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Beleidigt will ich in Richtung Körbchen schleichen, da nimmt mich Kira mit Schwung auf den Arm und dreht mich mit dem Kopf zu ihrem Gesicht. Dann schaut sie mir direkt in die Augen.

»Du willst auch mal raus, ich sehe es dir genau an. Wir müssen uns nur noch überlegen, was ich als Leine nehmen könnte, dann geht es los. Versprochen!«

Das ist kein Versprechen, das ist eine Drohung! Ich WILL NICHT! Ich miaue, so laut ich kann, um Kira von ihrem dusseligen Plan abzubringen.

»Oh, hören Sie mal, Professor Hagedorn, Winston freut sich schon!« Kira strahlt und setzt mich wieder auf den Boden. Argh, es ist doch zum Schnurrbarthaarerausreißen!

Sie verschwindet im Gästezimmer und ich verkrümele mich schnell in mein Körbchen. Einen Moment später taucht Kira wieder auf. In der Hand hält sie ein glitzerndes langes Band.

»Guck mal, Winston, mein Gummitwistband. Daraus kann ich eine Leine für dich basteln.« Kira schlingt ein Ende des Bandes zu einer großen Schlaufe, kniet sich neben mich und legt diese um meinen Hals. Urgs! Sofort kriege ich das Gefühl zu ersticken und maunze mitleiderregend.

»Ja, ist ja gut!« Kira streichelt mich. »Wir starten gleich! Kannst es ja gar nicht mehr erwarten!« Dann steht sie auf und läuft zur Wohnungstür. Als sie kurz davor steht, spannt sich die Leine und zieht mich sanft in ihre Richtung. Ich bleibe stur sitzen.

»Komm, Winston! Auf ins Abenteuer!«

Kira zieht fester. Das Gummiband dehnt sich, wird aber auch straffer. Ein sehr unangenehmes Gefühl an meinem Hals bewegt mich schließlich dazu, doch das Körbchen zu verlassen. Eine Schande ist das: Ich, Winston Churchill, muss mich roher Gewalt beugen!

Je näher ich jedoch der Tür komme, desto mehr beginnt meine Nase vor Aufregung zu kribbeln. Das letzte Mal, dass ich die Wohnung verlassen habe, ist immerhin schon ganz schön lange her. Was mich wohl draußen erwartet? Ich meine – ich habe mich wirklich nicht um diesen Spaziergang gerissen, aber vielleicht wäre es doch ganz spannend, auf einen anderen Kater oder eine andere Katze zu treffen. Bisher war ich zwar nicht scharf auf so eine Begegnung, aber wer weiß? Hauptsache, wir treffen keinen Hund. Hunde sind mir unheimlich. Ich weiß natürlich, dass ich ihnen intellektuell völlig überlegen bin. Oder, um es einfacher auszudrücken: Ich bin viel schlauer als ein Hund. Aber im wahren Leben habe ich noch nie einen gesehen, und es wäre ja möglich, dass Hunde nicht nur dümmer, sondern auch stärker als ich sind. Also: alles, nur kein Hund!

Im Treppenhaus nimmt mich Kira kurz auf den Arm. Ich schaue mich um. Ein paarmal war ich hier schon unterwegs, aber ich habe nie so richtig auf die Umgebung geachtet. So viel steht fest: Das Treppenhaus ist ziemlich langweilig. Es riecht nach dem Putzmittel, mit dem Anna die Fußböden in unserer Wohnung wischt. Außerdem ist es recht dunkel. Und keine andere Katze weit und breit. Wahrscheinlich kommen die Hofkatzen nicht durch die untere Eingangstür. Allerdings auch kein Hund. Wenn unser kleiner Ausflug nicht mehr Abenteuer bereithält, hätte ich wirklich auf dem Sofa bleiben können.

Unten angekommen, öffnet Kira die Haustür, und mit einem Mal fällt helles Sonnenlicht in den Flur. Sofort verengen sich meine Pupillen zu schmalen Schlitzen. Nur noch ein Schritt, dann steht Kira mit mir vor der Tür. Hier weht mir ein ziemlich frischer Wind um die Nase. Sofort riecht es nach Blättern und Autos und Zigarettenrauch und … tatsächlich nach anderen Katzen! Wie elektrisiert strample ich mich aus Kiras Umarmung und hüpfe auf den Bürgersteig. Aua! Ein Ruck an meinem Hals erinnert mich daran, dass ich immer noch die blöde Leine trage. Egal, die ist schließlich aus Gummi, und wenn ich schon einen Spaziergang machen muss, bestimme ich, wo es langgeht. Ich stürze mich also in Richtung Katzengeruch.

