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»Wie weit ist es noch?«

»Kurz und bitter, würde ich sagen. Das ist das Dorf gerade voraus.« Durch die Windschutzscheibe konnte Smiley hinter den treibenden Schleiern wehenden Schnees zwei niedrige Gebäude etwa vierhundert Meter entfernt erkennen. Als er hinsah, kam eine große, vermummte Gestalt die Straße entlang auf sie zu.

»Das ist Ted Mundy«, sagte Rigby zufrieden. »Ich habe ihm gesagt, er soll hier sein. Er ist der Sergeant von Okeford.« Er lehnte sich aus dem Wagenfenster und rief fröhlich:

»Hallo, Ted, du alter Geier, wie steht's?« Er öffnete die hintere Tür des Wagens, und der Sergeant stieg ein. Smiley und Mundy wurden kurz vorgestellt.

»In der Kirche ist Licht«, sagte Mundy, »aber ich weiß nicht, ob Janie da ist. Ich kann im Dorf niemanden fragen, oder ich hätte die ganze Bande um mich versammelt. Sie dachten, sie wäre endgültig fortgegangen.«

»Schläft sie denn da, Ted? Hat sie da ein Bett oder so was?« fragte Rigby, und Smiley bemerkte mit Wohlgefallen, daß sein Dorset-Akzent deutlicher war, wenn er mit Mundy sprach.

»So sagt man, Bill. Ich konnte kein Bett finden, als ich letzten Samstag reinschaute. Aber ich will dir etwas Merkwürdiges erzählen, Bill. Es sieht so aus, als ob Mrs. Rode hier manchmal raufgekommen ist zu der Kapelle, um Janie zu besuchen.«

»Ich habe davon gehört«, sagte Rigby kurz. »Nun, wo liegt die Kirche?«

»Über dem Berg«, sagte Mundy. »Außerhalb vom Dorf, in einer Koppel.« Er wandte sich an Smiley. »Das ist hier herum ganz üblich, Sir, wie Sie wohl wissen.« Mundy sprach sehr langsam und wählte bedachtsam seine Worte. »Sehen Sie, als sie hier die Pest hatten, ließen sie ihre Toten in den Dörfern und zogen davon; aber nicht weit, wegen ihres Landes und der Kirche. Schrecklich war das, schrecklich.« Irgendwie bekam Mundy es fertig, den Eindruck zu vermitteln, als sei der Schwarze Tod eine noch nicht weit zurückliegende, wenn nicht gar im Gedächtnis der Lebenden bewahrte Katastrophe.

Sie stiegen aus dem Auto, die Türen gegen den starken Wind aufstemmend, und machten sich auf den Weg zum Dorf, Mundy voran und Smiley als dritter. Der feine und harte Treibschnee stach ihnen ins Gesicht. Hoch auf dem weißen Berg war es in einer solchen Nacht ein unheimlicher Gang. Die Krümmung des kahlen Berggrates, das Heulen des Windes, die Schneewolke, die rasch über den Mond zog, die elenden, unbeleuchteten Hütten, an denen sie vorsichtig vorbeigingen, gehörten einer anderen Welt an.

Mundy führte sie scharf nach links, und Smiley vermutete, daß er durch Vermeidung der Dorfmitte der Aufmerksamkeit seiner Bewohner zu entgehen hoffte. Nach einer Wanderung von etwa zwanzig Minuten, oft durch tiefen Schnee, folgten sie einer niedrigen Hecke zwischen zwei Feldern. In der äußersten Ecke des Feldes zur Rechten sahen sie ein fahles Licht über den Schnee schimmern, so fahl, daß Smiley zuerst den Blick abwenden und dann wieder auf die lange Zeile jener fernen Hecke richten mußte, um sich zu überzeugen, daß er nicht einer Täuschung unterlegen war. Rigby blieb stehen und winkte den anderen.

»Ich übernehme das jetzt«, sagte er. Er wandte sich an Smiley. »Ich wäre dankbar, Sir, wenn Sie etwas abseits bleiben würden. Sollte es irgendwelche Unannehmlichkeiten geben, möchten wir Sie nicht gern darin verwickelt haben, nicht wahr?«

»Selbstverständlich.«

»Ted Mundy, du kommst zu mir.«

Sie folgten der Hecke, bis sie zu einem Zauntritt kamen. Durch die Lücke in der Hecke sahen sie die Kirche jetzt deutlich, ein niedriges Bauwerk, mehr eine Scheune als eine Kirche. An einem Ende kam ein fahler Schimmer, wie das ungewisse Licht einer Kerze, verschwommen durch die bleigefaßten Fenster.

»Sie ist da«, flüsterte Mundy. Er und Rigby gingen weiter, Smiley folgte in einigem Abstand.

