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Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich gar nicht so genau weiß, was die Polizei eigentlich ist. Also, ich weiß schon, dass man irgendwie Ärger hat oder welchen bekommt, wenn die Polizei mit viel Tatütata auftaucht. So habe ich es jedenfalls im Fernsehen gesehen. Im wirklichen Leben habe ich aber noch nie mit der Polizei zu tun gehabt. Das liegt hauptsächlich daran, dass ich Werners Wohnung höchstens mal verlasse, wenn ich zum Tierarzt muss. Und eine Tierarztpraxis scheint nicht der Ort zu sein, an dem man normalerweise auf die Polizei trifft. Im Fernsehen habe ich jedenfalls noch nie erlebt, dass sich ein Polizist mit einem Tierarzt unterhält. Ich habe mich allerdings schon oft gefragt, ob es zwischen dem Leben im Fernseher und dem außerhalb der Flimmerkiste große Unterschiede gibt. Aber um das zu erkunden, müsste ich mal rausgehen. Und das habe ich definitiv nicht vor!

»Na ja, jedenfalls hat es auf einmal mächtig geknallt. Und dann müssen die Polizisten irgendwie in die Wohnung gekommen sein. Wahrscheinlich haben sie die Tür eingetreten – Vadim hat ihnen bestimmt nicht freiwillig aufgemacht. Es gab ein großes Geschrei auf dem Flur und kurz darauf flog die Tür zum Schlafzimmer auf. Mama hat mich aus dem Bett gezogen und gesagt, dass ich mich ganz schnell anziehen sollte. Die Polizisten haben ihr nämlich geraten, mit mir die Wohnung zu verlassen. Die haben irgendetwas gesucht und meinten, es wäre besser, wenn wir gingen. Also hat Mama ein paar Sachen für uns eingepackt. Den Rest kennst du ja.« Kira gähnt. »Weißt du, Winston, auch wenn das heute Nacht alles total schrecklich war: Ich bin echt froh, dass wir da weg sind. Und ich glaube, Mama will auch gar nicht mehr zu Vadim zurück. Die haben sich nämlich total oft gestritten.«

Was für eine Geschichte! Schon beim Zuhören bekomme ich Herzrasen. Die Vorstellung, hier nachts rauszumüssen und in eine völlig fremde Wohnung verfrachtet zu werden, macht mir eine Heidenangst – das gebe ich ehrlich zu! Und das, obwohl ich doch eigentlich ein sehr furchtloser Stubentiger bin. Wie viel schlimmer muss das also erst für so ein zartes Mädchen wie Kira gewesen sein. Es schaudert mich! Ich hoffe stark, Kira und Anna haben nur die große Tasche mit zu uns in die Hochallee gebracht – und nicht etwa auch ihre Probleme mit der Polizei. Auf alle Fälle sollten wir aufpassen, dass dieser Vadim nicht bald vor unserer Tür steht.

So leid es mir tut: Vielleicht wäre es schlau, wenn Anna und Kira bald wieder von hier verschwinden würden. Am besten gleich morgen nach dem Frühstück. Auf die Bekanntschaft mit einem unangenehmen Typen wie Vadim lege ich nämlich überhaupt keinen Wert. Wie mache ich das bloß Werner begreiflich? Ich beschließe, später darüber nachzudenken. Jetzt bin ich erstaunlicherweise plötzlich doch sehr müde. Und weil mir der Weg in mein Körbchen zu weit erscheint, rolle ich mich einfach zu Kiras Füßen zusammen und schlafe ein. Morgen ist schließlich auch noch ein Tag.

Neue Mitbewohner? Lieber nicht.

Oder lieber doch?

Wer hätte gedacht, dass es so kuschelig ist, mit einem Menschen zusammen im Bett zu schlafen? Ich habe das mit Werner noch nie ausprobiert. Sein Schlafzimmer ist für mich sowieso verboten. Aber hier, so dicht neben Kira, fühlt es sich doch ziemlich gut an. Ihr Atem geht regelmäßig und anders als ihre Mutter schnarcht sie auch nicht.

Bis eben habe ich noch tief und fest geschlafen, aber nun fällt langsam Morgenlicht durch das Zimmerfenster und kündigt den neuen Tag an. Vorsichtig, um Kira nicht zu wecken, krieche ich zum Kopfende des Bettes hoch und betrachte sie. Ihr Gesicht sieht friedlich und entspannt aus. Schön! Ich lege mein Gesicht ganz nah neben ihres, rolle mich ein Stück unter die Bettdecke und schließe wieder die Augen. Das ist genau die richtige Position, um vor dem Frühstück noch eine Mütze Schlaf zu bekommen.

Ich bin gerade erneut eingenickt, als mit einem Ruck die Decke weggerissen wird und ein kalter Luftzug mich sehr unsanft ins Hier und Jetzt befördert. He, was soll das denn? Vorsichtig öffne ich ein Auge, nur um es gleich wieder zu schließen. Über dem Bett baumelt nämlich eine Lampe, die geradezu eklig helles Licht in mein Gesicht strahlt. Okay, irgendjemand will uns mit Gewalt aus dem Bett schmeißen. Die Frage ist nur: wer und warum?

