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»Bei der Flüchtlingshilfe war sie sehr gut. Dadurch kam sie erst richtig in Schwierigkeiten.« Ann Snows schlanke Hände wiegten sanft ihr Kognakglas. »Schwierigkeiten?«

»Unmittelbar vor ihrem Tod. Hat Ihnen das niemand erzählt? Von ihrem schrecklichen Krach mit D'Arcys Schwester?«

»Nein.«

»Natürlich hätte man es nicht getan. Stella klatschte nie.«

»Ich will's Ihnen erzählen«, sagte Simon. »Es ist eine gute Geschichte. Als die Sache mit dem Flüchtlingsjahr anfing, war Dorothy D'Arcy von karitativem Enthusiasmus entflammt. Ebenso der Direktor. Dorothys Schwärmereien scheinen immer den seinen zu entsprechen.

Sie begann, Kleider und Geld zu sammeln und es nach London zu verfrachten. Alles ganz lobenswert, aber es war ein völlig gleichwertiges, vom Bürgermeister gestartetes Unternehmen der Stadt im Gange. Das war aber nicht gut genug für Dorothy: Die Schule mußte ihren eigenen Aufruf machen; man kann seine Wohltätigkeit nicht vermischen. Ich glaube, dahinter stand hauptsächlich Felix. Wie dem auch sei, nachdem die Sache einige Monate im Gange gewesen war, schrieb das Flüchtlingszentrum offenbar an Dorothy und fragte, ob jemand bereit sei, ein Flüchtlingspaar bei sich aufzunehmen. Anstatt den Brief bekanntzumachen, schrieb Dorothy umgehend zurück, daß sie selbst es aufnehmen würde. So weit, so gut. Das Paar erschien, Dorothy und Felix wiesen mit stolzem Finger auf sie, und die Lokalpresse berichtete ausführlich über dieses Beispiel britischer Humanität.

Eines Nachmittags, sechs Wochen später, erschienen die beiden auf Stellas Schwelle. Die Rodes und die D'Arcys sind Nachbarn, wissen Sie, und Stella hatte jedenfalls versucht, sich für Dorothys Flüchtlinge zu interessieren. Die Frau vergoß Tränenfluten, und der Mann schrie Zeter und Mordio, aber das beängstigte Stella nicht. Sie holte sie direkt ins Wohnzimmer und gab ihnen Tee. Schließlich bekamen sie es fertig, in Basic English zu erklären, daß sie von den D'Arcys wegen der Behandlung, die sie erfuhren, weggelaufen seien. Von der Frau wurde erwartet, daß sie von morgens bis nachts in der Küche arbeitete, und der Mann wurde als unbezahlter Stallbursche für die biestigen Spaniels verwendet, die Dorothy züchtete. Die ohne Nasen.«

»King Charles«, soufflierte Ann.

»Es war ungefähr so schlimm, wie es nur sein konnte. Die Frau war schwanger, und er war ein voll ausgebildeter Mechaniker, so daß beide für Hausarbeit nicht gerade geeignet waren. Sie sagten Stella, daß Dorothy bis zum Abend fort sei - sie war zu einer Hundeschau gegangen. Stella riet ihnen, zunächst einmal bei ihr zu bleiben, und ging am Abend zu Dorothy hinüber und sagte ihr, was geschehen war. Sie hatte ziemlichen Mut, nicht wahr? Aber eigentlich war es nicht Mut. Sie tat das Natürliche.

Dorothy D'Arcy war sehr wütend und verlangte, Stella solle >ihre Flüchtlinge< sofort zurückgeben. Stella antwortete, sie sei sicher, daß sie nicht kommen würden, und ging wieder nach Hause. Zu Hause rief sie die Flüchtlingsstelle in London an und fragte um Rat. Man schickte eine Frau zu Dorothy und dem Paar, mit dem Ergebnis, daß sie am nächsten Tag nach London zurückkehrten ... Sie können sich vorstellen, was Shane Hecht aus dieser Geschichte gemacht hätte.«

»Kam sie nie darauf?«

»Stella erzählte niemandem außer uns davon, und wir gaben es nicht weiter. Dorothy ließ nur verlauten, daß die Flüchtlinge in London irgendeine Arbeit gefunden hätten, und damit hatte es sich.«

»Wie lange ist es her, daß das passierte?«

»Sie reisten vor genau drei Wochen ab«, sagte Ann zu ihrem Mann. »Stella sagte es mir, als sie an dem Abend, an dem du wegen deiner Vorsprache in Oxford warst, zum Abendessen kam. Das war heute vor drei Wochen.« Sie wandte sich an Smiley: »Der arme Simon machte eine gräßliche Zeit durch. Felix D'Arcy hatte Rodes sämtliche Prüfungskorrekturen auf ihn abgeladen. Es ist schon schlimm genug, die Korrekturen für eine Person zu machen - für zwei ist es wahnsinnig.«

