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Das Mädchen führte sie nach oben in einen Raum, der offenbar das Büro war, ein großes Zimmer, das einen mit Briefen übersäten Holztisch und einen Küchenstuhl enthielt. Ein Ölofen blubberte in einer Ecke, und ein elektrischer Kessel dampfte auf melancholische Weise daneben. »Entschuldigen Sie«, sagte das Mädchen, als sie das Zimmer betraten, »aber unten ist einfach kein Platz zum Sprechen. Ich meine, man kann ja nicht auf einem Bein reden wie die Inkas. Oder sind's nicht die Inkas? Vielleicht sind's die Afghanen. Wie haben Sie uns nur gefunden?«

»Ich bin zuerst in Ihr Westend-Büro gegangen«, antwortete Miss Brimley, »und dort sagte man mir, ich solle Sie aufsuchen. Ich glaube, sie waren dort ziemlich ungehalten. Danach verließ ich mich auf Kinder. Die wissen immer den Weg. Sie sind Miss Dawney, nicht wahr?«

»Himmel, nein. Ich bin so was wie die Aushilfe. Till Dawney ist zum Zollamt in Rotherhide gefahren - sie wird zur Teezeit zurück sein, wenn Sie sie sprechen wollen.«

»Meine Liebe, ich bin sicher, daß ich Sie nicht zwei Minuten aufhalten werde. Eine Freundin von mir, die in Carne lebt - (»Himmel! Wie großartig«, sagte das Mädchen), sie ist tatsächlich eine Art Kusine, aber es ist einfacher, sie eine Freundin zu nennen, nicht wahr?-, gab den Flüchtlingsleuten letzten Donnerstag ein altes graues Kleid, und nun ist sie überzeugt, daß sie ihre wertvolle Brosche am Oberteil steckengelassen hat. Ich bin sicher, daß sie nichts dergleichen getan hat, wissen Sie - sie ist ein schusseliges Geschöpf-, aber sie rief mich gestern früh in einem schrecklichen Zustand an, und ich mußte ihr versprechen, sofort vorbeizukommen und zu fragen. Gestern konnte ich leider nicht kommen - ich bin vom Morgen bis zum Abend an meine Zeitschrift gebunden. Aber ich höre, Sie sind etwas im Rückstand, und so ist's wohl nicht zu spät?«

»Du liebe Güte, nein. Wir sind gewaltig im Rückstand. Das ganze Zeug da unten wartet darauf, ausgepackt und sortiert zu werden. Es kommt von den freiwilligen Helfern an jeder Schule - manchmal Schülern, manchmal Lehrern-, und sie tun alle Kleider zusammen und schicken sie in großen Paketen, entweder per Bahn oder mit gewöhnlicher Post, meist per Bahn. Wir sortieren sie hier, bevor wir sie ins Ausland schicken.«

»Das erfuhr ich von Jane. Sobald sie ihren Irrtum bemerkte, wandte sie sich an die Frau, die das Sammeln und den Versand besorgte, aber es war natürlich zu spät. Das Paket war weg.«

»Wie furchtbar... Wissen Sie, wann das Paket abgeschickt wurde?«

»Ja. Am Freitagvormittag.«

»Aus Carne? Bahn oder Post?«

Miss Brimley hatte diese Frage gefürchtet, aber sie wagte eine Vermutung: »Post, glaube ich.«

An Miss Brimley vorbeistürzend, stöberte das Mädchen in einem Berg von Papieren auf dem Schreibtisch und zog schließlich ein steifgebundenes Schulheft mit einem Etikett »Hauptbuch« hervor. Sie öffnete es aufs Geratewohl und blätterte rasch die Seiten durch, indem sie hie und da auf eine etwas gehetzte Art eine Fingerspitze leckte.

»Wäre frühestens gestern angekommen«, sagte sie. »Wir werden es sicher noch nicht geöffnet haben. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie wir's je schaffen sollen, und jetzt knapp vor Ostern wird's nur noch schlimmer werden. Obendrein verfault die Hälfte von unserem Zeug in den Zollschuppen - hallo, da haben wir's!« Sie schob das Hauptbuch zu Miss Brimley hinüber, und ihr schlanker Finger deutete auf eine Bleistifteintragung in der Hauptspalte: »Carne, Postpaket, 27 Pfund.«

»Würde es Sie«, sagte Miss Brimley, »furchtbar stören, wenn wir schnell mal hineinblicken?«

Sie gingen nach unten in die Halle.

»Es ist nicht ganz so greulich, wie's aussieht«, rief das Mädchen über die Schulter. »Das ganze Zeug vom Montag wird der Tür am nächsten liegen.«

»Wie wissen Sie, woher sie kommen, wenn Sie den Poststempel nicht lesen können?« fragte Miss Brimley, als das junge Mädchen unter den Paketen zu wühlen begann.

