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»Was?« fragte Miss Brimley rasch.

Das Mädchen lachte. »Ach, nur die Verpackung«, sagte sie. »Die C-4-B-Sachen sind in der Regel so ordentlich - so ziemlich das Beste, was wir kriegen. Dies ist ganz anders. Überhaupt nicht dieselbe Person. Muß ein Ersatz sein. Ich habe es mir gleich gedacht.«

»Wie können Sie so sicher sein?«

»Oh, es ist wie eine Handschrift. Wir können es ablesen.« Sie lachte wieder und entfernte ohne weitere Umstände die letzte Umhüllung. »Graues Kleid, sagten Sie, nicht? Wir wollen mal sehen.« Mit beiden Händen begann sie, Kleider oben vom Haufen zu nehmen und nach links und rechts zu legen. Sie war fast zur Hälfte durch, als sie ausrief: »Nein, wirklich! Die müssen ja einen Dachschaden haben!« Dabei zog sie aus dem Bündel getragener Kleider einen durchsichtigen Kunststoffregenmantel, ein Paar sehr alte Lederhandschuhe und ein Paar Gummiüberschuhe.

Miss Brimley hielt sich an der Tischkante fest. In ihren Handflächen pochte das Blut.

»Hier ist ein Cape, auch noch feucht«, fügte das Mädchen mit Abscheu hinzu und schleuderte die anstößigen Gegenstände neben dem Tisch auf den Boden. Miss Brimley konnte nur an Smileys Brief denken: »Wer sie auch getötet hat, muß mit Blut            bedeckt gewesen sein.« Ja, und wer sie getötet hatte, trug ein Kunststoffcape mit einer Kapuze, Gummiüberschuhe und jene alten Lederhandschuhe mit den rostbraunen Flecken. Wer Stella Rode getötet hatte, war nicht aufs Geratewohl in der Nacht auf sie losgegangen, sondern hatte lange im voraus geplant, hatte gewartet. Ja, dachte Miss Brimley, hatte auf die langen Nächte gewartet.

Das Mädchen sprach wieder: »Ich fürchte, es ist wirklich nicht dabei.«

»Nein, meine Liebe«, antwortete Miss Brimley. »Das sehe ich. Danke. Sie waren sehr nett.« Ihre Stimme schwankte einen Moment, dann bekam sie es fertig zu sagen: »Ich finde, meine Liebe, Sie sollten das Paket genauso lassen, wie es jetzt ist, die Verpackung und alles darin. Etwas Schreckliches ist passiert, und die Polizei wird... davon wissen und das Paket sehen wollen... Sie müssen mir vertrauen, meine Liebe - die Dinge sind nicht ganz das, was sie zu sein scheinen...« Und auf irgendeine Weise entfloh sie in die tröstliche Freiheit von York Gardens und zum großäugigen Wunder seiner Kinder.

Sie ging zu einer Telefonzelle. Sie bekam Verbindung mit dem »Sawley Arms« und fragte einen sehr gelangweilten Empfangschef nach Mr. Smiley. Völlige Stille senkte sich auf die Verbindung, bis das Fernamt sie aufforderte, nochmals drei Shilling und Sixpence einzuwerfen. Miss Brimley antwortete scharf, daß alles, was sie bisher für ihr Geld bekommen habe, ein Dreiminutenvakuum gewesen sei; darauf folgte das unmißverständliche Geräusch der an ihren Zähnen lutschenden Telefonistin und dann, ganz plötzlich, kam George Smileys Stimme.

»George, hier ist Brim. Ein Kunststoffregenmantel, ein Cape, Gummiüberschuhe und Lederhandschuhe, die blutbefleckt aussehen. Auch Flecken auf einem Teil der Verpackung allem Anschein nach.«

Eine Pause.

»Etwas Handschriftliches auf der Außenseite des Pakets?«

»Nichts. Die Wohltätigkeitsorganisation verteilt vorgedruckte Zettel.«

»Wo ist das Zeug jetzt? Hast du's?«

»Nein. Ich habe dem Mädchen gesagt, alles genauso zu lassen, wie es ist. Das wird für ein, zwei Stunden in Ordnung gehen... George, bist du noch da?«

»Ja.«

»Wer hat es getan? War es der Ehemann?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.«

»Soll ich irgend etwas tun - wegen der Kleider, meine ich? Sparrow anrufen oder irgend etwas?«

»Nein. Ich werde sofort mit Rigby sprechen. Adieu, Brim. Danke für den Anruf.«

Sie legte den Hörer auf. Er hörte sich seltsam an, fand sie. Er schien manchmal ganz geistesabwesend. Als wenn er abgeschaltet hätte. Sie ging in nordwestlicher Richtung zum Themsekai. Es war lange nach zehn - das erstemal, daß sie spät dran war. Das war weiß Gott wie lange nicht mehr vorgekommen. Sie sollte sich ein Taxi nehmen. Da sie jedoch eine sparsame Frau war, fuhr sie mit dem Bus.

