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Leonie macht den Mund erst auf, als wolle sie antworten, macht ihn dann aber ohne ein Wort wieder zu. Eine sprachlose Leonie: eigentlich ein ganz schöner Anblick.

In der Mittagspause sitzen wir endlich ohne Leonie und Emilia zusammen. Eine gute Gelegenheit, Pauli und Tom noch einmal auf die Sache mit dem T-Shirt anzusprechen – schließlich ist mir die Geschichte immer noch richtig peinlich!

»Also, wegen eben – das würde ich euch gern erklären. Es ist nämlich nicht so, als würde ich ständig klauen. Im Gegenteil. Aber …«

Weiter komme ich nicht, denn Tom legt seine Hand auf meine und schaut mich ernst an.

»Kira, du musst das nicht erklären. Jeder baut mal Mist. Ich, du und natürlich auch Pauli. Aber eine Sache ist unter Freunden wichtig: dass man sich vertraut. Und dass man dem anderen erzählt, wenn man was vergeigt hat oder wenn einen was bedrückt. Verstehst du? Wahrheit ist wichtig unter Freunden!«

Ich nickte langsam. Obwohl ich als Kater so gut wie keine Erfahrung mit Freundschaft habe, erscheint mir das einleuchtend. Es ist ja auch schwierig, eng befreundet zu sein, wenn man Geheimnisse vor dem anderen hat. Leider ist es für mich unmöglich, hier gleich alle Geheimnisse auf den Tisch zu packen. Ich seufze schwer.

»Gibt’s noch etwas, das du gern erzählen würdest?« Pauli ist wirklich schlau und hat sofort gemerkt, dass mir noch etwas auf der Seele liegt. Aber ich kann den beiden unmöglich erzählen, dass ich in Wirklichkeit Winston bin. Die würden mich für komplett durchgeknallt halten! Ich schüttle also den Kopf und murmele etwas, das wie nein, nein klingt. Tom mustert mich.

»Kira, irgendetwas hast du! Was ist los? Nun sag schon!«

Miau, es ist doch zum Schnurrbarthaareausreißen! Was soll ich bloß machen? Soll ich vielleicht doch …? Ich gebe mir einen Ruck und beschließe, Tom und Pauli einzuweihen.

»Ich habe tatsächlich etwas auf dem Herzen. Allerdings ist die Geschichte ziemlich unglaublich und ihr müsst mir versprechen, dass ihr mich nicht für verrückt erklärt.«

Tom und Pauli heben gleichzeitig eine Hand in die Luft, was ziemlich lustig aussieht. Dann rufen sie mit feierlicher Stimme wie im Chor:

»Großes Indianerehrenwort!«

Dann mal los!

»Ähm, was würdet ihr sagen, wenn ich euch erzähle, dass ich in Wirklichkeit gar nicht ich bin? Sondern jemand anderes?«

Die beiden gucken ratlos. Tom räuspert sich.

»Du meinst, du bist gar nicht Kira Kovalenko?«

»Ja. Äh, ich meine, nein. Also, doch, schon irgendwie. Aber andererseits auch nicht.« Himmel, das ist ja völlig wirr! So kriege ich das nie vernünftig erklärt. Ich setze noch mal zu einem Versuch an. »Was ich meine, ist Folgendes: Äußerlich bin ich schon Kira Kovalenko. Aber innerlich, innerlich bin ich kein Mädchen, sondern …«

»Ein Junge?«, fragt Pauli. »Von solchen Fällen habe ich schon mal gelesen. Männer, die im Körper einer Frau geboren werden, oder umgekehrt. Die nennt man dann … äh … warte mal, das sind … äh … Trans… äh … gleich hab ich’s …«

Ich schüttle den Kopf.

»Nein, das meine ich nicht. Ich bin kein Junge.« Ich hole tief Luft, dann bringe ich es raus: »Ich bin ein Kater.«

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Diese Regel gilt auch für Kater!

»Du bist Winston? Kiras Katze?«

»Falsch. Winston. Professor Hagedorns Kater.«

»Na gut, dann eben Hagedorns Kater. Aber ansonsten bist du echt dieses schwarze Viech, das du … äh … also Kira überall mit hinschleppt? Eine echte, eine richtige Katze? So mit allem Drum und Dran?«

Tom ist fassungslos. Wer könnte es ihm verdenken? Aber zumindest sind er und Pauli inzwischen so weit zu überlegen, ob ich vielleicht tatsächlich die Wahrheit sage. Der Weg dahin war allerdings lang: Erst haben sich die beiden königlich über meinen tollen Witz amüsiert. Dann haben sie mich gedrängt zu erzählen, was mir wirklich unter den Nägeln brennt. Und schließlich wurden sie ziemlich sauer, weil ich mich nicht von der Katzengeschichte abbringen ließ. Am Ende mussten sie aber zugeben, dass sie sich schon das eine oder andere Mal über die Fähigkeiten von Kiras Katze gewundert hatten. Stichwort: U-Bahn-Fahrt!