»Wir verteilen unsere Aufklebeschildchen an die freiwilligen Helfer. Die Schildchen haben eine Herkunftsnummer. In anderen Fällen bitten wir sie einfach, den Namen ihrer Schule in Blockbuchstaben außen anzuschreiben. Sehen Sie, wir können einfach keine Begleitbriefe erlauben, es wäre zu schrecklich. Wenn wir ein Paket bekommen, brauchen wir nur eine vorgedruckte Karte abzuschicken und dankend den Empfang eines Pakets von dem und dem Datum, von soundsoviel Gewicht zu bestätigen. Leute, die keine freiwilligen Helfer sind, werden keine Pakete an diese Adresse schicken, wissen Sie - sie schicken sie an die angegebene Adresse am Beigrave Square.«

»Funktioniert das System?«

»Nein«, sagte das Mädchen, »es funktioniert nicht. Die Freiwilligen vergessen entweder, unsere Schildchen zu benutzen, oder diese gehen ihnen aus und sie haben keine Lust, es uns mitzuteilen. Zehn Tage später rufen sie wütend an, weil sie keine Empfangsbestätigung bekommen haben. Auch die Freiwilligen wechseln, ohne es uns mitzuteilen, und die Instruktionen fürs Verpacken und Beschriften werden nicht weitergegeben. Manchmal entschließen sich die Schuljungen, es selbst zu machen, und keiner sagt ihnen, wie sie es anfangen müssen. Lady Sarah wird so wild wie eine Schlange, wenn Pakete im Hauptbüro erscheinen - sie müssen alle zum Neuverpacken und Registrieren hierhergeschafft werden.«

»Ich bin im Bilde.« Miss Brimley sah besorgt zu, wie das Mädchen, immer noch weitersprechend, unter den Paketen stöberte.

»Sagten Sie, daß Ihre Freundin tatsächlich in Carne unterrichtet? Sie muß ja ganz großartig sein. Ich möchte wissen, wie der Prinz ist: er sieht auf den Fotos ziemlich weichlich aus. Mein Vetter war Schüler in Carne - er ist eine völlige Niete... Wissen Sie, was er mir erzählte? Während der Rennwoche von Ascot machten sie folgendes... Hallo! Da haben wir's!« Das Mädchen stand auf, ein großes viereckiges Paket in den Armen, und trug es zu einem Tisch, der im Schatten des Treppenhauses stand. Miss Brimley, die neben ihr stand, als sie sorgfältig die starken Bindfäden aufzuknüpfen begann, sah neugierig nach dem gedruckten Aufklebeschildchen. In der linken oberen Ecke war das Zeichen gestempelt, welches das Komitee offenbar Carne zugeteilt hatte: C 4. Nach der Vier war der Buchstabe B mit einem Kugelschreiber hineingeschrieben worden. »Was bedeutet das B?«

»Oh, das ist ein örtliches Arrangement in Carne. Miss D'Arcy ist dort die Vertreterin, aber sie haben ja neuerdings so gut gearbeitet, daß sie eine Freundin als Hilfe beim Versand angeworben hat. Wenn wir bestätigen, erwähnen wir immer, ob es A oder B gewesen ist. B muß schrecklich eifrig sein, wer immer sie ist.«

Miss Brimley unterdrückte die Frage, wie viele der Pakete aus Carne bei Miss D'Arcy ihren Ursprung hatten und wie viele bei ihrer anonymen Assistentin.

Das Mädchen entfernte den Bindfaden und stellte das Paket auf den Kopf, um das übereinandergreifende Einwickelpapier freizubekommen. Dabei sah Miss Brimley nahe der Verschlußstelle einen schwachen braunen verschmierten Fleck ungefähr von der Größe eines Shillings. Es entsprach ihrem angeborenen Rationalismus, daß sie nach jeder Erklärung suchte, nur nicht nach jener, die sich ihr so deutlich anbot. Das Mädchen setzte das Auswickeln fort und sagte plötzlich: »Carne, ist dort nicht der gräßliche Mord passiert - die Lehrersfrau, die von einer Zigeunerin ermordet wurde? Es ist wirklich furchtbar, wie viele solcher Sachen passieren, nicht? Hm! Hab' ich mir schon gedacht«, bemerkte sie, sich plötzlich unterbrechend. Sie hatte das äußere Papier entfernt und war dabei, das Bündel innen auszupacken, als ihre Aufmerksamkeit offensichtlich vom Aussehen des inneren Pakets erregt wurde.