»Kira, aufwachen! Du musst aufstehen! Sonst kommst du zu spät zur Schule!« Anna steht neben uns und ist erschreckend wach.

Kira rappelt sich hoch.

»Mann, Mama, ich bin noch total müde!«

»Ja, ich weiß. Tut mir auch leid, aber von der Hochallee bis zu deiner Schule brauchst du bestimmt fast eine Stunde. Da musst du gleich los, wenn du es bis acht Uhr schaffen willst.«

Brrr, ich weiß nicht genau, wann acht Uhr ist. Aber es ist mit Sicherheit eine Uhrzeit, zu der Werner normalerweise noch im Bett liegt. Oder gerade den ersten Kaffee trinkt. Wir beide starten nämlich gern gemütlich in den Tag. Das scheint aber unmöglich zu sein, wenn man zur Schule geht. Ob das wohl bedeutet, dass alle Kinder zur selben Zeit dort sein müssen? Und falls ja: Wer hatte denn diese blöde Idee? Es wäre doch viel entspannter für alle, wenn jeder kommen könnte, wann er wollte!

Gut, dass Kira und Anna nur ausnahmsweise hier geschlafen haben. Ich hätte wirklich keine Lust, jeden Morgen so früh geweckt zu werden!

»Was müssen Sie bloß von mir denken! Es ist mir so unangenehm!« Anna und Werner sitzen auf dem großen Sofa im Wohnzimmer, ich liege auf dem Fensterbrett. Seit einer Viertelstunde redet Anna ununterbrochen und erzählt Werner dieselbe Geschichte, die ich heute Nacht von Kira gehört habe. Nur die Sache mit der Polizei lässt sie weg. Stattdessen behauptet sie, dass dieser blöde Vadim sie einfach mit Kira vor die Tür gesetzt hätte. Komisch … ob Werner vielleicht nichts von der Polizei wissen soll?

Beim Reden fuchtelt Anna so wild mit den Armen, dass ich mich ab und zu wegducken muss, um nicht eins auf die Nase zu kriegen. Also, das unterscheidet sie definitiv von Olga: Während Olga immer ziemlich ruhig war, scheint Anna ein echtes Energiebündel zu sein – sie ist eigentlich immer in Bewegung. Für jemanden wie mich, der den ganzen Tag am liebsten auf dem Sofa herumliegt, ist das schwer zu verstehen. Wozu so viel Stress?

Allerdings muss auch ich zugeben, dass die letzte Nacht so aufregend war, dass Anna jetzt völlig zu Recht Nervenflattern hat. Auch Kira war vorhin noch ganz aufgescheucht, als sie zur Schule aufgebrochen ist. Ich bin immer noch ganz entsetzt, wie früh das arme Kind losgegangen ist. Allein bei dem Gedanken daran muss ich gähnen und strecke mich ein wenig. Wenn Anna mit ihrer Fuchtelei fertig ist, würde ich gern noch ein bisschen schlafen. So ein Nickerchen vor dem Mittagessen wird mir bestimmt guttun. Dann noch eines nach dem Essen und der Tag ist mein Freund!

Also: Anna soll mit ihrer Geschichte mal zum Ende kommen! Schließlich sitzt sie auf meinem Sofa und blockiert dort meinen Platz. Werner benutzt es so gut wie nie, wenn wir allein sind, und so hat es sich eingebürgert, dass vor allem ich darauf liege. Wenn die Sonne ab dem frühen Nachmittag auf die Polster scheint, gibt es keinen Platz in der Wohnung, der gemütlicher ist als dieses Fleckchen. Ich hoffe stark, Anna macht ihn mir in Zukunft nicht streitig – aber die soll hier schließlich arbeiten und nicht auf dem Sofa sitzen.

Es klingelt. Das ist bei uns tagsüber ungewöhnlich. Da bekommen wir eigentlich nie Besuch – genauso wenig wie mitten in der Nacht. Werner seufzt und steht von der Couch auf.

»Das ist bestimmt die Post. Moment, ich bin gleich wieder da.« Richtig. Ab und zu gibt die Postbotin ein Päckchen für uns ab. Langweilig. Da bleibe ich lieber auf dem Fensterbrett liegen und hoffe, dass Werner doch nicht wiederkommt und sein Platz frei wird.

Aus dem Flur hört man Stimmen. Werner, klar. Die zweite Stimme ist aber nicht die der Postbotin. Sondern die von Kira. Nanu – ist die Schule etwa schon vorbei? Das ist dann ja echt eine kurze Veranstaltung. Wenn Werner zur Uni geht, ist er immer ein paar Stunden verschwunden. Dass Kira nun schon vor dem Mittagessen zurückkommt, hätte ich nicht gedacht. Sei’s drum, mir wird sie schon nichts wegfressen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich an meinem Napf vergreift.