Sie überquerten jetzt das Feld, Rigby voran; die Kirche rückte immer näher. Neue Geräusche übertönten das Ächzen des Sturms; das trockene Knarren einer Tür, das Knistern eines verfallenden Daches, das unaufhörliche Windseufzen über einem sterbenden Haus. Die beiden Männer vor Smiley waren stehengeblieben, fast im Schatten der Kirchenmauer, und flüsterten miteinander. Dann ging Mundy leise davon und verschwand um die Ecke der Kirche. Rigby wartete einen Moment, näherte sich dann dem niedrigen Eingang an der Rückwand und schob die Tür auf.

Sie ging langsam auf und quietschte dabei gequält in den Angeln. Dann verschwand er in der Kirche. Smiley wartete draußen; plötzlich hörte er über allen Nachtgeräuschen einen Schrei, so beklommen, schrill und klar, daß er keinen Ursprung zu haben, sondern überall auf dem Wind hinzureiten und den zerrissenen Himmel auf Flügeln zu besteigen schien; und Smiley hatte eine Vision der Verrückten Janie, wie er sie schon früher in der Nacht gesehen hatte, und hörte in ihrem sinnlosen Schrei wieder den schrecklichen Ton des Irrsinns,. Einen Augenblick wartete er noch. Das Echo starb. Dann ging er langsam und erschrocken durch den Schnee zur offenen Tür.

Zwei Kerzen und eine Petroleumlampe auf dem kahlen Altar gossen ein trübes Licht über die winzige Kapelle. Vor dem Altar, auf der Stufe des Heiligtums, saß Janie und sah vage in ihre Richtung. Ihr ausdrucksloses Gesicht war mit blauen und grünen Flecken beschmiert, ihre schmutzigen Kleider waren mit Zweigen von Immergrün durchzogen, und überall vor ihr auf dem Boden lagen die Leichen von kleinen Tieren und Vögeln.

Die Kirchenbänke waren ähnlich mit allen möglichen toten Kreaturen geschmückt; auf dem Altar lagen zerbrochene Zweige und kleine Haufen von Stechpalmen. Zwischen den Kerzen stand ein grobgeformtes Kreuz. An Rigby vorbei ging Smiley schnell den Chorgang hinunter, vorbei an Janes nachlässig dasitzender Gestalt, bis zum Altar. Einen Moment zögerte er, dann wandte er sich um und rief leise Rigby.

Auf dem Kreuz, über seine drei Enden drapiert wie ein plumper Kranz, hing eine Kette grüner Perlen.

BLUMEN FÜR STELLA

Er erwachte, das Echo ihres Schreis noch in den Ohren. Er hatte lange schlafen wollen, aber seine Uhr zeigte erst halb acht. Nun drehte er seine Nachttischlampe an, denn es war noch halb dunkel, und blickte sich mit Eulenaugen im Zimmer um. Da waren seine Hosen, über den Stuhl geworfen, unten immer noch feucht vom Schnee. Da waren seine Schuhe; er würde sich ein neues Paar kaufen müssen. Und da neben ihm lagen die Notizen, die er sich in den frühen Morgenstunden gemacht hatte, ehe er schlafen gegangen war, Gedächtnisprotokolle von einigen der Selbstgespräche der Verrückten Janie, aufgezeichnet auf der Rückfahrt nach Carne, einer Fahrt, die er nie vergessen würde. Mundy hatte mit ihr auf dem Rücksitz gesessen. Sie führte Selbstgespräche wie ein Kind, stellte Fragen und beantwortete sie dann in dem geduldigen Ton eines Erwachsenen, für den sich die Antworten von selbst verstehen.

Eine fixe Idee schien ihren Geist zu erfüllen: sie hatte den Teufel gesehen. Sie hatte ihn auf dem Winde fliegen sehen, seine silbernen Flügel hinter sich ausgestreckt. Manchmal belustigte die Erinnerung sie, manchmal blähte sie sie mit dem Gefühl ihrer eigenen Bedeutung oder Schönheit auf, und manchmal erschreckte sie sie, so daß sie stöhnte und weinte und ihn bat, sie zu verlassen. Dann sprach Mundy freundlich mit ihr und versuchte, sie zu beruhigen. Smiley überlegte, ob sich Polizisten an den Schmutz solcher Dinge gewöhnten, an Kleider, die nicht mehr waren als stinkende, um erbärmliche Glieder gewickelte Lumpen, an winselnde Blöde, die sich festklammerten, schrien und weinten. Sie mußte endlose Nächte auf der Flucht gelebt, ihre Nahrung auf den Feldern und in den Mülleimern gefunden haben seit der Mordnacht... Was hatte sie in jener Nacht getan? Was hatte sie gesehen? Hatte sie Stella Rode getötet? Hatte sie den Mörder gesehen und sich eingebildet, er sei der auf dem Winde fliegende Teufel? Warum sollte sie das denken? Wenn Janie Stella nicht ermordet hatte, welcher Anblick hatte sie so erschreckt, daß sie drei lange Winternächte angstvoll herumgeschlichen war wie ein Tier im Wald? Hatte der Teufel in ihr Janie ergriffen und ihren Armen Kraft gegeben, als sie Stella niederschlug? War das der Teufel, der auf dem Winde ritt?