieter ist da, wir wollen los!«

»Moment!«, tönt es aus der Küche. »Ich komme gleich.«

Kurz darauf steht Anna bei uns. Ich schnuppere an ihrem Hosenbein. Anscheinend kocht sie gerade etwas. Riecht ganz lecker. Komisch nur, dass sie gar keine Schürze trägt. Ohne Schürze hat Olga nie gekocht. Aber offenbar geht es auch so. Interessant.

Olga friemelt an ihrem Schlüsselbund herum und reicht Anna einen Schlüssel.

»Hier, meine Liebe! Pass gut darauf auf! Und natürlich nicht nur darauf, sondern auch auf den Herrn Professor. Nicht zu vergessen Winston.«

Anna nimmt den Schlüssel mit der einen Hand und reckt die andere in die Luft.

»Ich schwöre!« Jetzt lachen alle, und die traurige Stimmung, die sich eben wie Bodennebel in der ganzen Wohnung auszubreiten drohte, wird von dem Gelächter ein wenig verscheucht. Olga schüttelt Werner zum Abschied die Hand. Der zögert kurz, dann zieht er sie in seine Arme und drückt sie kurz.

»Olga, machen Sie es gut! Ich werde Sie vermissen!«

Miau, ich auch! Aber wie sage ich das, ohne zu reden? Ich entscheide mich für einen rasanten Sprung vom Boden auf die Kommode unter dem Schlüsselbrett und von dort auf Olgas Arm. Lasst Taten sprechen! Zwei Sekunden später lande ich zielsicher in Olgas Armen.

»Oh, hoppla! Angriff von vorn!«, kommentiert Olga meinen Sensationssprung und krault mich hinter den Ohren. »Ich glaube, Winston will mit uns gehen!«

»Nee, nee, hiergeblieben!«, ruft Werner. »Ihr könnt jetzt nicht alle abhauen!«

»Das wär mir auch nicht recht«, ergänzt Dieter. »Ich habe nämlich eine leichte Katzenallergie. Auf Dauer würde das mit mir und der Katze nicht gut gehen.«

Unmöglich! Olga hat sich einen Mann ausgesucht, der keine Katzen verträgt? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Was für einen schlechten Männergeschmack sie hat! Beleidigt hüpfe ich von Olgas Arm und verkrümele mich in die Küche. Dort bleibe ich so lange, bis Olga und Dieter die Wohnung verlassen haben.

Als ich mich in dieser Nacht in mein Körbchen lege, um zu schlafen, geht es mir, Gott sei Dank, schon ein kleines bisschen besser. Anna hat etwas sehr Leckeres für mich gekocht – Geflügelleber mit echtem Reis. Dann hat sie fröhlich pfeifend die Wohnung geputzt – ganz so, wie Olga das immer gemacht hat. Vielleicht ändert sich doch gar nicht so viel in meinem Katerleben. Mit diesem Gedanken rolle ich mich zufrieden zusammen, schlafe ein und beginne, süß zu träumen. Von Geflügelleber. Und einem frisch geputzten, sonnigen Plätzchen auf der Fensterbank.

Rrrriiiing! Rrriiiing! Riiiiiiiiinnng! Im Traum hat mich Werner auf das Tischchen neben dem Telefon gesetzt, als dieses zu läuten beginnt. Erst zögerlich, dann ziemlich aufdringlich. Miau! Das stört meinen schönen Traum aber empfindlich! Nun geh schon ans Telefon, Werner! Aber Werner reagiert nicht. Er sitzt einfach nur da und lässt es klingeln. Unmöglich! Merkt der nicht, dass dieses Geräusch nervt? Rrrriiiiinnng! Rrrriiiiinnng! Mann, Werner, geh ran! Ich kann mit meinen Pfoten wohl kaum den Hörer abheben.

Aber Werner geht einfach nicht ans Telefon, und je länger es klingelt, desto mehr fällt mir auf, dass das Geräusch nicht nur in meinem Traum, sondern auch in echt da ist. Und es ist gar nicht das Telefon, sondern die Türklingel, an der jemand Sturm läutet. Und das mitten in der Nacht. Gibt’s doch gar nicht!

Müde rappele ich mich hoch. Wer zum Teufel ist das? Jetzt taumelt Werner, noch halb im Schlaf, an mir vorbei.

»Was ist denn hier los, Winston?«, will er von mir wissen. Aber diese Frage kann ich ihm nicht beantworten. »Drei Uhr nachts! Das ist ein bisschen spät für Besuch.« Er gähnt und wirft einen Blick durch den Spion in der Tür. Von dort kann man sehen, wer im Hausflur steht.

»Ach du liebe Güte!«, entfährt es ihm. Offenbar ist der Besuch nicht nur überraschend, sondern sehr überraschend. Werner legt die Kette zurück, die unsere Haustür von innen versperrt. Dann öffnet er die Tür einen Spalt. Davor steht Anna. Und ein sehr dünnes, traurig dreinblickendes Mädchen.

Erstens kommt es anders.

Und zweitens als man denkt.

Anna hat ganz geschwollene Augen und sieht irgendwie anders aus als noch vor ein paar Stunden. Das Mädchen scheint zu frieren, jedenfalls zittert es ein bisschen. Oder hat es vielleicht Angst? Und falls ja: warum? An Werner und mir kann es nicht liegen. Werner sieht in seinem gestreiften Bademantel bestimmt nicht besonders gefährlich aus – und ich bin hier ja nur die Katze. Schließlich haben nicht mal die ungezogenen Rotzgören von Werners Bruder Angst vor mir. Und die sind eindeutig jünger als das Mädchen.

»Hallo. Ich wollte nicht einfach so reinkommen, deswegen habe ich geklingelt.« Annas Stimme hört sich unsicher an. Das Mädchen neben ihr schweigt. Ob das Kira ist? Bestimmt. Zumindest sieht sie Anna ähnlich. Die gleichen hellen Haare, die gleichen großen Augen.

Auch Werner hat bisher noch kein Wort gesagt. Wahrscheinlich hat es ihm die Sprache verschlagen. Jetzt räuspert er sich.