»Ja«, antwortete Simon nachdenklich. »Es war eine schlimme Woche. Und ziemlich demütigend in gewisser Weise. Einige der Jungen, die in Naturwissenschaft bei mir waren, sind nun in Rodes Klassen. Ich betrachte ein oder zwei von ihnen als praktisch unbelehrbar, aber Rode scheint sie großartig vorangebracht zu haben. Ich gab einem der Schüler - Perkins - einundsechzig Prozent auf seine Arbeit in elementarer Naturwissenschaft. Im letzten Semester bekam er fünfzehn Prozent in einer viel leichteren Arbeit. Er wurde nur in die nächste Klasse versetzt, weil Fielding die Hölle losließ. Er war in Fieldings Haus.«

»Oh, ich weiß - ein rothaariger Junge, ein Präfekt.«

»Großer Gott!« rief Simon. »Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie ihn kennen?«

»Oh, Fielding machte uns bekannt«, sagte Smiley ausweichend. »Übrigens - sonst hat niemand diesen Zwischenfall mit Miss D'Arcys Flüchtlingen Ihnen gegenüber erwähnt? Hat ihn sozusagen bestätigt?«

Ann Snow sah ihn seltsam an. »Nein. Stella erzählte uns davon, aber Dorothy D'Arcy sprach natürlich überhaupt nie davon. Sie muß Stella jedoch gehaßt haben.«

Er brachte sie zu ihrem Wagen und wartete trotz ihrer Proteste, während Simon ihn anließ. Endlich fuhren sie ab, das Auto heulte die stille Straße hinunter. Smiley stand noch einen Augenblick auf dem Gehsteig, eine seltsame, einsame Gestalt, und blickte die leere Straße hinab.

EINEN MANTEL, UM SIE ZU WÄRMEN

Ein Hund, der den Postboten nicht gebissen hatte; ein Teufel, der auf dem Wind dahinfuhr; eine Frau, die wußte, daß sie sterben würde; ein besorgter kleiner Mann im Mantel, der vor seinem Hotel im Schnee stand, und vom Turm der Abtei das mühsame Glockenschlagen, das ihm zu Bett zu gehen befahl.

Smiley zögerte, überquerte dann mit einem Achselzucken die Straße zum Hoteleingang, stieg die Stufen hinauf und trat in das dürftige gelbe Licht der Halle. Langsam ging er die Treppe nach oben.

Er verabscheute das »Sawley Arms«. Das gedämpfte Licht in der Halle war typisch: unwirksam, antiquiert und selbstgefällig. Wie die Kellner im Speisesaal und die gedämpften Stimmen im Salon, wie sein eigenes scheußliches Zimmer mit den blauen und vergoldeten Urnen und dem gerahmten Wandteppich, dem Bild eines Gartens in Buckinghamshire.

Sein Zimmer war bitterkalt; das Mädchen mußte das Fenster geöffnet haben. Er steckte einen Shilling in den Zähler und stellte das Gas an. Das Feuer blubberte mißmutig und ging aus. Murrend sah Smiley sich nach Schreibpapier um und fand, sehr zu seiner Überraschung, etwas in der Schublade des Schreibtisches. Er zog seinen Pyjama und seinen Schlafrock an und kroch ins Bett. Nachdem er da ungemütlich einige Minuten gesessen hatte, stand er wieder auf, holte seinen Mantel und breitete ihn über die Daunendecke. Ein Mantel, um sie zu wärmen...

Wie hieß es in ihrer Aussage? »Eine gibt's, die wird's mir danken, das ist mein Liebling, und ich nahm ihren Schmuck, für die Heiligen tat ich's, und einen Mantel, um mich zu wärmen...« Der Mantel war Stella am letzten Mittwoch für die Flüchtlinge gegeben worden. Nach der Art ihrer Aussage schien die Annahme vernünftig, daß Janie den Mantel zur selben Zeit aus dem Schuppen genommen hatte wie die Perlen von Stellas Leiche. Aber Dorothy D'Arcy war am Freitagmorgen dort gewesen - natürlich, mit Mr. Cardew-, sie hatte an eben diesem Abend auf ihrer Party darüber gesprochen: »Da war nichts am falschen Platz - jedes Stück Kleidung, das sie hatte, war verpackt und adressiert - »eine verdammt gute kleine Arbeiterin, muß ich sagen...« Warum hatte dann Stella den Mantel nicht verpackt? Wenn sie alles andere verpackt hatte, warum nicht auch den Mantel?

Oder hatte Janie den Mantel früher am Tag gestohlen, noch ehe Stella ihr Paket machte? Wenn es so war, dann bedeutete es eine gewisse Entlastung für Janie. Aber so war es nicht. Es war nicht so, weil es völlig unwahrscheinlich war, daß Janie am Nachmittag einen Mantel stehlen und am selben Abend zum Haus zurückkehren würde.

»Beginn doch beim Anfang«, murmelte Smiley etwas lehrhaft zu dem wappengeschmückten Papier auf seinem Schoß. »Janie stahl den Mantel zu derselben Zeit, als sie die Perlen stahl - das heißt, nachdem Stella tot war. Folglich war der Mantel entweder nicht mit den anderen Kleidungsstücken verpackt worden oder...«