Ailsa Brimley glaubte nicht an Notfälle, denn sie erfreute sich einer bei Männern ungewöhnlichen und bei Frauen noch selteneren geistigen Disziplin. Je größer der Notfall, desto größer ihre Ruhe. John Landsbury hatte darüber bemerkt: »Du widersetzt dich dem Dramatischen, Brim; du hast die seltene Gabe, das zu verachten, was dringend ist. Ich kenne ein Dutzend Leute, die dir fünftausend jährlich dafür zahlen würden, daß du ihnen täglich sagst, daß das, was wichtig ist, selten auch dringend ist. Das Dringende ist gleich dem Vergänglichen, und das Vergängliche ist gleich dem Unwichtigen.«

Sie stieg aus dem Bus und warf den Fahrschein sorgsam in den Abfallkorb. Als sie in dem warmen Sonnenlicht der Straße stand, gewahrte sie die Plakate, die die erste Ausgabe der Abendblätter anzeigten. Wäre die Sonne nicht gewesen, hätte sie vielleicht gar nicht hingesehen; aber die Sonne blendete sie und ließ sie nach unten blicken. Und so sah sie es, las sie im fetten Schwarz des feuchten Zeitungsdrucks, in der vorgefaßten Hysterie der Fleet-Street: »Nächtliche Suche nach verschwundenem Carne-Schüler.«

DER WEG ZU FIELDING

Smiley legte den Hörer hin und ging rasch am Empfangstisch vorbei zum Ausgang. Er mußte Rigby sofort sprechen.

Als er eben das Hotel verließ, hörte er jemanden seinen Namen rufen. Er drehte sich um und sah seinen alten Feind, den Nachtportier, der dem Tageslicht trotzte und ihm mit seiner grauen Hand wie Charon zuwinkte.

»Die von der Polizeistation haben Sie schon gesucht«, bemerkte er mit unverhohlenem Vergnügen: »Mr. Rigby möchte Sie sprechen, der Inspektor. Sie sollen sofort hinkommen. Sofort, verstehen Sie.«

»Ich bin ja schon dorthin unterwegs«, antwortete Smiley gereizt, und als er sich durch die Pendeltür schob, hörte er den alten Mann wiederholen: »Sofort, verstehen Sie; man wartet auf Sie.«

Auf dem Weg durch die Straßen von Carne dachte er zum hundertsten Male über die Unergründlichkeit des Motivs im menschlichen Handeln nach: Es gibt nichts Wahres auf Erden. Es gibt keinen festen, keinen verläßlichen Punkt, nicht einmal in der reinsten Logik oder im dunkelsten Mystizismus; am wenigsten in den Motiven von Menschen, wenn sie sich zu einer Gewalttat gedrängt fühlen.

Hatte der Mörder, der nun so nahe vor der Entdeckung stand, in der peinlich genauen Ausführung seiner Pläne Befriedigung gefunden? Denn jetzt war es über jeden Zweifel erhaben: Dies war ein bis in die letzten Einzelheiten vorbereiteter Mord - selbst bis zu der unerklärlich weit vom Tatort weggeschafften Waffe. Ein Mord mit Spuren, die zur Irreführung ausgestreut worden waren, ein Mord, geplant, um ungeplant zu wirken, ein Mord wegen einer Kette von Perlen. Nun war das Geheimnis der Fußabdrücke geklärt: nachdem er die Überschuhe ins Paket getan hatte, war der Mörder den Pfad hinunter zum Tor gegangen, und seine eigenen Spuren waren durch die zahlreichen Fußabdrücke anderer verwischt worden.

Rigby sah müde aus.

»Sie haben die Nachricht gehört, Sir, nehme ich an?«

»Was für eine Nachricht?«

»Über den Jungen, den Jungen in Fieldings Haus, der die ganze Nacht abgängig war.«

»Nein.« Smiley fühlte plötzliche Übelkeit. »Nein, ich habe nichts gehört.«

»Himmel, ich dachte, Sie wüßten Bescheid! Gestern abend um halb neun rief uns Fielding hier an. Perkins, sein Präfekt, sei nicht von einer Musikstunde bei Mrs. Harlowe, die in Richtung Longemede wohnt, nach Hause gekommen. Wir gaben Alarm und begannen, nach ihm zu suchen. Ein Streifenwagen wurde auf die Straße geschickt, auf der er hätte zurückkommen müssen - er fuhr mit dem Rad, wissen Sie. Zuerst sahen sie nichts, aber auf der Rückfahrt stoppte der Fahrer den Wagen am Fuß des Longemede-Hügels, da, wo die seichte Furt ist. Es fiel ihm ein, daß der Junge vielleicht vom oberen Ende des Steilstückes einen langen Anlauf auf die Furt zu gemacht haben und in der Vertiefung zu Schaden gekommen sein könnte. Sie fanden ihn halb im Graben, das Rad daneben. Tot.«