»He, Winston, nun mach mal halblang! Wo willst du denn so schnell hin?« Kira hält die Leine zwar fest, kommt aber trotzdem hinter mir her. Braves Mädchen! Wer sagt’s denn? Ich werde mir als gestandener Kater doch meinen Menschen erziehen können! Mit der Nase dicht über dem Boden folge ich der Fährte meiner Artgenossen. Ich kann sie genau riechen. Sie waren hier, mindestens zwei oder drei. Auf einmal komme ich mir herrlich wild und gefährlich vor! Die Spur verläuft vom Bürgersteig vor unserem Haus direkt in den Hinterhof. Dachte ich es mir doch! Ich habe die Hofkatzen erschnüffelt!

Hätte man mir vor ein paar Wochen gesagt, dass ich mich schon bald auf die Suche nach diesen struppigen Kollegen machen würde, hätte ich mich schlappgelacht. Nein, ich wäre empört gewesen. Aber seitdem Kira da ist, hat sich mein Leben irgendwie geändert. Es ist einfach nicht mehr so ruhig. Und auch wenn ich nicht scharf auf diesen Ausflug war, finde ich ihn jetzt doch spannend. Warum nicht mal etwas Neues ausprobieren? Okay, vielleicht hat sich also nicht mein Leben geändert, sondern ich, Winston. Zumindest ein ganz kleines bisschen.

Im Hof riecht es so stark nach den Katzen, dass ich sie vor meinem inneren Auge förmlich sehen kann. Das sind bestimmt die drei, die ich auch immer durch unser Küchenfenster beobachte: Eine ist getigert und ziemlich dick, eine weitere struppig und hellbraun. Und dann ist da noch eine weiße, die ganz hübsch sein könnte, wenn sie sich etwas besser pflegen würde und nicht immer so viele Schmutzflecken auf ihrem Fell hätte. Vom Fenster aus konnte ich natürlich nicht sehen, ob Männlein oder Weiblein, aber so, wie ich die Fährte hier beurteile, ist beides dabei: Kater und Katze.

»He, da ist ja der Typ aus dem zweiten Stock!« Schräg rechts über mir höre ich eine Stimme, die eindeutig einem Kater gehört. Und richtig: Dort, auf dem Unterstand der Mülltonnen, sitzt der fette Tiger und grinst mich an. »Leute, ich glaub’s ja nicht – der wird an der Leine spazieren geführt! Ich lach mich tot! Gibt’s ja nicht, wie bekloppt ist das denn?«

»Ehrlich? Lass sehen!« Eine zweite Stimme, von etwas weiter hinten. Aha. Der struppige Braune ist ebenfalls ein Kater. Er sitzt auf einem der Fenstersimse und glotzt mich an. Jetzt hüpft er von dort herunter und kommt zu mir gestromert. Ich merke, wie mein Hals ganz trocken wird. Ob der mir was tun will? Was macht denn ein Kater, wenn er einem anderen Kater begegnet. Krrrrhhh! Winston, ganz ruhig bleiben! Ein echter Britisch Kurzhaar kennt keine Angst!

»Hallo, Kumpel!«, begrüßt mich der Braune nun betont lässig. »Das ist ja nett, dass du dich auch mal hier unten blicken lässt. Wir haben uns ehrlich gesagt schon gefragt, warum du nie das Haus verlässt. Ob du irgendwie krank bist, vielleicht gelähmt oder sonst wie nicht in Ordnung. Aber bis auf diese lächerliche Leine scheint ja alles chicco bei dir zu sein.«

Chicco? Hä? Versteh ich nicht. Der Braune schleicht einmal um mich rum. Kira beugt sich zu ihm hinunter und streichelt ihn am Rücken.

»Oh, guck mal, Winston! Da haben wir doch gleich einen Freund für dich gefunden! Wie schön!«

Na, ob das mit dem Freund so stimmt? Ich habe da meine Zweifel. Mr. Chicco klingt irgendwie eher … unverschämt. Aber Kira kann als Mensch natürlich nicht verstehen, was der Braune zu mir gesagt hat. Ich räuspere mich, um das trockene Gefühl aus meinem Hals zu bekommen.

»Ähm. Gestatten, dass ich mich vorstelle? Winston. Eigentlich Winston Churchill. Und nein, ich bin nicht gelähmt. Mir gefällt es nur in meiner Wohnung ziemlich gut – warum sollte ich also in diesem dunklen Hof herumlaufen? So hübsch ist es hier auch wieder nicht.« Ha! Zack! Das hat hoffentlich gesessen. Der Struppige starrt mich an.

»Winston Churchill? Was ist das denn für ein beknackter Name?«

Wie bitte? Frechheit!

»Der Name liegt doch wohl auf der Hand. Ich bin ein reinrassiger Britisch Kurzhaar und Winston Churchill ist der berühmteste britische Premierminister aller Zeiten.«