»Ja, ich bin eine echte Katze. Mit allem Drum und Dran. Genauer gesagt: Britisch Kurzhaar. Sehr edel. Deswegen auch mein Name. Ich bin alter englischer Adel. Nur momentan eben nicht. Da bin ich Kira. Aber das habe ich euch schon erklärt.«

Pauli beäugt mich, als habe ich zwei Köpfe. Dann will sie es genauer wissen.

»Nimm’s mir nicht übel, Kira, oder Winston, oder wie auch immer wir dich jetzt nennen sollen, aber gibt es irgendeinen Beweis für diese unglaubliche Geschichte? Ich meine, ihr werdet vom Blitz getroffen, während ihr auf einer Kabeltrommel sitzt, und als ihr aus einer Ohnmacht erwacht, habt ihr die Körper getauscht und könnt eure Gedanken lesen – das ist starker Tobak, weißt du?! Also, dafür brauche ich einen richtig harten Beweis. Und ich rede hier nicht von ungewöhnlichen Kunststückchen, die deine Katze aufführt. Klar war es krass, dass sie Werner wirklich gefunden hat, aber wer weiß? Vielleicht ist sie einfach gut trainiert!«

Das ist ein berechtigter Einwand. Ich würde an ihrer Stelle genauso zweifeln. Wenn mir Odette im Hof anvertraut hätte, dass sie in Wirklichkeit Klaus-Dieter, der bärtige Zahnarzt aus dem dritten Stock, sei, hätte ich bestimmt auch einen Beweis verlangt. Nur: Was sage ich jetzt dazu? Ich könnte natürlich Kira noch mal in Gedanken bitten hierherzukommen. Aber reicht das? Oder fällt das auch unter Zufall und Kunststückchen? Ich seufze. Vielleicht war es doch keine gute Idee, meinen Freunden dieses Geheimnis anzuvertrauen.

»Kannst du etwas, das eigentlich ganz ausgeschlossen für Menschen ist? Also, könntest du jetzt deine Krallen ausfahren?«, schlägt Tom vor.

Ich halte meine Hände vors Gesicht und betrachte meine Fingernägel. Nein, ausfahren kann ich die nicht. Ich schüttle also den Kopf.

»Nee, leider nicht.«

»Oder vielleicht aus dem zweiten Stock springen? Katzen können das doch. Die rotieren mit dem Schwanz so lange, bis die Pfoten wieder nach unten zeigen, und dann landen sie ganz sicher und unbeschadet.«

»Äh, natürlich kann ich das als Katze. Aber als Mensch probiere ich das bestimmt nicht aus.«

Tom grinst.

»Ja, war nicht ernst gemeint. Selbst wenn deine Geschichte nicht stimmt und du einfach nur ein bisschen gaga bist, will ich nicht, dass du dir den Hals brichst. Meine Freundin bist du ja trotzdem. Ich nenne dich dann einfach Gaga-Kira.« Er lacht, Pauli lächelt zumindest. Okay, sie sind wenigstens nicht böse. Trotzdem: Ich will, dass sie mir glauben! Nur dann könnten sie Kira und mir vielleicht beim Rücktausch helfen – auch wenn wir vorhin beim Thema Magnet noch nicht weitergekommen sind. Was also könnte ich den beiden zeigen?

Während ich noch nachdenke, werde ich zum zweiten Mal vom Blitz getroffen: vom Geistesblitz! Ich springe so heftig von meinem Platz hoch, dass das Tablett mit meinem Teller bedenklich wackelt und fast vom Tisch fällt.

»Ich hab’s! Die Augen!«

Pauli und Tom schauen mich erstaunt an.

»Na, Kira und ich haben nicht nur den Körper, sondern auch die Augenfarbe getauscht. Seht doch mal genauer hin!« Ich starre die beiden an.

»Äh, ja. Schöne grüne Augen«, sagt Pauli.

»Genau: Das ist es doch! Kira hat eigentlich blaue Augen.«

Tom zuckt mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Du oder sie – ich sag jetzt maclass="underline" ihr – also, ihr seid erst seit Kurzem auf der Schule. Ich kenn euch noch nicht so lang. Über Kiras Augenfarbe habe ich mir vorher nie Gedanken gemacht oder genauer hingeguckt.«

Pauli nickt.

»Tom hat recht. Geht mir genauso. Selbst wenn Kira noch vor ein paar Wochen blaue Augen hatte, wäre mir das nicht aufgefallen.«